In Carries Schuhen

Ruhm Vor 15 Jahren lief „Sex and the City“ zum ersten Mal. So feministisch war Fernsehen später nie mehr
Ausgabe 42/2013
In Carries Schuhen

Foto: Devaney/ Wire Image/ Getty Images

Solange eine Serie zitiert wird, ist sie nicht zu Ende. In diesem Sinne erfreut sich Sex and the City, jene Kultserie über vier Frauen im New York um die Jahrtausendwende, immer noch großer Aktualität.

Nehmen wir zum Beispiel die preisgekrönte Serie Newsroom, in der eine Nachrichtenredaktion heldenhaft für seriösen Journalismus kämpft. Auf dem romantischen Nebenschauplatz von Newsroom spielt in der soeben angelaufenen zweiten Staffel ein Sex-and-the-City-Tourbus eine tragende Rolle, einer jener Busse also, auf dem Sex-and-the-City-Fans knapp zehn Jahre nach der letzten Staffel noch immer die Drehorte der Serie in Manhattan besichtigen können. Vor solch einem Bus verliert die aufstrebende Journalistin Maggie Jordon (Alison Pill) eines Abends die Nerven. Der Touristinnenschar schildert sie in einem hysterischen Monolog ihr Männer-Dilemma. Das Video, das eine netzaffine Touristin davon macht und auf Youtube hochlädt, wird dann im Fortgang der Handlung noch Folgen haben.

Es ist dabei bezeichnend, dass hier ziemlich abwertend auf Sex and the City verwiesen wird. Eine verliebte Frau, scheint diese Szene zu sagen, muss eine Schraube locker haben – so jedenfalls erinnert man sich an die vier Protagonistinnen aus Sex and the City, kurz SATC, deren Geschichten sich ja ständig um Sex und Männer drehten. Schlimmer sind in der Newsroom-Folge nur noch die Fans an Bord des Busses, denn sie sind SATC ruinös verfallen. Die Touristin mit dem Video ist im Stande, Maggies Karriere zu zerstören. Irrationale Frauenwelt.

Liberale Haltung damals

Die Geschichte ließe sich aber auch anders erzählen: Vor 15 Jahren lief auf dem damals noch recht unbekannten Pay-TV-Sender HBO eine der besten Produktionen an, die das Fernsehen bis dato kannte. Sex and the City, das waren: aufwändig produzierte, gut erzählte Episoden über die grundverschiedenen Freundinnen Carrie (Sarah Jessica Parker), Miranda (Cynthia Nixon), Samantha (Kim Cattrall) und Charlotte (Kristin Davis). Das war: rasante Dialoge beim Brunch oder Kaffee, komisch, manchmal zynisch, immer auf den Punkt. Und: In Sachen weibliche Solidarität sucht die Serie bis heute ihresgleichen. Sie vertrat eine liberale Haltung – zum Sex wie zum Geld. Beides wird ihr nun vorgeworfen. Auch, dass es bei den Identifikationsmöglichkeiten für die Zuschauerinnen hakte. Zu viele teure Schuhe waren angeblich im Spiel. Als ob das Mafia-Milieu der Sopranos realistischer wäre!

Im Rückblick hat SATC seinen guten Ruf eingebüßt. Vergessen ist, dass die Show im Laufe ihrer sechs Staffeln für 50 Emmys nominiert war und sieben gewann. Dass sie ein Flaggschiff von HBO war und als Prototyp modernen seriellen Erzählens galt. Die Lorbeeren dafür verlieh man anderen. Wer vom Qualitätsfernsehen spricht, nennt heute die Sopranos, die vor zehn Jahren das Gangsterbild revolutionierten. Aktuell heißen die Musterschüler Homeland, das die Abgründe der amerikanischen Seele zeigt, und House of Cards, eine nicht weniger abgründige Politiksatire mit Kevin Spacey, produziert direkt fürs Internet vom DVD-Verleiher Netflix. Gerade wurde House of Cards für die beste Regie ausgezeichnet. Nur hat jemand bemerkt, dass Kevin Spaceys Direktansprache der Zuschauer bereits vor 15 Jahren zum Repertoire von Sex and the City gehörte? Eine Welt, in der Weiblichkeit und ihre gesellschaftliche Zerfleischung eine zentrale Rolle spielten, ist seit Sex and the City dagegen selten geworden.

Stattdessen denkt so mancher Fan mit einer Art guilty pleasure zurück. Die Serie gilt fünf Jahre nach der Lehman-Brothers-Pleite und ihren Folgen als Synonym für Oberflächlichkeit, Konsumrausch und Artifizialität – ganz nach dem alten Vorurteil, Glamour passe nicht zu echter Kunst. Dabei war die postfeministische Aufbruchsstimmung in jeder Folge zu spüren. SATC glaubte an die Macht der Frauen, kämpfte gegen die Pflicht von Ehe und Mutterschaft und für die Rechte der single women. Allerdings wurde die Skepsis, ob eine Revolution der unabhängigen Frauen tatsächlich zu machen sei, auch innerhalb der Erzählung mit den Jahren größer. Ab Staffel fünf verliert SATC an Leichtigkeit. Samantha bekommt Brustkrebs, es geht um Einsamkeit und ums Älterwerden.

Doch nicht einmal Lena Dunhams aktuelle Serie Girls, die oft als Nachfolgerin von SATC bezeichnet wird, reicht heute an den feministischen Grundton von SATC heran. Girls bekommt viel Lob für die ungeschminkte Art, mit der sich die neue Generation junger Frauen darstellt. Drei der vier Protagonistinnen kommen frisch von der Uni und finden in der Post-Bankenkrise einen Arbeitsmarkt vor, der sie nicht braucht. Vom Schreiben kann in Girls keine mehr leben – anders als die Kolumnistin Carrie in Sex and the City. Zwar wird immer wieder auf die Serienvorgängerin hingewiesen, und der Sex in Girls ist noch viel verstörender. Alles in allem geht es in der Serie aber stärker um die hinfälligen Träume einer Generation im krisengebeutelten Amerika als um die Frauenfrage.

Einzelkämpferinnen heute

Es ist aber nicht so, dass es einen Mangel an starken Frauenfiguren in den neuen Serien geben würde. Um das zu behaupten, müsste man eine ganze Reihe komplexer Charaktere schlicht ignorieren – angefangen bei der hartnäckigen CIA-Agentin Carrie Mathison (Claire Danes) in Homeland, über die kühl intrigierende Politikerfrau Claire Underwood (Robin Wright) in House of Cards bis zur idealistischen Produzentin MacKenzie McHale (Emily Mortimer), die treibende Kraft von Newsroom. Doch sie sind Einzelkämpferinnen in einer von Männern dominierten Welt.

Immerhin: Es gibt sie. Dass sie in der derzeitigen Serienwelt zentrale Rollen spielen, verdanken sie zum Teil auch der Serie, die so offen keiner mehr loben mag und die doch mehr für die Komplexität weiblicher Fernsehfiguren getan hat als jede Serie vor ihr. Carrie, Miranda, Charlotte und Samantha waren Antiheldinnen, widerspenstig – und realistisch in ihrem Scheitern. Dazu haben sie einen entscheidenden Widerspruch aufgehoben: Frauen nach SATC kann niemand mehr als Dekor abtun, weil sie gut gekleidet sind. Mode hat in der Serie immer die fünfte Hauptrolle gespielt. Sie war nie dazu da, Männer in die Ehe zu locken.

SATC hat nicht zuletzt die Fernsehkritik verändert. Taucht heute in einer Serie wie House of Cards eine attraktive Reporterin auf, geht bei wenigen der Bond-Girl-Alarm an. Tatsächlich kann es sich keine Serie mehr leisten, Frauen einseitig darzustellen. Wie gut die Serien das selbst wissen, zeigt wiederum Newsroom. Ein paar Folgen nach dem Tourbus-Desaster erwähnt die blitzgescheite Reporterin Sloan Sabbith (Olivia Munn), dass sie ein Fan der braven Charlotte aus SATC ist. Die Umstehenden sind überrascht. Und man fragt sich: Warum nur? Haben wir die Leistung von Sex and the City wirklich so schnell vergessen?

Sarah Schaschek schrieb im Freitag zuletzt über neue Trends in der Männerforschung.

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