Warum ist es so schwer über Männer zu reden, ohne über ihre Krisen zu sprechen? In kaum einer Diskussion kommt man noch an männlichem Versagen vorbei. Die Stichworte heißen Bildungskrise, Wirtschaftskrise, demografische Krise, von der Machokrise beim Flirten ganz zu schweigen. In der Schule kommen Jungen nicht mehr mit, schlecht bezahlte Jobs hindern Männer daran, eine Familie zu gründen, selbst wenn sie es wollen. Die Autorin Ute Scheub nennt genüsslich die drei „K“ der Männer: Konkurrenz, Karriere, Kollaps. Und die US-Journalistin Hanna Rosin ruft gleich ganz das Ende der Männer aus.
Dabei wird die Rede von der Krise des Mannes schon seit Jahrzehnten mantraartig wiederholt. Glaubt man Historikern, zieht sich das Elend sogar noch weitaus länger hin. Quellen aus dem Hochmittelalter, aus der Zeit der Französischen Revolution, aus den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, sie alle belegen die Sorge um das altbekannte Verhältnis zwischen Mann und Frau. „Männlichkeit braucht die Krise“, sagt der Geschichtsdidaktiker Martin Lücke von der Freien Universität Berlin. Erst durch die ständige Katastrophenwarnung stabilisierten Männer ihre Machtposition.
So groß ist derzeit das Bedürfnis, den wackeligen Zustand zu verstehen, dass Männlichkeitsforscher ständig eine Krise erklären müssen, die in ihren Augen gar nicht unbedingt eine ist. Sie werden zu Krisenexperten wider Willen. Und beinahe entsteht dadurch der Eindruck, die Männerforschung stecke selbst in der Krise.
Zugriff auf Ressourcen
Tatsächlich hatte die Männerforschung lange Zeit ein Legitimationsproblem. Das hängt mit ihrer Entstehung zusammen, denn ihre Wurzeln liegen in der geschichtlichen Frauenforschung. In den siebziger Jahren belächelten Historiker ihre Kolleginnen gern – obwohl sie ja selbst Geschlechterstudien betrieben. Dass die Protagonisten fast immer Männer waren, fiel ihnen erst allmählich auf. Frauenforscherinnen verstanden ihre Arbeit als politisch. Sie forderten mehr weibliche Teilhabe an der Macht und begannen, die Geschichte der Frauen neu zu schreiben.
Erst durch die Öffnung der Frauenforschung hin zur Geschlechterforschung in den neunziger Jahren hat sich auch eine Geschichte der Männlichkeit herausgebildet. Die Frau als das geschlechtliche, der Mann als das universale Wesen, diese Unterscheidung sollte nun nicht mehr gelten. Dennoch muss sich Männerforschung fragen lassen, welche politische Dimension sie besitzt. Denn trotz aller Beschwörung der Krise lässt sich die überragende Macht einer privilegierten Gruppe von Männern kaum wegdiskutieren.
Die australische Soziologin Raewyn Connell hat für diese Gruppe den Begriff der „hegemonialen Männlichkeit“ geprägt. Sie meint einen Typ von Männlichkeit, der den größten Zugriff auf Ressourcen verspricht – Geld, Sex, solche Sachen. Das Problem der Debatte um hegemoniale Männlichkeit ist, dass gern alle Männer darunter zusammengefasst werden, die meisten von ihnen dem Entwurf aber gar nicht entsprechen. Denn was für den weißen Mittelklasse-Mann gilt, hat für andere nie gegolten. Wissenschaftler wie Jürgen Martschukat finden genau diese Abweichung interessant, weil sie zeigt, dass Männlichkeit erst durch das Zusammenspiel vieler Faktoren wie Herkunft, Religion, Hautfarbe, soziale Klasse oder Sexualität entsteht. „Intersektionalität“ heißt diese Perspektive, die in den USA schon seit den Bürgerrechtsbewegungen der sechziger Jahre in der Wissenschaft angewendet wird. In Deutschland hat man erst in den Neunzigern begonnen, derartige Verbindungen zu untersuchen.
Martschukat ist Professor für Nordamerikanische Geschichte mit dem Schwerpunkt Männlichkeit an der Universität Erfurt. Dass die Männlichkeitsforschung selbst in der Krise steckt, findet er nicht. Im Gegenteil: Geschlecht sei zu einer allgemeinen Perspektive geworden, ohne die kaum ein Historiker mehr auskomme. Wer sich heute in einer Arbeit mit Kolonialismus befasst, muss auch darüber nachdenken, wie Männlichkeit in dieser Epoche definiert wurde. „Auf dem Buch steht dann nicht mehr unbedingt Männlichkeitsforschung drauf“, sagt Martschukat. „Ist aber drin.“
Alte Heldengeschichte
Allerdings sind für ihn auch manche Forscher nicht ganz unschuldig daran, wie in der Öffentlichkeit über Männlichkeit diskutiert wird. So boomen Arbeiten, die Männlichkeit aus einer eindimensionalen Perspektive betrachten. Michael Kimmels Studie Guyland über das Leben von Collegestudenten zählt er dazu. Es geht um Adoleszenz, um die Wünsche junger Männer. Die Frage, wie diese Wünsche zustande kommen, bleibt jedoch unberührt. Für Martschukat ist das ein altbackener Ansatz, der sich einen geschlechterbewussten Anstrich gibt. Im Grunde sei es jedoch die alte Heldengeschichte „mit gutem Gewissen“.
Martschukat versucht es anders. In seinem Buch Die Geschichte des Sozialen, das im April erscheint, kehrt er zu den Meilensteinen US-amerikanischer Geschichte zurück und erzählt jedes Kapitel aus einer anderen Perspektive, mal aus der Sicht einer Frau, mal durch die Augen eines Kindes. Die männlichen Figuren erscheinen im Geflecht von Religion und Rassenpolitik, vor allem aber in ihrer Rolle als Väter. Am Ende tauchen auch die Obamas auf, die sich unablässig als glückliche Familie präsentieren. Auf Fotos umarmen sie sich ständig oder machen gemeinsam den Abwasch. An Baracks Qualitäten als Familienvater soll niemand zweifeln, er ist schließlich Präsident.
Vaterschaftspflicht gilt in den USA als Zeichen politischer Mündigkeit, schwarzen Männern wird diese bis heute oft abgesprochen. Die Ursprünge hierfür verortet Martschukat in der Zeit der Sklaverei, wo schwarze Väter, um frei zu sein, weglaufen und ihre Familien zurücklassen mussten. Blieben sie, so galten sie als unterwürfig und verweiblicht. Noch immer sei die schwarze Familie der Inbegriff des väterlichen Scheiterns. Festgemacht wird dies an der großen Schar alleinerziehender schwarzer Mütter. Obama musste seine Vaterschaft daher im Wahlkampf immer doppelt beweisen: als Mann und als Schwarzer.
Sarah Schaschek beschäftigte sich für ihre filmwissenschaftliche Dissertation auch intensiv mit Geschlechterforschung
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