Antifa(sch)ismuss

Soziale Kämpfe Der Bundespräsident ruft zum Antirassismus auf, denn kein Rassist zu sein, das reiche nicht. Gut so. Kein Faschist zu sein reicht aber auch nicht

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Gegendemonstranten zeigen der AfD-Demonstration am 27. Mai 2018 in Berlin den Mittelfinger
Gegendemonstranten zeigen der AfD-Demonstration am 27. Mai 2018 in Berlin den Mittelfinger

Foto: Odd Andersen/AFP via Getty Images

„Es reicht nicht aus, ‚kein[e] Rassist[*in]‘ zu sein. Wir müssen Antirassist[*inn]en sein!“ Was er sagt, möchte man dazu sagen, denn Bundespräsident Steinmeier hat vollkommen recht. Vor ein paar Tagen traf er sich mit Expert*innen zum Thema Rassismus – Expert*innen, weil sie alle selbst betroffen sind. Und selbst wenn eine Diskussion mit dem Bundespräsidenten noch nicht unbedingt praktische Schritte nach sich zieht – sie war wichtig, denn sie zeigt: Auch in Deutschland müssen wir uns mit Rassismus auseinander setzen. Und das auf allen möglichen Ebenen.

Nach dem Mord an dem Afro-Amerikaner George Floyed in Minneapolis in den USA schlugen die Wellen hoch. Tagelang wurde in den USA und später in großen Teilen der Welt gegen Polizeigewalt und Rassismus demonstriert. Dabei geht es lange nicht mehr nur – als ob das nicht schon genug wäre – um rassistisch motivierte Gewalt bei der Polizei – die immerhin unseren Staat exekutiv vertritt, schlimm genug. Die Diskussion hat sich ausgeweitet, zeigt, wie tief sich Rassismus in unseren Alltag gefressen und unsere Strukturen und Systeme parasitär besetzt hat.

Rassismus ist kein Phänomen der USA, auch wenn gerade Würdenträger*innen – auch wenn sie wohl nicht die Würde von allen zu tragen beabsichtigen – das gerne suggerieren. Es ist ja auch viel bequemer. Vielleicht rufen sie doch noch dazu auf, dass auch Schwarze Leben wichtig sind, #BlackLivesMatter, da kann erst einmal eigentlich niemand etwas sagen. So viele Menschen, wie sich in den letzten Tagen und Wochen zu #BLM bekannt haben – so viele antirassistische Aktivist*innen kannte ich gar nicht. Aber wehe, Black People und People of Color (BPoC) versuchen, ernsthafte Debatten über strukturellen Rassismus in diesem Land loszutreten. Sowas gibt es hier nicht, natürlich.

Was selbstverständlich sein sollte

Die SPD-Parteivorsitzende – heute als Partei nicht mehr unbedingt als sehr radikal verschrien –, Saskia Esken, hat vor ein paar Tagen versucht, eine Diskussion um strukturellen (in ihrer Formulierung sogar „latenten“) Rassismus in der Polizei loszutreten – und wurde direkt auf unterschiedliche Weisen niedergebrüllt. Rassismus nicht sehen zu wollen ist aber genau das Phänomen, das aus strukturellem gesellschaftlichem Rassismus hervorkommt. Wer wollte, konnte schon immer sehen, wie tief verankert Rassismus in dieser Gesellschaft ist – warum sollte es in gesellschaftlichen Institutionen anders sein. Die Diskussion um das „ob“ haben wir eigentlich schon lange abgeschlossen. Rassismus existiert, Punkt. Die Frage ist, wie wir ihn loswerden.

„Antirassismus muss gelernt, geübt und vor allem gelebt werden.“ Wieder hat er recht, unser Bundepräsident. In einer Gesellschaft, in einem System, das von Rassismus durchzogen ist, da kann ich diesen nicht ignorieren, sonst mache ich mich der Beihilfe schuldig. Dafür muss ich noch nicht einmal links sein (wie für alle Kämpfe gegen Diskriminierung übrigens) – ich muss nur das Grundgesetz lesen. Wir sind ein demokratischer Staat, in dem alle Menschen die gleiche Würde genießen, gleich behandelt werden müssen und Diskriminierung aller Art rechtlich verboten ist.

Und damit haben wir unsere Grundlage zur Verpflichtung zum Anti-Rassismus: Wenn wir nicht mindestens danach streben – es erreichen und sicherstellen wird eher noch so eine Jahrhundertaufgabe –, alle Menschen gleich zu behandeln, dann können wir uns das mit der Demokratie, der Menschenwürde, den Menschenrechten, unserem Selbstverständnis auch gleich schenken. Das aber ist der denkbar schlechteste Weg (zeigt sich schon daran, wer den anvisiert…) – und deswegen haben wir eh keine andere Wahl. Bei wem schon nicht reale Zustände und moralische Verpflichtung, Appelle von Betroffenen und Solidaritätsaufrufe von Aktivist*innen ziehen – bei dem vielleicht wenigstens das Grundgesetz.

Und wenn wir schon bei einer Neubelebung des Grundgesetzes als Grundlage einer anti-rassistischen Demokratie sind – dann können wir da gleich weiter machen. Die Grünen haben gerade den Antrag eingebracht, das Wort „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen, weil schon die Theorie, die dieser Idee zugrunde liegt, rassistisch ist. Es gibt keine menschlichen Rassen, von dieser Idee müssen wir uns ein für allemal verabschieden. Oder, wie Habeck es sagt, wir müssen es „verlernen“ – wobei das ein bisschen sehr optimistisch ist. Denn erst einmal muss er weg, der strukturelle Rassismus, und er wird sich vermutlich nicht kampflos ergeben. Jedenfalls sagt es viel aus über Politiker*innen – und andere Menschen –, wenn sie sich nicht einmal mit ersten weitgehend symbolischen und trotzdem wichtigen Schritten wie diesen anfreunden können.

Anti-Diskriminierung, und zwar gegen alle

Und doch sind wir uns bei Anti-Rassismus noch (weitgehend) einig, dass dieser weg muss, wenn wir auch sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wo er steckt und wie er loszuwerden ist. Bei anderen Kämpfen wird es schon schwieriger – dabei sind sie mindestens genauso eindeutig. Und wenn man schon Trump als Gegner hat, dann hat man meistens alles richtig gemacht.

Aber das sehen nicht alle so, und so ist um die Idee des Anti-Faschismus in den letzten Tagen eine große Diskussion entbrannt. „Die Antifa“ sei der Ursprung allen Übels in den USA, so ungefähr hatte Trump es nach Ausbruch der Proteste gegen Polizeigewalt formuliert – und so ungefähr scheinen es auch einige Politiker*innen dieses Landes zu sehen. „Die Antifa“ wolle nur zerstören, man müsse sich von ihr distanzieren, und wer es nicht mache, der stelle sich quasi schon auf eine Stufe mit der RAF. Erik Marquardt hat es treffend formuliert: „Wer ‚die Antifa‘ sagt und sich darunter eine Organisation oder eine geheime Gruppe vorstellt, beweist leider auch vollkommene Unkenntnis über antifaschistische Strukturen.“

Antifa, das steht für Anti-Faschismus, und wem dessen Bedeutung nicht klar ist, dem rate ich dringend, ein Geschichtsbuch aufzuschlagen. Antifa, das ist keine Gruppe, keine Ideologie, das ist im engsten Sinne noch eine Bewegung, die sich gegen den Faschismus aktiv einsetzt. Und der wir eigentlich alle angehören sollte, ja müssten. Wieder eine gute Gelegenheit, das Grundgesetz heranzuziehen, denn dieses verpflichtet uns quasi zum Anti-Faschismus – und wer kann es den Verfasser*innen „verübeln“, mit den eindrücklichen und nie zu vergessenden Bildern des Naziregimes im Hinterkopf. Sei Demokrat*in, sei Antifaschist*in. Sei kein Nazi.

Wenigstens darauf sollten wir uns einigen können. Wenigstens auf das Grundgesetz (aus dem man noch ein paar mehr böse verschriene Anregungen ziehen könnte, ich meine ja nur). Antifaschismus ist nicht links, Antirassismus auch nicht. Menschen als Menschen zu behandeln – das ist muss. Antifa(sch)ismuss.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sarah Kohler

60. Kompaktklasse an der Deutschen Journalistenschule in München

Sarah Kohler

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