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Nachhaltiger Aktivismus Die nächste Generation Aktivist*innen hat verstanden, dass sie das System verändern muss – und daran nicht kaputt gehen darf. Dazu braucht sie keine Belehrungen

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Die neue Generation von Aktivist*innen ist jung
Die neue Generation von Aktivist*innen ist jung

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Während unserem Plenum gesellt sich ein älterer Mann zu uns. Ein Klischee von einem Hippie, er scheint gelebt zu haben, sich von der Sonne verbrennen und seine Haare wachsen lassen. Jetzt ist er ein bisschen alt für die Uni und ein bisschen jung für die Gleichgültigkeit. Und er ist ein bisschen raus aus den Diskussionen, die uns heute bewegen, die wir gerade führen, wenn wir uns im Plenum treffen und planen und diskutieren.

Das hält ihn aber nicht davon ab, uns die Welt zu erklären. Nein, nein, er gibt sein Wissen gerne weiter, seine Weisheit, die Weisheit eines alten weißen Mannes. Und auch wenn er nicht der typische Fall zu sein scheint – anmaßend ist er mit Bravour. Es geht darum, ein gutes Leben zu haben, erklärt er uns. Ein gutes Leben, das man schon beginnen muss, wenn man jung ist. Jung wie wir.

Er habe gelebt, erklärt er uns. Die Alten hätten gelebt, sie hätten es den Jungen gezeigt, erklärt er uns. Man muss einfach tanzen, wenn man es will. Und Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters – denn wer fröhlich ist, ist schön. Schöne Worte, nichtssagende Worte. Er hört sich an wie ein junger Hippie, der das Hippsein als Lebensstil gerade adaptiert hat – weil man das eben so macht. Und es erzählt sich halt so gut.

Wir brauchen keine Welterklärer

Es hat keinen Inhalt, es sind leere Worte, es sagt nichts darüber aus, was glücklich macht, wenn es denn etwas gibt, von dem man sagen kann, dass es glücklich macht. Es sind Klischees, die man sich gut erzählen kann, um sich selbst zu bestätigen. Dass alles toll ist und dass man alles richtig gemacht hat. Aber es ist keine Aufgabe. Es ist egoistisch, es ist verblendet, es ist kein Anliegen, es ist weltfremd, es ist einfach – viel zu einfach.

Die Alten müssen uns nicht die Welt erklären. Jedenfalls nicht so. Wir haben nichts davon, zu hören, dass wir glücklich sein sollen. Und dass wir machen sollen, worauf wir Lust haben, aber das bitte schon immer ein bisschen anders als die anderen – und bloß nicht zu sehr. Die Alten müssen uns nicht die Welt erklären. Ein schönes Leben. Nein, Geschichte geschrieben haben noch nie diejenigen, die für sich ein gutes Leben wollten. Geschichte schreiben sollten die, die ein gutes Leben für alle wollen.

Wir haben das verstanden. Fridaysforfuture stellt das System in Frage, EndeGelände ruft nach der Abschaffung des Kapitalismus, die Seenotrettung schafft Tatsachen der Menschlichkeit, Unteilbar kämpft gegen jede Art der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Die Jugend hat das verstanden. Ganz ohne Welterklärer.

Über uns hinauswachsen

Plötzlich war diese Bewegung da, dieser Elan, diese Aufbruchsstimmung. Das war sie natürlich nicht. Aber es fühlte sich so an. Und dann diese Begeisterung über alles und für alles, die da war und die da blieb und in Aktivismus endete. Es tut sich was hier in unserer Kleinstadt – und das v.a. bei Schüler*innen und Studierenden. Wir haben die Gelegenheit ergriffen. Und viele haben sich angeschlossen, ungeahnte Talente an den Tag gelegt und Motivation herbeigezaubert.

Wir haben es uns gegenseitig beigebracht. Und natürlich bauen wir auf schon dagewesenen Praktiken und Wissen auf. Aber vor allem haben wir uns „gegenseitig befruchtet“, haben beim Gruppenbilden und Strategiebesprechen gelernt, wie unterschiedlich Kommunikation und Organisation funktionieren kann. Und wie es tatsächlich funktioniert. Wir sind über uns hinausgewachsen. Weil wir die Chance bekamen, weil wir Herausforderungen angenommen haben. Weil wir uns getragen fühlten.

Nachhaltigkeit auch im Aktivismus

Journalist*innen schreiben, die Bewegung heute sei besser organisiert, besser strukturiert, sauber und grün, achtsam und sorgsam. Manchmal schwingt ein Unterton von Verachtung mit. Die Linken, die Grünen, sind sie bieder geworden? Das ist ein seltsames Bild von Aktivismus. Aktivist*innen sind Menschen. Diese Menschen bauen diese Bewegungen ehrenamtlich auf – nebenbei, stecken aus Idealismus und emotionaler Involviertheit viel Energie in ihre Projekte.

Das ist gut. Nur manchmal ist es zu viel. Und dann ist ein Netz, das einen auffängt, das darauf schaut, wie es den einzelnen Aktivist*innen geht, wichtig. Es geht um das große Ganze, aber das heißt nicht, dass wir einzelne opfern.

Nachhaltiger Aktivismus ist essenziell. Die neue Generation Aktivist*innen hat das verstanden. Denn es wird ein langer Kampf.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sarah Kohler

60. Kompaktklasse an der Deutschen Journalistenschule in München

Sarah Kohler

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