Impfen als praktische Hoffnung

Junge Menschen und Corona Wie viele junge Menschen hatte ich Angst, beim Impfen einfach übrig zu bleiben. Dann bekam ich einen Termin,und ein bisschen Hoffnung. Eine Wartezimmergeschichte

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Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass ich noch Wochen auf einen Impftermin warten müsste. Dass wir jungen Menschen beim Ende der Pandemie und beim kollektiven Schutz gegen Corona immer schon wenig Rolle zugewiesen bekommen haben, ist ja sehr offensichtlich. Vielleicht sind wir noch die, die angeblich mit ihren „Corona-Partys“ das Infektionsgeschehen am Laufen halten – was nicht stimmt –, aber irgendwie spricht man dann doch lieber von den Schüler*innen und deren Sozialleben, von den Alten und dass man sie schützen muss, und selten auch mal von den Risikogruppen. Als irgendwann sehr offensichtlich wurde, dass die Impfreihenfolge mehr schlecht als recht zusammengebastelt und priorisiert wurde, und der Zugang zu Impfstoff doch sehr von Vitamin B abhing, habe ich viele um mich herum langsam resignieren sehen. Als meine Familie endlich durch war – Risikopatienten und Priorisierte wegen Arbeit – und mein Freund, Risikopatient, endlich geimpft wurden, habe ich vor Erleichterung geheult, und nicht mehr viel erwartet.

Dann habe ich mich in der Praxis, in der eine Freundin von mir gerade arbeitet und mir Bescheid gesagt hat, – offen zugänglich, man musste nur an die Information kommen – auf die „Resteliste“ setzen lassen, wie schon bei meiner Hausärztin. Meine Freundin meinte, es würden oft Menschen gesucht, die schnell einspringen könnten, wenn jemand seinen Termin absagen würde, oder wenn man noch Menschen bräuchte, um „aufzufüllen“, damit es sich also lohnt, einen Impfstoff anzubrechen. Diese Listen sind für Prio-4-Menschen wie mich, glaube ich, auch die einzige Chance gerade. Denn obwohl letzten Montag die Impfreinfolge aufgehoben wurde, halten sich die meisten noch daran – was sehr sinnvoll ist, wie ich finde – und wer es nicht tut, verteilt, nach dem was man so spricht, weiter vor allem nach Vitamin B. Vermutlich gibt es auch irgendetwas dazwischen, aber ich habe so viel gehört, da habe ich irgendwann nichts mehr erwartet.

Umso mehr bin ich überrascht und überrumpelt als mich die Sprechstundenhilfe am gleichen Tag noch einmal anruft und fragt, ob ich wohl auch heute um 16h schon könnte, es sei ihnen jemand abgesprungen und sie habe mich gerade auf der Liste. Und wie ich heute um 16h kann. Völlig überfordert – in meine derzeit doch eher pessimistischen Weltsicht passte das ja jetzt mal überhaupt nicht rein – suche ich also meine Sachen zusammen, krame meinen Impfpass raus – nicht mal die Mühe hatte ich mir bisher gemacht, keine falschen Hoffnungen wecken – und wir ziehen los.

Impfaufregung

Als ich in die Praxis komme ist noch nichts los. Kein Wunder, ich bin schließlich eine halbe Stunde zu früh dran. Die Sprechstundenhilfe liest meine Karte ein, nimmt meinen Impfpass und gibt mir mehrere Seiten Papier zum Ausfüllen. Ich setze mich ins Wartezimmer und fülle die Seiten aus. Es geht um mich und meine Krankengeschichte, eine Aufklärung über der Impfstoff von Biontech/Pfizer und dass mRNA nicht bedeute, dass die DNA verändert werde, oder ähnliche Mythen. Ich gebe das Klemmbrett wieder ab und warte. Nach und nach füllt sich das Wartezimmer, ein paar Leute, die nämlich, die nicht erst verdächtig nach Impfung aussehende Dokumente ausfüllen, werden aufgerufen, andere bleiben sitzen, geben Klemmbretter ab und warten weiter noch ein bisschen. Wie ich.

Irgendwann sind wie sieben Menschen, die hier schon länger sitzen. Ein junges Paar, eine Frau in meinem Alter, zwei ältere Männer und eine mittelalte Frau. Eigentlich kein klassisches Impf-Team, aber das ist eine Nervenpraxis, da sind die Ü80 wahrscheinlich schon ein bisschen länger durchgeimpft. Irgendwann fängt jemand ein Gespräch an, ich weiß nicht mehr genau, wer, aber es war bestimmt die etwas nervös wirkende junge Frau. Sie spricht mit ihrem Partner und dabei auch leicht in den Raum rein. Einer der älteren Männer antwortet ihr, und ich meine, ja, wir sind sehr verdächtig sieben Menschen für sieben Biontech/Pfizer-Impfdosen, und da hören wir draußen tatsächlich schon die Sprechstundenhilfe, die dem Arzt zu rufen scheint, es wären alle da, er könne jetzt dann mal anfangen. Es kommt eine unverständliche Antwort, und es klappert.

Dann werde ich als erste aufgerufen, das frühe Dasein muss sich ja gelohnt haben. Ich gehe zum Impfarzt. Er begrüßt mich freundlich, weist mich an, Platz zu nehmen. Er meint, es wäre alles nicht so schlimm, es tue nicht weh, während er meinen linken Oberarm desinfiziert und die Spritze vom vorbereiteten Tablett nimmt. Ob ich Patientin bei ihnen sei, fragt er, und ich verneine und erkläre, eine Freundin, die hier ab und zu arbeite, habe mir Bescheid gegeben. Er nickt und lacht und meint, ich solle ihr einen schönen Gruß sagen. Dann sticht er mich und es tut doch irgendwie weh, aber nicht sehr. Gut, dass ich keine Nadelphobie habe. Es fühlt sich irgendwie nach Druck an, als ob da einfach ein bisschen zu viel Flüssigkeit in meinem Oberarm wäre – das ist sie ja auch. Er lässt mich kurz drücken und klebt dann ein Pflaster auf die Stelle. Damit bin ich entlassen.

Wartezimmersolidaritäten

Ich gehe zurück ins Wartezimmer, ich soll noch eine Viertelstunde warten. Man will sehen, ob ich direkte Reaktionen auf die Impfung zeige. Der nächste geht rein und so werden wir nacheinander zum Impfen gerufen. Das schafft ein eigenartiges Zusammengehörigkeitsgefühl. Die junge Frau meint, sie sei schon ein bisschen aufgeregt, das sei ja schon was Besonderes. Ich nicke und meine, ich könnte das verstehen. Ihr Partner grinst, dann geht er impfen. Ihr tue der Arm schon ein bisschen weh, meint sie, und ich nicke wieder, mein Arm auch. Die ältere Frau schüttelt den Kopf, sie habe gar nichts gespürt, der Mann neben ihr meint, das sei doch gut. Der zweite lacht und sagt, hoffentlich hätten sie nicht Placebo bekommen, und ich meine, so zu siebt hätten wir bestimmt eine gute Chance, dass es stimmt.

Der Mann kommt wieder und fragt in die Runde, ob wir wüssten, wie das mit dem digitalen Impfpass ist, und einer der älteren Männer und ich sagen, wir glauben, dass das erst bei der zweiten Impfung komme. Und so sitzen wir noch ein bisschen da, bis sie Sprechstundenhilfe – übrigens die Einzige hier, die keine Maske trägt – wieder vorbeischaut. Sie fragt, ob es allen gut gehe, und meint, wir könnten dann jetzt gehen. In vier Wochen würden sie uns für einen Impftermin in sechs Wochen wieder anrufen. Ich hätte den gerne gleich gehabt, aber so geht es wohl auch. Also verabschieden wir uns alle und gehen etwas zögerlich nacheinander aus der Praxis. Die sind bestimmt auch froh, uns wieder aus dem Wartezimmer zu haben. So richtig begreifen kann ich es auch noch nicht.

Jetzt bin ich geimpft, und das auch noch ohne krumme Wege. Als ich abends mit ein paar Leuten darüber rede, erfahre ich von viel mehr Menschen, als ich dachte, dass sie auch schon ihre erste Impfung haben. Man prahlt damit nicht in einer Gruppe junger Menschen – man weiß, wie es ist, wenn man Angst hat, übrig zu bleiben. Jede geimpfte Person ist gut gegen die Pandemie, meint eine Freundin, und obwohl sie natürlich rational Recht hat, tröstet das Ungeimpfte emotional wenig. Denn geimpft werden sollte nicht von den Bemühungen darum abhängen – dann bleibt es klassistisch. Global gesehen ist es das ja eh schon.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sarah Kohler

60. Kompaktklasse an der Deutschen Journalistenschule in München

Sarah Kohler

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