Opportunismus und Brandstiftung

Notre-Dame brennt In Frankreich brennt eine berühmte Kathedrale, Menschen trauern, Verschwörungstheoretiker jubeln, Milliardäre spenden. Opportunismus und Menschenverachtung sind nie weit.

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Leiden sollte nicht gegen Leiden ausgespielt werden, Zerstörung nicht gegen Zerstörung. Notre-Dame hat gebrannt, und das ist wichtig, und das ist schockierend. Wer die Bilder gesehen hat, kann verstehen, warum das Menschen trifft. Medien machen Liveticker, verbreiten Bilder, geben Entwarnung, soweit man das Entwarnung nennen kann. Das Thema ist omnipräsent, nicht nur in Frankreich, nicht nur in Europa, sondern weltweit. Dass das auch, vielleicht sogar vor allem, mit der Mediendynamik zu tun hat, ist klar. Eurozentrismus pur, nichtsdestotrotz wichtig und richtig zu berichten.

Die Kathedrale ist ein Symbol, und wird gerade noch mehr zu einem Symbol, zu einem Wahrzeichen, zur Seele einer Nation stilisiert. Menschen in und außerhalb Frankreichs trauern, und teilen ihre Trauer. Instagram-Storys und Facebook-Feeds sind voller Fotos einer noch intakten Kirche, persönliche Erinnerungen mischen sich mit offiziellen Bildern und Statements. Menschen sind getroffen, und das ist okay. Eine brennende Kirche mitten in Paris, mitten im Herzen Frankreichs, das trifft.

Und Macron macht alles richtig, er reagiert sofort. Gerade, dass der nationale Notstand nicht ausgerufen wird; praktisch scheint er da. Der Präsident twittert, pathetisch und voller Emotionen, wendet sich „an sein Volk“, dramatisch und beruhigend zugleich. Er sagt seine Rede ab, trauert, das will ihm ja niemand absprechen, aber er tut es sehr öffentlich. Die Kathedrale ist plötzlich das einzige politisch relevante Thema, wie es scheint. Und natürlich profitiert er davon. Staatspräsidenten profitieren immer von Krisen. Und gerade jetzt, gerade jetzt wo die Gelbwesten stark bleiben, ihm etwas entgegensetzen – und die Europawahl vor der Tür steht. Eine Wahl, die für ihn auch ein Test ist. Da kommt ihm, ohne etwas unterstellen zu wollen, diese Krise doch gelegen.

Opportunismus wohin man sieht

Doch nicht nur politisch zeigt sich schnell „wer profitiert“. Binnen Stunden wird Geld versprochen, viel Geld, um die Kathedrale, ja um Frankreich, wieder aufzubauen. Die reichen Familien Frankreichs engagieren sich scheinbar, engagieren sich mit viel Geld, so wie sie es können, um den Schaden zu beheben. Und das tun sie sehr öffentlichkeitswirksam. Doch nicht nur sie, auch andere sind schnell dabei, es werden Spendenkonten und Aufrufe hochgezogen und verbreitet, um die Kirche wieder aufzubauen. Eine weltweite Solidarität für eine Kathedrale.

Dass das natürlich nicht so richtig selbstlos ist, erklärt sich von selbst. Die reiche Elite Frankreichs genießt gerade – wahrscheinlich sogar immer – keinen guten Ruf; gegen „die da oben“, gegen „die Machtelite“, das ist in Frankreich immer noch ein präsenter Kampfaufruf, nicht zuletzt von den Gelbwesten. Sich etwas selbstlos, etwas gemeinnützig, vielleicht sogar patriotisch zu geben, das kann nicht schaden. Und dafür bietet sich nun – und auch das ohne Unterstellung – eben doch eine sehr gute Gelegenheit. Opportunismus pur, so kann das auch gelesen werden.

Nach Krisen können sich wirtschaftliche wie politische Elite meistens neue Freunde machen, sich meistens inszenieren, sich engagieren, für Menschen, die verunsichert sind. So war es in der Vergangenheit, so ist es diesmal auch. Das verrückte ist nur: Hier geht es nicht um Menschen, hier geht es um eine Kathedrale, um Steine, auch wenn diese symbolisch beladen sind. Es wird eine Rettung Frankreichs inszeniert, die sich an einem Gebäude aufhängt.

Wer profitiert

Wie absurd das ist, wurde schnell diskutiert. Menschen sind überrascht, von dem Ausmaß an Trauer, das Menschen für ein Gebäude aufbringen können. Online wie offline – wenn auch wohl in sehr unterschiedlichem Ausmaß und Schärfe – polarisiert das Ereignis sehr schnell. Twitter explodiert, Meinungen prallen aufeinander, Beleidigungen, Häme fast. Relativierung ist falsch, Menschen dürfen trauern, Menschen dürfen schockiert sein, ein Gebäude ist nicht immer nur ein Gebäude, Bilder können beeindrucken. Leiden sollte nicht gegen Leiden ausgespielt werden.

Aber es ist einfach zu erschreckend. Es ist erschreckend, wie schnell Hilfe da ist, für ein Gebäude. Es ist erschreckend, wie schnell Hilfe da ist, wenn ein guter Ruf in Aussicht steht, etwas Ruhm, etwas Anerkennung. Wohltäter wollen sie sein, und doch haben sie sehr lange weggesehen. Die Trauer, vielleicht sogar die übertriebene Trauer, die Symbolik und der Medienhype ansich, sie sind nicht das Problem. Das Problem sind die Reaktionen, die Reaktionen auf die Reaktionen, auf die Trauer – und der Profit, der sich daraus schlagen lässt, der sofort erkannt wurde, von bestimmten Eliten, von Opportunisten.

Der fluter stellt dar, wofür Geld da ist: Innerhalb von 48 Stunden, da ist es möglich, 880 Millionen Euro für Notre-Dame, für eine Kirche, aufzubringen; in einem ganzen Jahr 2017 war es nicht möglich, mehr als 1,6 Millionen Euro für Sea-Watch, für die Seenotrettung, für Menschen, aufzubringen. Ja, das sind verschiedene Themen, doch sind die Prioritäten markant. Menschen in Seenot haben nichts, sie kämpfen um das nackte Überleben, sie sind angewiesen auf uns. Shapira bringt es gut auf den Punkt, wenn er sagt, warum eigentlich wir für eine Institution spenden sollen, die so reich ist wie die Kirche. Ja, die Notre-Dame ist staatlich, und doch es ist absurd. Es ist einfach absurd.

Menschenverachtung lässt grüßen

Und es geht immer noch schlimmer. Denn nicht nur, dass Menschen indirekt profitieren von der Trauer anderer Menschen – Menschenverachtung ist auch, wenn nicht sogar vor allem, beim Leiden anderer Menschen nicht weit. Die schlimmsten Verschwörungstheorien ranken sich schon kurz nach dem Ausbruch des Brandes um das Geschehen, Geschichten, die schon fast nicht mehr als Fake News bezeichnet werden können, die eher Brandstiftung ähneln, Brandstiftung gegen die Menschlichkeit. Die AfD spricht die Flüchtlinge schuldig, wen auch sonst. Rechte Hetzer warnen vor angeblich islamistischen Anschlägen, vor einem Kreuzzug gegen das Christentum, natürlich von den Muslimen, von wem auch sonst.

Doch auch Journalisten ziehen mit, angeblich freuen sich Muslime, angeblich feiern sie den Brand, bis herauskommt, doch alles ein bisschen anders gewesen. Mit Kulturen sollte man sich auskennen, bevor man sie interpretiert; polarisiert wird genug. Auf der anderen Seite wollen Gelbwesten gesehen worden sein, nichts ist dran, es sind Feuerwehrmänner. Wie schnell sich Falschmeldungen verbreiten, wie gern sie geglaubt werden, wie wenig Fakten es braucht, das zeigt sich hier sehr schnell.

Das ist kein Opportunismus mehr, das ist Menschenverachtung. Das ist Feuer gegen unschuldige, und Feuer, das wollten sie eigentlich löschen. Doch Angst verkauft sich, und manche wollen eben nicht löschen, sondern Feuer schüren. Die Dynamik der Massenmedien hat sich von ihrer besten – schlechtesten – Seite gezeigt, Twitter auch. Manche sehen darin eine Chance für ein vereintes Europa, für einen Neuanfang für Europa, auf Trümmern quasi, ein gemeinsamer Wiederaufbau. Gleichzeitig schimpfen andere, über Ignoranz, über Unmenschlichkeit, darüber, dass es erst brennen muss, bevor etwas getan wird. Dass nur etwas getan wird, gegen Brände, die alle sehen können, die inszenierter sind, von den profitiert werden kann. Und nicht gegen die anderen.

Es ist schade, denn überrascht von diesen Reaktionen, von diesem Opportunismus, von dieser Menschenverachtung und Ignoranz, das sind wir eigentlich nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sarah Kohler

60. Kompaktklasse an der Deutschen Journalistenschule in München

Sarah Kohler

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