Neuentdeckung Frau

Patriarchale Medizin Frauen* nehmen die Pille, weil sie keine Alternativen haben. Diese Alternativlosigkeit hat ihr die Medizin zugestanden – die Medizin im Patriarchat

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Sieht aus wie Bonbons, wird verschrieben wie Bonbons – sind aber keine Bonbons: die Anti-Baby-Pille
Sieht aus wie Bonbons, wird verschrieben wie Bonbons – sind aber keine Bonbons: die Anti-Baby-Pille

Foto: Philippe Huguen/AFP via Getty Images

Vor ein paar Tagen habe ich hier einen Text veröffentlicht, in den ich all meine Wut über die Anti-Baby-Pille, deren Einsatz und das Konstrukt außenherum – es nennt sich Patriarchat – habe fließen lassen. Ich habe schlechte Erfahrungen mit der Pille gemacht, meine Freundinnen, mit denen ich darüber gesprochen hatte, ebenso. Ich war – und ich bin es im Prinzip immer noch, aber jetzt noch besser begründet, dazu mehr gleich – überzeugt davon, dass wir dieses Ding loswerden müssen.

Jetzt weiß ich aber, dass das Problem, für das die Pille steht, noch perfider ist. (Im Kern heißt es natürlich immer noch das Patriarchat, aber wen wundert das.)

Ich habe mich darüber aufgeregt, dass die Pille vielen jungen Frauen verschrieben wird, gar nicht mal zur Verhütung, sondern wegen anderer Dinge: Pickel, Haare, unangenehme Nebenwirkungen der Pubertät. Und das, obwohl die Pille zwar zeitweise diese Unannehmlichkeiten abmildern kann, sich junge Frauen dann aber nicht selten mit den neuen Unannehmlichkeiten der Pille herumschlagen – die weniger gut in den Griff zu bekommen sind. Ich bin überzeugt – auch wenn man in dem Alter natürlich anderer Meinung ist –, dass es das nicht wert sein kann. Und deswegen muss mehr Aufklärung her.

Auf meinen Text habe ich viele Reaktionen bekommen. Viel Zustimmung, viel Verständnis, viel ähnliche Erfahrung. Und dann ein paar, die mich zum Nachdenken gebracht haben.

Die Pille als Behandlung

Einige schrieben mir, dass sie die Pille gegen Menstruationsbeschwerden nehmen, gar nicht so sehr wegen der Verhütung. Das empfehlen tatsächlich sogar Frauenmagazine und Ärzt*innen. Mit der Pille hätten Frauen oft weniger Regelschmerzen als ohne. Das macht natürlich Sinn, denn mit der Pille haben wir Frauen* ja am Ende gar keine wirkliche Blutung mehr – es ist eine reine „Abbruchblutung“. Wo sich keine Eizelle aufbaut, da muss sie auch nicht ausgeblutet werden.

Wenn man sich die lange Liste an Nebenwirkungen ansieht, die die Pille mit sich bringt, dann fragt man sich jedoch: Gibt es da nichts Besseres? Etwas, das auch darauf ausgelegt ist? Wir recherchierten, und fanden – nicht wirklich etwas. Tees und gute Gedanken, darauf lässt sich die Ausbeute im Wesentlichen zusammenfassen. Manche nehmen Schmerzmittel, doch wirklich abgestimmt ist keines auf die Regelschmerzen.

Denn die haben ja nur Frauen*. Schon immer. Sehr leicht erforschbar, da ungefähr die halbe Menschheit als Versuchsobjekt nutzbar. Aber was interessiert das die andere Hälfte.

Eine andere Freundin schrieb, sie nehme die Pille wegen des Verdachts auf Endometriose. Auch das macht von der Wirkweise der Pille irgendwie Sinn, weil die, wenn man sie durchnimmt, verhindern kann, dass man Blutungen hat. Sie ist zwar zur Behandlung der Krankheit in Deutschland nicht offiziell zugelassen, bei Verdacht wird sie aber doch nicht selten eingesetzt. Sie führt Hormone zu – wenn auch mehr als nötig.

Und auch hier gibt es kaum eine einfachere Möglichkeit. Und das ist einfach nur ein Skandal.

Patriarchale Medizin

Endometriose ist eine noch nicht lange entdeckte Krankheit dafür, dass Frauen* schon immer bluten und wohl auch schon immer unter dieser Krankheit leiden. Viel zu lange wurden die Schmerzen aber einfach als Regelschmerzen abgetan. Das allein ist schon total daneben, wenn man bedenkt, wie krass diese Schmerzen bei Betroffenen sein können.

Doch viel einschneidender ist, dass die Krankheit auch heute kaum erforscht ist – und auch nicht genug erforscht wird. Zwar weiß man heute, dass man an die Hormone heranmuss – mehr als Symptombehandlung ist aber kaum drin. Denn die Ursache für die Erkrankung haben die Forscher*innen bis heute nicht entschlüsselt. Aktivist*innen beklagen, dass viel zu wenig Geld in die Forschung gesteckt wird, als dass sich daran bald etwas ändern könnte.

Man stelle sich vor: Frauen* sind tatsächlich von der Anti-Baby-Pille abhängig – weil es nichts Besseres gibt. Sie nehmen Hormonpräparate, die ihr körperliches Gleichgewicht viel mehr durcheinanderbringen, als es zur Behandlung ihrer jeweiligen Leiden nötig wäre – weil die Wissenschaft noch nichts Besseres entwickelt hat.

Für Regelschmerzen, die wir Frauen* schon immer mit uns rumtragen.

Für Endometriose, eine Krankheit, die wirklich Lebensenergie raubt.

Die Pille und ihr durchschlagender Erfolg bis heute – und heute nimmt die Verhütung mit Hormonen ja tendenziell eigentlich ab – hat sie also wohl auch ihrer Alternativlosigkeit zu verdanken. Ihrer Alternativlosigkeit in einer Medizin-Wissenschaft, die quasi gerade erst die Frau entdeckt hat – mit ihren doch ganz eigenen Leiden.

Es ist eine patriarchale Medizin, und das muss sich ändern. Und dann müssen wir erst recht die Pille loswerden – weil wir sie durch Besseres ersetzen können.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sarah Kohler

60. Kompaktklasse an der Deutschen Journalistenschule in München

Sarah Kohler

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