Politik null, Journalismus minus eins

Wahlberichterstattung Der Bundestagswahlkampf ist komplex, Inhalte undurchsichtig. Neben den neuartigen „Triellen“ führt auch ein verquerer Politikjournalismus zu Chaos

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Trielle – auch so eine Sache, die in dieser Form der Demokratie nicht helfen
Trielle – auch so eine Sache, die in dieser Form der Demokratie nicht helfen

Foto: Michael Kappeler - Pool/Getty Images

Jetzt also drei Kanzlerkandidat*innen statt zwei, jetzt also politischer Wahlkampf im Privatfernsehen, jetzt also Instagram und Twitter als Wahlkampfmedien. Alles scheint komplizierter geworden zu sein in diesem Wahlkampfjahr 2021, alles ein bisschen mehr, ein bisschen schneller, ein bisschen polarisierter, ein bisschen mehr unter der Gürtellinie und in das Privatleben der Kandidat*innen (wobei, vor allem der Kandidatin ohne *) hinein.

Andere Länder in Europa haben es vorgemacht. In Frankreich standen vor ein paar Jahren plötzlich nicht mehr die Sozialisten den Konservativen gegenüber, sondern ein Liberaler einer Rechtsextremen. Das alte Parteiensystem hat sich zerlegt, es war nicht mehr berechenbar, worauf das wohl hinausläuft. So weit ist es in Deutschland zwar nicht, doch drei Kanzlerkandidat*innen, die sich ernsthafte Chancen ausrechnen können, das gab es bislang noch nicht. Nach dem vor einiger Zeit noch relativ sicher prognostizierten Untergang der SPD sieht es jetzt zwar nicht mehr aus, Volksparteien scheint es aber nun drei zu geben.

Herausbildung einer neuen Volkspartei und Chaos im Wahlkampf scheint auch zu heißen, sich von Inhalten zu verabschieden. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat gerade festgestellt, dass keine Partei ein Programm vorgelegt hat, mit dem Deutschland seine im Klimaschutzgesetz festgelegten Klimaziele für 2030 erreichen kann. Wen also wählen? Als linker Mensch, der hinter der Klimagerechtigkeit in all ihren Facetten steht, wird es dieses Jahr vielleicht noch unmöglicher, eine passende Stimme abzugeben, als es das sowieso schon immer war. Taktisch zu wählen könnte ebenfalls schwierig werden – denn wer weiß schon, wer mit wem was wann und wie zusammenarbeiten wollen wird. Keine Strategie ist auch eine.

Neben der Komplexität des sich neu herausbildenden Parteiensystems und der Verabschiedung von Inhalten macht der Fokus auf einzelne Menschen das Ganze nicht einfacher. Personifizierung von Wahlkämpfen ist zwar nichts Neues, dass es aber gar so wenig um Sachfragen geht, das nervt dann doch. Da wird dann lieber die einzige antretende Frau nach ihrem Privatleben gefragt und von rechten Blogs zerlegt. Wie viel Angst rechte Blogger vor linken (links-liberalen) Frauen haben, zeigt die Vehemenz und die Skrupellosigkeit mit der halbwahre Vorwürfe aufgebauscht werden – von unserem Lieblingsklatschblatt, von Twitter-Trollen, von selbsternannten Konservativen.

Nicht nur Trolle, sondern auch etablierte Medien

Das ist in seiner Brutalität vielleicht neu, im Grundgedanken aber nicht. Umso mehr schmerzt es medienaffine Wahlkampfbeobachtende in diesem Jahr, politischen Journalismus zu verfolgen. Denn wenn man von der Bild oder ähnlichen Verrissblättern nichts anderes gewohnt ist, so hofft man doch umso mehr auf eine einordnende, kritische, hinterfragende Rolle der anderen Medien. Umso mehr überrascht es immer wieder, wie wenig Lehren aus den letzten jahren gezogen wurden. Dabei haben sich hier die Gefahren von Social Media-Bubbles und Algorithmen-Wahlkampf bereits auf heftige Weise gezeigt.

Da werden Vorwürfe übernommen statt eingeordnet – oder gekonnt ignoriert, obwohl sie offensichtlich keinen Nachrichtenwert haben – und damit weitergetragen, statt sich inhaltlich mit den Parteien und ihren Spitzenkandidat*innen zu beschäftigen. Objektivität und Neutralität im Journalismus heißen nicht, einfach alles zu bringen und nebeneinander zu stellen. Seiner durchaus wahlentscheidenden Rolle muss sich wohl ein guter Teil der großen Medienhäuser noch bewusst werden – auch, um dem Boulevard und der Klatschpresse etwas entgegenzustellen.

Das heißt eben gerade nicht, wie diese Klatschpresse zu werden. Streit statt Diskussion, Action statt Information, vielleicht auch Zuschauerzahlen statt Demokratisierung – so oder so ähnlich scheinen sich die Ziele der Kandidat*innen-Runden vor der Wahl verschoben zu haben. Politische und ehrliche Antworten provozieren und Unterschiede zwischen den Parteiprogrammen herausarbeiten zu wollen, bedeutet nicht, AfD-Fragen zu stellen. Wie viel kostet Klimaschutz, wie viel soziale Gerechtigkeit – das sind weder sinnvolle noch in irgendeiner Art neutrale oder konstruktive Fragen, um in einem Triell Kanzlerkandidat*innen zu klaren Stellungnahmen zu bekommen.

Es war ein Kampf, aber einer, den weder Kandidat*innen noch Moderator*innen gewonnen haben. Das letzte Triell konnte bei politikinteressierten Menschen nur Kopfschütteln und bei allen anderen nur Kopfrauchen verursachen, denn es war weder sehr verständlich noch inhaltlich sonderlich sinnvoll aufgezogen. Und eine Nachbesprechung, in der sich wieder Politiker*innen aus den gleichen Parteien wie die Kandidat*innen gegenseitig die quasi gleichen Argumente an den Kopf werfen, hat kaum Existenzberechtigung. Und das kann man noch nicht einmal diesen Parteipolitiker*innen vorwerfen – was sollen sie denn anderes tun?

Journalismus ist politisch, Medien die vierte Gewalt

Der politische Journalismus hat in diesem Wahlkampf noch wenig Glanz auf sich gezogen. Dabei wäre er in einer von Fake News, Faktenverdrehung, verkomplizierten Diskussionen und durch eigene Bubbles strukturierten Informationswelt umso wichtiger. Wenn ein Jugendmedium wie funk als erstes auf die Idee zu kommen scheint, Faktenchecks anzubieten, während Moderator*innen Behauptung gegen Behauptung einfach stehen lassen oder selbst auch noch eigene Falschbehauptungen in den Raum werfen, dann ist das einfach kontraproduktiv – von der mangelnden Professionalität mal abgesehen.

Nicht umsonst haben wir in Deutschland eine wehrhafte Demokratie. Eine Demokratie, die auch dazu aufgerufen ist, sich zu verteidigen gegen seine Angreifer – ganz gleich welcher Art. Der Journalismus als vierte Gewalt gehört sollte in der Demokratie eine zentrale Rolle spielen. Und dazu gehört es nicht nur, Politiker*innen eine Plattform zu geben. Dazu gehört Einordnung und Faktencheck, Nachfragen und Kritisieren, Sorgfalt und Umsicht im Umgang mit Informationen und deren Nachrichtenwert – und mit dem eigenen Einfluss. Die Wichtigkeit von Umfrageergebnissen – so wenig repräsentativ sie auch sein mögen – ist dabei nur ein Faktor. Denn am Ende gewinnen doch immer mehr Medien die Wahlen mit dem, was, wie und wie viel sie berichten. Dabei muss die Demokratie die Gewinnerin sein.

Darum brauchen wir einen politischen Journalismus, der seine Rolle als Verteidiger der Demokratie wieder ernst nimmt. Denn Wahlkämpfe sind heute schon anstrengend genug.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sarah Kohler

60. Kompaktklasse an der Deutschen Journalistenschule in München

Sarah Kohler

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