Julia ist manchmal Frank

Theater Ein Besuch bei Julia Häusermanns Stück "Ich bin's Frank"

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Als Sturm geboren. Stark geboren. Falsch geboren. Missgeboren. Blind geboren. Sehend geboren. Geboren als Mann. Zu Großem geboren. Geboren.

Julia Häusermann ist zum Spielen geboren. Sie tanzt und stampft. Sie turnt und rennt. Sie schwimmt und rollt über die Bühne. Ihre orange Turnhose leuchtet. Sie streicht sich die Haare aus dem Gesicht und blickt ins Scheinwerferlicht.

Häusermann ist Schauspielerin und manchmal ist sie Frank. Sie spielt für das Publikum und sie spielt für sich selbst. Und das findet sie toll. In „Ich bin’s Frank“ entführt sie die Kammerspiel-Zuschauer*innen in ihre Welt.

Auf der Bühne steht ein Felsen, das Licht malt schummerig Farben auf die Leinwand. Ein quietschendes Geräusch ertönt, ein Reifrock aus Metall hängt von der Decke. „Es gibt einen Körper. Einen Körper ohne Ort. Aber mit Zukunft“, sagt Häusermann in Schweizerdeutsch durch den Lautsprecher. Und bringt mit ihrem Körper das Theater zum Staunen.

Häusermann tritt durch einen langen Vorhang auf die Bühne. Sie reißt ihn ab und trägt ihn als Schleppe. „Ich bin eine offene Biographie. Eine spielerische Einladung“, sagt sie. Ein Helfer gibt ihr viele blaue Blumen.

Sie nimmt die Blumen und bietet sie dem Publikum an. Eine für dich und eine für sie und eine für ihn. Der junge Mann auf dem Stuhl schaut sie an. Ob er gemeint ist? Häusermann lacht und beginnt zu singen. Dabei klopft sie mit dem Mikrophon den Takt.

Dann sammelt sie die Blumen wieder ein. Sie bietet den Strauß dem Reifrock an. Eine schöne Frau sei das, sagt sie. Sie flirtet mit dem Rock, der blau leuchtet. Sie hat Spaß.

Julia Häusermann ist Schauspielerin, und spielt eigentlich am Theater HORA in der Schweiz. Sie hat das Down-Syndrom. Also hat sie ein Chromosom mehr als die meisten Menschen. Manchmal ist sie ein bisschen langsamer als andere. Das macht ihr aber nichts. Allein füllt sie an diesem Abend die Kammerspiele mit Leben.

Regie führt Nele Jahnke. Überhaupt arbeiten viele Frauen an dem Stück. Das Projekt entstand in Kooperation zwischen den Kammerspielen und der HORA-Stiftung. Schon am 10. Oktober 2020 wurde es uraufgeführt. Jetzt besucht Häusermann noch einmal die Kammerspiele. Zwei Abende lang spielt sie dort.

Manchmal ist sie Frank. Frank aus „Verbotene Liebe“. „Let’s be Frank“ steht auf ihrem grauen T-Shirt. Als Frank spielt sie mit dem Publikum. In ihrer orangen Turnhose macht sie Übungen. Schwingt die Arme und den Kopf. Eine junge Frau im Publikum macht zögerlich mit. Einen Mann muss sie zwei Mal bitten.

Manchmal tanzt sie. Sie zieht eine Disko-Jacke an und fliegt. Dann steigt sie in den Reifrock und schwimmt. Zuckersüße Musik läuft. Das Licht ist grell und bunt.

Manchmal ist sie wütend. Dann schreit sie ein Loch in der Bühne an. Sie stopft beleidigt ihre Schleppe hinein. Und legt sich weinend daneben. Dann stampft sie zum Felsen, dort ist ein Brunnen. Sie nimmt ein Glas und füllt es mit Wasser. Und trinkt

Manchmal ist sie dramatisch. „How many Yous will you carry?“, fragt sie. Auf der Leinwand im Hintergrund laufen Aufnahmen von ihr am Meer. Davor sitzt sie und schaut sich zu und trinkt. Sie ist sie und sie ist Frank und sie ist am Meer.

Und manchmal singt sie. Zum Lieben geboren, singt sie. Ich bin schon immer ein Optimist, singt sie. Sie tanzt dazu und fordert die Menschen auf, mitzutanzen. Viele trauen sich nicht. Es fällt zu sehr aus den Theater-Gewohnheiten. Häusermann stört das nicht.

Häusermann verbeugt sich dreimal. Sie lacht und genießt den Jubel. Mit ausgestreckten Armen steht sie auf der Bühne und freut sich. Über sich und die anderen und dieses Stück. Sie hat ein befreites Lachen, ein echtes Lachen. Sie ist in ihrem Element.

Julia Häusermann bringt dem Publikum das Lachen. Und viele Farben und Licht. Anders als andere macht sie keine großen Gesten. Sie lacht, wenn sie mag, sie schreit, wenn sie mag, sie weint, wenn sie mag. Und das Publikum kann für eine knappe Stunde vergessen. Vergessen, ängstlich zu sein. Vergessen, besorgt zu sein. Vergessen, geplant zu sein.

Vergessen, rational zu sein. Sie zeigt den Zuschauer*innen Frank und Frank zeigt ihnen Julia Häusermann. Und das reicht.

[Stück entstanden im Rahmen des Feuilleton-Workshops an der DJS]

Das Stück wird in München nochmal am Donnerstag gespielt (https://www.muenchner-kammerspiele.de/simple/programm/54-ich-bins-frank)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sarah Kohler

60. Kompaktklasse an der Deutschen Journalistenschule in München

Sarah Kohler

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