Wenn Frauen* wie am Frauen*kampftag (aber auch tagtäglich) zu mehr Geschlechtergerechtigkeit aufrufen, wenn sie fordern, die Politik solle endlich Instrumente dafür schaffen, wenn sie unter Hashtags Diskussionen über Sexismus, sexualisierte Gewalt und gendergerechte Sprache anstoßen – dann kommt bestimmt irgendwo ein Mann daher (meistens ist es ein Mann, ja) und meint, wir hätten doch wirklich größere Probleme, die man zuerst angehen müssen, dann könne man über Gendersternchen diskutieren.
Das regt auf, und das erntet zu Recht scharfen Widerspruch. Es gibt Probleme, die sind sichtbar, es gibt Probleme, die werden diskutiert, die stehen auf Titelseiten und in Talkshowtiteln – und ja, die können wichtig sein, aber sie sind nicht wichtiger als andere. Diskriminierung ist manchmal sichtbar und manchmal nicht, deshalb muss darauf gestoßen werden. Und das bitte nicht „zuerst mal auf die richtigen Probleme“ und dann kümmern wir uns um den Rest.
Es sollte keine Hierarchisierung grundlegender struktureller Probleme geben. Sexismus, Rassismus, Klassismus (der so gerne von den einen vergessen und von den anderen als einzig wahres Problem, mit dem es sich zu beschäftigen gilt, deklariert wird), Homophobie, Antisemitismus, Diskriminierungen auf Grund von Behinderungen – die Liste aktueller diskriminierender Strukturen ist unendlich, und sie ist nicht hierarchisch. Gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit sind sie alle samt – und sie sind nur zusammen anzugehen.
Die verschiedenen strukturellen Diskriminierungen, die sich im tagtäglichen Leben Betroffener ständig und ununterbrochen in beinahe allem zeigen, sie hängen zusammen. Die Bekämpfung der einen sollte nicht auf Kosten anderer gehen, die soziale Frage nicht ohne die Geschlechterfrage nicht ohne grundlegende Fragen von Diskriminierung auf Grund von Herkunft, Religion, Aussehen, sexueller Orientierung gedacht werden.
Wie ein Netz
Es ist keine Treppe, bei der Stufe für Stufe ein Problem nach dem anderen gelöst werden kann. Wenn wir heute die Klassen aus der Welt schaffen (schön wär`s), können wir morgen den Sexismus angehen. Nein, es ist ein Netz, bei dem, wenn an einem Ende gezogen wird, verschoben wird, neu verknüpft oder zerrissen wird, es sich auf alles andere auswirkt. Am besten, Zusammenhänge werden also gleich mitgedacht.
Das ist das Prinzip der Intersektionalität. Menschen haben nicht nur eine Eigenschaft, sie haben viele und damit überschneiden sich Diskriminierungsformen. Das klassische Beispiel ist die schwarze Frau aus der Arbeiterschicht, die oft mit Sexismus, Rassismus und Klassismus (mindestens) zu kämpfen hat. Angela Davis argumentiert deshalb, dass es keinen Feminismus ohne Anti-Rassismus (ohne Anti-Klassismus…) geben kann. Das klassische Gegenbeispiel wäre wohl der „alte weiße Mann“, der als Figur alle Privilegien in sich vereint: Mann, weiß, etabliert.
Natürlich sehen verschiedene Menschen verschiedene Probleme als eindringlicher und präsenter an. Oft, weil sie betroffen sind, oder es ihnen näher ist. Und das ist gut so. Wer betroffen ist, kann am besten verstehen und beurteilen (was nicht heißt, dass andere es nicht wenigstens nachvollziehen können), was schief läuft. Wenn sich diese unterschiedlichen Menschen zusammentun mit ihren unterschiedlichen Akzenten, und idealerweise gemeinsam für die Abschaffung aller dieser Diskriminierungsformen kämpfen, ist am meisten gewonnen. Es geht nur zusammen, kollektiv, nicht individuell und nicht gegeneinander. Das ist das Prinzip der Solidarität.
Denn letztendlich geht es um Gerechtigkeit, um Chancengleichheit und Wahlfreiheit für alle. Und dafür müssen wir gemeinsam kämpfen.
Kommentare 3
<< [...] dann könne man über Gendersternchen diskutieren. >>
Stöhn! Noch´n Studitextchen.
Ich plädiere dafür, hier eine Rubrik "Jugend schreibt" einzurichten.
Hallo Frau Kohler.
„Es sollte keine Hierarchisierung grundlegender struktureller Probleme geben. Sexismus, Rassismus, Klassismus (der so gerne von den einen vergessen und von den anderen als einzig wahres Problem, mit dem es sich zu beschäftigen gilt, deklariert wird), Homophobie, Antisemitismus, Diskriminierungen auf Grund von Behinderungen – die Liste aktueller diskriminierender Strukturen ist unendlich, und sie ist nicht hierarchisch. Gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit sind sie alle samt – und sie sind nur zusammen anzugehen.“
Richtig und falsch zugleich. Richtig ist, dass wir die Probleme nicht nacheinander, sondern sozusagen in einem Rutsch angehen können und müssen.
Aber dieser Schritt generell etwas gegen Diskriminierung zu haben, ist ein hierarchischer. Meistens wird er nicht gegangen und dann besteht – aktuell am schlimmsten im neulinken Femininsmus zu sehen – der Schritt nur darin ein gefühltes Herrschaftsbild in ein Feinbild umzudeuten. Mit allen Fehlern die Sie vermeiden wollen, beliebtestes Narrativ, die alten, weißen Männer. Erschwerend aus der Mittelschicht, heterosexuell und katholisch. Aber bleiben wir bei Mann und weiß, das ist Sexismus in Kombination mit Rassismus.
Beides soll es angeblich nicht geben, weil Frauen nirgendwo Macht über Männer haben und niemand irgendwo Macht über Weiße. Ich wüsste gerne warum das, außer per Beschluss, so sein sollte. Empirisch mag es so sein, dass von mir aus Männer und Weiße häufig dominieren, aber dass Frauen nie zu Machtmissbrauch fähig sind ist so wenig belegt, wie, dass andere Ethnien nicht zum Rassismus neigen.
Wer nur seine Gruppe protegiert und meint, die anderen könnten jetzt auch mal unterdrückt werden, damit sie mal merken, wie sich das anfühlt, betreibt Revanchismus und befriedigt seine Rachegefühle. Menschlich verständlich – wenn es wirklich um Missstände geht – aber gesellschaftlich nicht zu gebrauchen, weil dasselbe in grün, wie vorher.
Der Schritt ist in der Tat ein hierarchischer, man muss diskriminierende Strukturen und auch Gruppendenken hinter sich lassen.
Guter Text. Danke für den Artikel......