Bunt bemalter Albtraum

Streaming In der dritten Staffel von „Stranger Things“ bekommen es die Teenager von Hawkins mit den Russen zu tun
Ausgabe 29/2019

Ausgerechnet Red Dawn! Dieser Gedanke schießt einem im Verlauf der ersten Folgen von Stranger Things 3 immer wieder durch den Kopf. Dabei spielt es keine Rolle, ob man Die rote Flut, John Milius’ zutiefst amerikanischen Abenteuerfilm, aus ideologischen Gründen ablehnt oder als wüste Genrefantasie durchaus zu schätzen weiß. Die Irritation erwächst aus der Verschiebung der Akzente. In den ersten Staffeln der von Matt und Ross Duffer erdachten Serie war es der heimische militärisch-industrielle Komplex, der die amerikanische Kleinstadt Hawkins in ein Tor zu einer anderen, „Upside Down“ genannten Welt verwandelt hat. Die Monster, gegen die sich das über telekinetische Kräfte verfügende Mädchen Eleven und ihre Mitstreiter zur Wehr setzen mussten, waren das Produkt geheimer Forschungen, Geister, die von Wissenschaftlern und Militärs, von Geschäftemachern und Geheimdiensten gerufen worden waren.

Bei aller nostalgischen Begeisterung für die Popkultur der 80er Jahre, für Steven Spielberg und Stephen King, warfen die Duffer-Brüder mit ihrer Serie doch auch einen kritischen Blick auf die USA. So prägten eher linke und liberale Ideen ihre liebevoll ausgestattete Hommage an ein Jahrzehnt, das politisch vor allem von (neo-)konservativen Projekten dominiert wurde. Deswegen überrascht einen der Beginn der neuen Staffel auch derart. Das kurze Vorspiel in einer geheimen sowjetischen Forschungsanlage katapultiert die Serie mitten in den Kalten Krieg. Zur Bedrohung aus dem Inneren tritt nun ein äußerer Feind hinzu. Schon bald befinden sich zumindest einige der Teenager aus Hawkins in einer ähnlichen Situation wie Milius’ jugendliche Helden. Sie geraten hinter feindliche Linien. In Hawkins hat die russische Invasion längst stattgefunden. Nur hat das niemand mitbekommen.

Am Ende war die Entwicklung hin zu Hollywoods gar nicht mal so kalten Kriegsfantasien der 80er Jahre wohl unvermeidlich. Der martialische Antikommunismus von Filmen wie Die rote Flut oder Rocky IV gehörte quasi zur DNS der Popkultur der Reagan-Ära. Die USA haben es schließlich immer verstanden, ihre ideologische und wirtschaftliche Vormachtstellung mittels Kino- und Fernsehbildern zu untermauern. Zudem geht vom Kalten Krieg mit seinen klaren Frontstellungen für heutige 80er-Jahre-Nostalgiker noch ein anderer Reiz aus. Damals war alles viel einfacher. Man wusste, auf welcher Seite man stand.

Eben darin liegt aber auch die nicht ganz ungefährliche Verlockung der 80er-Retrowelle, war diese einst verteufelte und nun immer weiter verklärte Dekade doch das letzte Jahrzehnt, in dem „alte weiße Männer“ noch uneingeschränkt herrschen konnten. So haben die Duffer-Brüder in den ersten beiden Staffeln genau den richtigen Aspekten der damaligen Popkultur gehuldigt und dennoch einer im Grunde sehr bedenklichen Entwicklung Vorschub geleistet. Genau diesem Widerspruch stellen sie sich nun. Der Blick geht weiterhin zurück. Doch erstmals gerät dabei die heutige US-amerikanische Wirklichkeit in den Fokus. Der bisher eher implizite Feminismus der Serie, deren stärkste Figuren von Anfang an Frauen wie Winona Ryders Joyce Byers und Mädchen wie Eleven (Millie Bobby Brown) waren, wird explizit zum Thema, als Nancy Wheeler (Natalia Dyer) ihren Sommerjob bei der lokalen Tageszeitung verliert.

Das Böse lauert in der Mall

Die 18-Jährige, die davon träumt, Reporterin zu werden, wird auf geradezu unglaubliche Weise von den ausschließlich männlichen Redakteuren der Zeitung gemobbt. Die Szenen haben fast schon etwas von einer Karikatur. Aber wahrscheinlich war es damals, im Sommer 1985, genau so. Eine junge Frau durfte bei einer Provinzzeitung höchstens Kaffee kochen und mittags die Sandwichs holen.

Nancys Demütigung wirft zugleich noch ein erstes Schlaglicht auf die Geschichte ihrer Mutter, einer klassischen Vorstadt-Hausfrau. Sie, die ganz für ihre Familie lebt und innerlich vor Einsamkeit vergeht, hat bisher nur eine periphere Rolle gespielt. Doch in dem Moment, in dem sie ihrer an den Verhältnissen verzweifelnden Tochter Mut zuspricht, bekommt sie eine tragische Dimension. Wer sich wie sie mit dem Status quo der patriarchalen Ordnung abfindet, wird irgendwann von ihr zerstört.

Der amerikanische Traum, der in den 80er Jahren noch einmal so richtig aufblühte, erweist sich in der Kleinstadtwelt der Serie nicht nur als im Kern verrottet. Er ist eben nur ein bunt angestrichener Albtraum. Wie schon in George A. Romeros Horrorklassiker Zombie von 1978 entpuppt sich eine Mall, dieses strahlende Symbol des amerikanischen Konsumkapitalismus, als schwarzes Herz des Schreckens. Die russische Invasion ist nicht das Ergebnis eines Militärschlags. Der war nicht nötig. Ein Deal mit Mayor Kline, dem Bürgermeister von Hawkins, reichte vollkommen aus.

Dort, wo die Menschen von Hawkins fröhlich ihr Geld ausgeben, lauert auch die größte Gefahr für ihr Leben. Und das ist nicht der Kommunismus, sondern eine Macht, die alles auf den Kopf stellt. Die Vereinigten Staaten sind längst zu einer „Upside Down“-Welt geworden. Es ist nur die Frage, wie sich das am besten kaschieren lässt. Der eine mag am 4. Juli auf Militärparaden setzen, der andere, Mayor Kline, richtet lieber ein Volksfest aus. Also Red Dawn! Wie in Milius’ Filmen werden die Jugendlichen zu Rebellen. Nur kehren sich die nationalistischen Pop-Fantasien der 80er gegen die nationalistische Wirklichkeit von 2019.

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