Ein Lächeln vor Hass

Kino In „Waldheims Walzer“ wird ein einschneidender Moment der österreichischen Nachkriegsära lebendig
Ausgabe 40/2018
„Ein Österreicher, dem die Welt vertraut“ stand auf seinen Plakaten: Kurt Waldheim
„Ein Österreicher, dem die Welt vertraut“ stand auf seinen Plakaten: Kurt Waldheim

Foto: Winter/Imago

Zwischen Geschichtsschreibung und Fiktion, Bericht und Kommentar sucht Éric Vuillard in seinem Roman Die Tagesordnung (Matthes & Seitz, 2018) nach der Wahrheit über die im Zweiten Weltkrieg gipfelnden Ereignisse. Darin findet sich folgende Beschreibung der Filmbilder von der Menge, die Adolf Hitler am 15. März 1938 auf dem Wiener Heldenplatz zujubelte: „Natürlich darf man sich keine Illusionen machen, es wurden aus ganz Österreich Nazi-Militanten herbeigekarrt, Gegner und Juden inhaftiert: eine ausgewählte, bereinigte Menge; doch es sind echte Österreicher aus Fleisch und Blut, keine bloße Kinomenge. Es sind ausgelassene, blond bezopfte Backfische aus Fleisch und Blut, und das kleine Pärchen, das lächelnd mitbrüllt – ach, all diese lächelnden Gesichter!“

Erinnerungen an „all diese lächelnden Gesichter“ geistern in einem fort durch Ruth Beckermanns essayistischen Dokumentarfilm Waldheims Walzer. Die Filmemacherin blickt zwar auf einen anderen Wendepunkt der österreichischen Geschichte zurück. Aber die Verbindungslinien vom sogenannten „Anschluss“ und damit auch von Vuillards anklagender Prosa zu Beckermanns Bildern sind offensichtlich. Im Frühjahr 1986, beinahe 50 Jahre nach Hitlers triumphalem Wiener Auftritt, kandidiert der ehemalige UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten. Und schon sind „all die lächelnden Gesichter“ wieder da. Sie bejubeln Waldheim bei seinen Auftritten in Bierzelten und bei Volksfesten. Sie stehen zu ihm, während andere gegen die Kandidatur auf die Straße gehen und auf Waldheims Rolle als Offizier der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg aufmerksam machen. In der Konfrontation verschwindet das Lächeln allerdings sehr schnell aus ihren Gesichtern. Hinter der Maske der Freundlichkeit liegt Hass und die Bereitschaft zur Gewalt.

Lumpen der Geschichte

Éric Vuillard fällt in Die Tagesordnung ein vernichtendes Urteil über die Menschen, die sehenden Auges in die Katastrophe gehen: „Wenn man die hässlichen Lumpen der Geschichte lupft, bietet sich folgendes Bild: Hierarchie gegen Gleichheit, Ordnung gegen Freiheit.“ Und Ruth Beckermanns Film scheint es noch einmal zu bestätigen. Die Journalistin und Regisseurin lupft aber nicht nur den „hässlichen Lumpen der Geschichte“. Sie blickt auch auf ihre eigene Biografie zurück. Im Zentrum von Waldheims Walzer stehen die Videoaufnahmen, die sie selbst 1986 bei Strategietreffen der Waldheim-Gegner, bei öffentlichen Demonstrationen und bei Wahlkampfveranstaltungen gemacht hat. Damals gehörte sie zu einer Gruppe von Aktivisten, die die Wahl des ÖVP-Kandidaten zum Bundespräsidenten verhindern wollten.

Etwa 30 Jahre später hat Beckermann die alten Videos wiederentdeckt, das Material gesichtet und sich dann auf die Suche nach weiteren Archivaufnahmen gemacht. So verbinden sich in ihrem Film ihre eigenen Bilder mit denen der Fernsehanstalten, die seinerzeit über Waldheims Kandidatur und den Widerstand dagegen berichtet haben. Das Ergebnis ist eine Art filmische Zeitkapsel. Das alte Material, das auch die Bemühungen des Jüdischen Weltkongresses dokumentiert, Kurt Waldheims Beteiligung an den Kriegsverbrechen der Reichswehr wie der SS offenzulegen, katapultiert einen ins Jahr 1986 zurück und verweist zugleich immer auf unsere Gegenwart.

Waldheims Walzer ist auch ein Tanz der Zeiten. Im Dreivierteltakt der Bilder drehen sich die Jahre 1938, 1986 und 2018 so schnell, dass die Grenzen zwischen ihnen fließend werden. In Thomas Bernhards 1988 uraufgeführtem Stück Heldenplatz hört eine Witwe ständig die „Sieg Heil“-Rufe der begeisterten Massen vom 15. März 1938. Sie schallen aus der Vergangenheit herüber und sind auch heute noch nicht endgültig verklungen. Zumindest haben die Bemühungen der Aktivisten von 1986 eine große österreichische Illusion zerstört. Die Enthüllungen über Details aus Kurt Waldheims Wehrmachtsvergangenheit, auf die er selbst nur mit Leugnungen und Lügen reagiert hat, haben es dem Staat und seinen Repräsentanten auf Dauer unmöglich gemacht, an dem Mythos, das erste Opfer der Nationalsozialisten gewesen zu sein, festzuhalten.

Beckermanns Film porträtiert eine Nation, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, und sich mit letzter Verzweiflung an liebgewonnene Lügen klammert. Dass Waldheim schließlich doch gewählt wurde, war in gewisser Weise ein letztes Aufbäumen. An den Wahlurnen haben die Aktivisten verloren, im Kampf um die Deutung der österreichischen Geschichte haben sie letztlich trotzdem gewonnen. Heute bekennen sich auch FPÖ-Politiker in ihren Sonntagsreden zur Verantwortung für die Entwicklungen und Ereignisse, die dem „Anschluss“ folgten.

Allerdings haben die Nationalisten, und das nicht nur in Österreich, von Waldheim und seinen Unterstützern auch etwas gelernt: und zwar, wie effizient Lügen und unterschwellige Kampagnen sein können. Unter den „Lumpen der Geschichte“, die Ruth Beckermann lupft, kommt wieder das von Vuillard beklagte Ordnungsdenken zum Vorschein, wenn sich die „lächelnden Gesichter“ ein Vorbild an dem kaum verhohlenen Antisemitismus der ÖVP-Spitzen nehmen und in verbalen Auseinandersetzungen mit Waldheim-Kritikern ihren Ressentiments ungeniert freien Lauf lassen. Und ebendiesem Denken begegnen wir auch heute wieder, fast überall.

Info

Waldheims Walzer, Ruth Beckermann, Österreich 2018, 93 Min.

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