Gangsta-Fantasien

Serien „4 Blocks“ und „Dogs of Berlin“ erzählen auf höchst unterschiedliche Weise von den illegalen Imperien der Clans in Berlin
Ausgabe 01/2019

Ali „Toni“ Hamady (Kida Khodr Ramadan) hat einen Plan. Er will raus aus der Illegalität. Die Zeiten, in denen er als Kopf des Hamady-Clans in Berlin sein Geld mit Drogenhandel und Prostitution gemacht hat, sollen enden. Doch dafür braucht er endlich den deutschen Pass, um den er, ein Flüchtling aus dem Libanon, seit mehr als 20 Jahren kämpft. Seiner Frau Kalila verspricht er sogar, dass er dann „der deutscheste Deutsche“ sein wird. Privat ist er das eigentlich schon. In seinen vier Wänden lebt er bereits seinen überraschend spießigen Traum vom Deutschsein. Doch draußen auf den Straßen und in den Clubs von Neukölln muss er weiterhin den Clan führen und sein Reich gegen Angriffe anderer Banden verteidigen. Seine Männer drängt er zu Zurückhaltung und Besonnenheit. Morde kommen für ihn nicht in Frage. Alles, was seinen Wechsel in ein normales bürgerliches Leben gefährden könnte, ist tabu. Seinen Spitznamen verdankt er zwei Ikonen der Popkultur, dem aus Kuba stammenden Drogenbaron Tony Montana aus Brian De Palmas Scarface und dem Mafiaboss Tony Soprano. Traum und Wirklichkeit aber lassen sich für einen wie ihn nur schwer in Einklang bringen. So konzentriert sich die erste Staffel der von Bob Konrad, Richard Kropf und Hanno Hackfort geschriebenen und auf TNT ausgestrahlten Serie 4 Blocks auf Tonis innere Zerrissenheit und damit auch auf die zerstörerische Macht der Verhältnisse.

Hakim Tarik-Amir (Sinan Farhangmehr) hat mit der Macht der Verhältnisse keinerlei Probleme. Als erstgeborener Sohn des Herrschers über den libanesischen Tarik-Amir-Clan war seine Zukunft im fiktiven Berliner Stadtteil Kaiserwarte (ein bizarres Konglomerat aus Kreuzberg und Neukölln) von Anfang an vorgezeichnet. Und so herrscht er nun mit eiserner Hand über ein Reich, das zwar in Berlin angesiedelt ist, aber ganz eigene Gesetze und Regeln hat. Der Wohnblock, in dem er ein riesiges Apartment hat, gleicht einer Festung. Eine rote Linie auf dem Boden markiert die Grenze zwischen der Stadt und Hakims Welt. Wer sie überschreitet, unterwirft sich dem Diktat des Clans. Tonis Sehnsucht nach Bürgerlichkeit ist Hakim ebenso fremd wie dessen Sinn für Familie. Wird seine Macht bedroht, schreckt Hakim auch nicht davor zurück, seinen jüngeren Bruder Kareem öffentlich zu demütigen. Rivalisierende Gangs bekämpft er mit allen Mitteln. Wenn bei einem Drive-by-Shooting unbeteiligte Passanten sterben, interessiert ihn das nicht weiter. Anders als Toni in 4 Blocks bleibt Hakim in Christian Alvarts Serie Dogs of Berlin, der zweiten deutschen Netflix-Produktion, interessanterweise auch lediglich eine Nebenfigur, für die man nur wenig Sympathie entwickeln kann. All die Schreckensvisionen, die einem nach der Lektüre eines Zeitungsartikels über die Machenschaften libanesischer Großfamilien in Berlin durch den Kopf geistern, scheinen sich in Hakim zu bündeln, und das verleiht ihm letztlich doch eine gewisse Faszination. So sieht also der Gestalt gewordene Albtraum eines Boulevardblatt-Lesers aus.

Die Reaktionen auf 4 Blocks und Dogs of Berlin hätten kaum unterschiedlicher ausfallen können. Die erste Staffel der Serie um Toni und seinen jähzornigen Bruder Abbas wurde nahezu einhellig gefeiert und hat seither zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem auch einen Grimme-Preis, gewonnen. Immer wieder wurde ihre Authentizität gerühmt. Die Ereignisse der vergangenen Monate, der Mord an dem Intensivtäter Nidal R. am Tempelhofer Feld am 9. September und eine großangelegte Razzia gegen eine der kurdischstämmigen Großfamilien, in deren Verlauf auch 78 Grundstücke beschlagnahmt wurden, haben der im Oktober ausgestrahlten zweiten Staffel von 4 Blocks eine fast gespenstische Aktualität verliehen. Sie hat sich zwar noch deutlicher als die erste in genretypisches Fahrwasser begeben. Aber die Anknüpfungspunkte an die Berliner Realität sind weiterhin nicht zu übersehen. So versucht Toni sein Geschäft durch gezielte Immobilienspekulationen zu legalisieren. Außerdem thematisiert die Serie die undurchsichtigen Geldflüsse vom Libanon nach Berlin, die seit einiger Zeit im Fokus der realen deutschen Ermittlungsbehörden stehen. Diese fast allzu offensichtlichen Verbindungen zwischen Fiktion und Wirklichkeit haben mittlerweile auch einige kritische Stimmen hervorgerufen. Von Seiten der Ermittlungsbehörden etwa wurde der Vorwurf erhoben, die Serie glorifiziere die Clans und ihre Akteure.

Authentizität gegen Klischee

Etwas Ähnliches ist im Fall von Dogs of Berlin wohl kaum zu befürchten. Dafür wird Christian Alvarts Serie allenthalben vorgeworfen, dass sie nur altbekannte Klischees reproduziere und mit der Berliner Wirklichkeit des Jahres 2018 nichts gemein habe. Natürlich stellt der rote Strich auf dem Boden, mit dem der Tarik-Amir-Clan sein Territorium markiert hat, eine Form von Zuspitzung dar, die sich um reale Verhältnisse nicht wirklich schert. Ähnliches lässt sich auch von der Darstellung einer Neonazi-Kameradschaft sagen, die Erinnerungen an rechtsextreme Umtriebe in den 90er Jahren weckt. Wer in diesen Szenen der Serie an Thomas Heises Dokumentarfilme denkt, liegt sicher nicht ganz falsch. Aber weder diese aus der Zeit gefallenen Momente noch Alvarts offensives Spiel mit den Klischees des Action- und Gangsterfilms rechtfertigen den Hohn und Spott, mit dem neben vielen Kritikern auch zahllose Nutzer sozialer Medien auf die Serie reagiert haben. Man hat den Eindruck, dass viele eine Variation von 4 Blocks erwartet haben und nun darüber enttäuscht sind, dass Alvart einen ganz anderen Weg eingeschlagen hat.

Die Verweise auf Tony Montana und Tony Soprano bei 4 Blocks sind keineswegs zufällig. Toni Hamadys Schöpfer haben sich ganz gezielt an jenen berühmten Gangster-Epen orientiert, die den Paten als tragische Figur zeichnen. Für die deutsche Fernsehlandschaft war diese Entscheidung für eine konsequente Innenperspektive, die der Welt des organisierten Verbrechens durchaus auch glamouröse Züge gibt, eine kleine Sensation. Dennoch erscheint sie einem mittlerweile wie eine sichere Bank. Das Melodramatische, das diesen Gangstergeschichten eigen ist, bekommt durch die Besetzung vieler Nebenrollen mit Laien, die aus dem Umfeld der Neuköllner Großfamilien stammen, einen Zug ins Mythische. Die Haftstrafe, die etwa der Darsteller von Tonis Bruder Abbas Hamady, der Rapper Veysel Gelin, wegen Körperverletzung mit Todesfolge verbüßt hat, gibt nicht nur seinem intensiven und zutiefst bedrohlich wirkenden Spiel die entsprechende street credibility.

Während die Macher von 4 Blocks gezielt die Grenzen zwischen Popkultur und Wirklichkeit, Melodram und Insider-Story verwischen, setzt Christian Alvart mit seiner Geschichte um den Mord an einem türkischstämmigen Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft konsequent auf Überzeichnungen. Seine beiden Antihelden, der spielsüchtige, einstmals der Neonazi-Szene angehörende Kommissar Kurt Grimmer und der vom Drogendezernat kommende Deutschtürke Erol Birkan, bilden nicht nur ein klassisches Buddy-Duo wie aus einem Actionfilm der 80er Jahre. Sie stehen auch in der Tradition all jener Film- und Fernsehcops, die es mit dem Gesetz nicht so genau nehmen. Grenzüberschreitungen gehören in Alvarts Pop-Art-Variante einfach dazu. Doch hinter dem aggressiven Sensationalismus der Serie, zu dem neben exzessiven Actionsequenzen auch die drastische Sprache der Figuren zählt, verbirgt sich eine bemerkenswerte Sensibilität für die Verletzungen, die Menschen davontragen, wenn sie versuchen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Wenn der von Fahri Yardım gespielte Erol Birkan seinem gewalttätigen Vater begegnet, verliert er regelmäßig die Kontrolle über sich und seinen Körper. Die Wunden der Kindheit gehen so tief, dass sie nie ganz verheilen werden. In diesen Szenen offenbart Christian Alvart aber nicht nur ein großartiges Gespür für die Psychologie seiner scheinbar so comichaft angelegten Protagonisten. Sie zeugen auch von einem präzisen Blick für gesellschaftliche Verhältnisse und ihre über Generationen reichenden Auswirkungen. Wie einst Samuel Fuller in seinen B-Filmen geht Alvart gezielt zu weit. Er hält der Wirklichkeit einen Zerrspiegel vor, in dem es mehr zu entdecken gibt, als der erste Blick vermuten lässt.

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