Zu arm für Faulheit: Wer sich Quiet Quitting bei der Arbeit überhaupt leisten kann
Arbeit Dienst nur nach Vorschrift, als Protest gegen die Belastung im Job? Was als „Quiet Quitting“ diskutiert wird, liegt für viele, die wenig verdienen oder am Arbeitsmarkt diskriminiert werden, außerhalb jeder Vorstellung
In der Arbeitswelt gibt es seit einiger Zeit einen neuen Ausdruck dafür, seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, man nennt das „Quiet Quitting“. Ursprünglich aus dem US-amerikanischen Raum, bezeichnet das die Einstellung, für seinen Job lediglich zu tun, was der Jobbeschreibung entspricht. In der Debatte wird das vor allem den Jahrgängen 1980 bis 2010 nachgesagt.
Statt „Quiet Quitting“ könnte es auch „Dienst nach Vorschrift“ heißen, aber das klingt eben nicht so neu und nicht so sehr nach jenem aufgeblasenen Generationskonflikt, der uns seit Monaten mit Kommentaren und Leitartikeln versorgt. An einigen Stellen war da die Rede von einer neuen Arbeitsmoral, gar von Umbrüchen in der Arbeitswelt, vorgenommen durch eine Gener
eine Generation, die einfach keinen Bock mehr hat. Prophezeit wurden auch die enormen Schwierigkeiten, die diese Einstellung künftig für Unternehmen bedeuten würde. Das sind recht große Töne für etwas, das eigentlich auch in Deutschland schon längst bekannt ist. Also worüber – und vor allem über wen – reden wir hier eigentlich?Die Debatte darum, dem Arbeitsleben Grenzen zu setzen, greift durchaus einen Zeitgeist auf. Denn die Freizeit in die Rente zu verschieben, von der man heute noch viel weniger weiß, wie und ob sie jemals kommt, klingt nach einem eher schlechten Plan. Mehr arbeiten als nötig, noch dazu unbezahlt, will wohl kaum jemand – vor allem, wenn das Monatsgehalt gerade mal so zum Leben reicht. Leute, die 5.000 Euro netto verdienen, werden sich gemeinhin leichter tun mit unbezahlten Überstunden als Leute, die 1.800 Euro netto verdienen.Ein NullsummenspielUnd selbst wenn die Mehrarbeit bezahlt wird, stellt sich die Frage: Rechnet sich das überhaupt? Denn die Lebenshaltungskosten sind für viele Haushalte heute kaum noch zu stemmen. Im Jahr 2021 gaben deutsche Haushalte im Schnitt 37 Prozent ihres Einkommens für Wohnen und Energie aus. Für Lebensmittel etwa 15 Prozent. Ein einzelnes Kind kostete 2018 etwa 750 Euro pro Monat.Auch wenn die entsprechenden Zahlen des Statistischen Bundesamts für 2022 noch nicht online zu lesen sind, lässt sich an einer Hand ausrechnen, dass all das heute noch viel mehr kostet. Mehr Arbeitszeit heißt aber mitunter auch mehr Bedarf an Kinderbetreuung und weniger Zeit für den Haushalt. Freilich, es gibt Wege, diese Probleme zu beseitigen: Babysitter, Urlaub, Reinigungskraft. Nur ist das am Ende oft ein Nullsummenspiel, vor allem wenn Wert auf faire Bezahlung gelegt wird.Es sind also vielleicht nicht so sehr die Stimmen einer Generation, sondern die recht hohen Opportunitätskosten, die viele Leute dazu bringen, eine Arbeitszeiterhöhung dankend abzulehnen. Das ist also keine innere Kündigung, sondern lediglich Mathematik. Kurz gesagt: Der Markt regelt das. Langfristig gesehen, ist es heute ohnehin kaum noch möglich, finanziell aufzusteigen. Wer nicht erbt, vererbt in der Regel auch nichts. Dem Nachwuchs Wohlstand oder zumindest finanzielle Sicherheit zu hinterlassen, bleibt heute vor allem jenen überlassen, die selbst in ähnliche Verhältnisse hineingeboren wurden.Die Ausnahmen von der Regel gibt es immer. Leute, die es von unten ganz nach oben geschafft haben. Leute, die sich als „Macher*innen“ inszenieren. „Girlbossing“ heißt es auch, wenn Frauen dem kapitalistischen, bisher vor allem maskulin geprägten Bild von beruflichem Erfolg folgen. Ausgerechnet diese Leute nach ihrem Aufstiegsgeheimnis zu fragen, ihnen nachzueifern, als wären sie eine Blaupause für Reichtum, das ist ein bisschen, als würde man einen Lottogewinner fragen, wie er Zahlen auswählt.„Quiet Quitting“ ist eben kein GenerationenkonfliktViel zu oft ist es nämlich kein gut gehütetes Geheimnis, das den Aufstieg bringt, sondern Glück. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, mit den richtigen Leuten, die einen sehen. Diese Leute sehen aber meistens vor allem jene Menschen, die sind wie sie. Es geht um den passenden Habitus, die Herkunft, die Hautfarbe, den Namen, die Sprachkenntnisse, die Bildung und um den normschönen und im kapitalistischen Sinne funktionierenden Körper. In der Debatte wird mitunter das Bild einer Generation gemalt, die halbtags arbeitet, die lieber reist, das Leben genießt und einfach keine Lust auf Arbeit hat. Doch außerhalb der weißen Mehrheitsgesellschaft, aus der oberen Mittelschicht und darüber, kann diesem Bild wohl niemand so recht entsprechen.Den Wunsch danach, sich auf das vertraglich vereinbarte Minimum zurückzuziehen, kann sich nur leisten, wer nicht ohnehin schon immer in Verdacht steht, weniger zu tun. Ein bisschen faul zu sein. Es sich leicht zu machen. Nicht so klug zu sein. Ein Vorurteil, das in Deutschland vor allem Schwarze Menschen und People of Color, Menschen mit Behinderung, FLINTA, Alleinerziehende und manchmal auch schlicht Eltern, deren Care-Arbeit als Freizeit diffamiert wird, kennen – wenn auch aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Denn wen sehen wir eigentlich, wenn wir uns eine „fleißige“ Person vorstellen? Schließen Sie ruhig die Augen, machen Sie den Selbstversuch.„Quiet Quitting“ als Generationskonflikt darzustellen, ist mehr als unscharf. Denn in dieser Debatte geht es gar nicht in erster Linie um das Alter, sondern vor allem um jene Personen in diesem Alter, die es sich leisten können, ihren Job zu verlieren. Die meisten alleinerziehenden Eltern aber werden dreimal nachdenken, bevor sie es riskieren, im Beruf einen schlechten Eindruck zu hinterlassen. So waren in Deutschland 2021 rund 2,15 Millionen Mütter und etwa 462.000 Väter alleinerziehend. Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen von alleinerziehenden Müttern lag im Jahr 2017 bei 1.873 Euro. Paarfamilien haben durchschnittlich mehr als das Doppelte.In Deutschland gilt: In Teilzeit arbeiten ist faulMenschen, die sowieso schon Diskriminierung am Arbeitsplatz erleben, die strukturellem Rassismus bei der Arbeitssuche, auf dem Amt und bei der Wohnungssuche ausgesetzt sind, werden einen festen Job nicht so leicht aufs Spiel setzen. Mit dem Afrozensus wurden in Deutschland 2020 das erste Mal Zahlen über Diskriminierungserfahrungen Schwarzer Menschen erhoben. Acht von zehn Befragten gaben an, im Bereich „Arbeitsleben“ bereits Diskriminierung erlebt zu haben, davon fast jede dritte Person „oft“ oder „sehr häufig“. Befragte mit zwei afrikanischen oder afrodiasporischen Elternteilen sowie Geflüchtete sind dabei besonders betroffen. Auch behinderte Menschen werden auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert, in vielerlei Hinsicht. Arbeitgeber sind in Deutschland ab einer bestimmten Anzahl von Mitarbeitenden gesetzlich dazu verpflichtet, einen Anteil schwerbehinderter Menschen zu beschäftigen. Viele halten diese Beschäftigungspflicht aber nicht ein und zahlen dafür eine monatliche „Ausgleichsabgabe“.Und Teilzeit zu arbeiten wird in Deutschland immer noch mit Faulheit gleichgesetzt. Dabei ist das in den seltensten Fällen „Quiet Quitting“, sondern für viele Menschen eine Notwendigkeit. Arbeitgeber täten gut daran, Leistung nicht mehr in Vollzeit und Überstunden zu messen. Dann würde ihnen vielleicht auffallen, dass eine Vollzeitstelle, die regelmäßig mehr als 15 Überstunden pro Woche bedarf, vielleicht kein Vollzeitjob ist, sondern zwei Teilzeitjobs entspricht. Stellen nach den Bedürfnissen von Alleinerziehenden oder Menschen mit Behinderung zu schaffen, wäre so viel effektiver, als sich dagegen zu wehren. Aufstiegsmöglichkeiten zu schaffen, diverse Doppelspitzen einzusetzen, anstatt das meist weiße, männliche mittlere Management ausbrennen zu lassen, nützt langfristig jedem Unternehmen.Was von der ganzen Diskussion bleiben wird, ist, dass Arbeitgeber auch mit einem Dysphemismus wie „Quiet Quitting“ nicht umhinkommen, sich zu fragen, ob es nicht vielleicht an ihnen selbst liegt, dass jemand nicht für sie arbeiten will. Anstatt Mitarbeiter*innen und ihre Arbeitsmoral für den Erfolg des Unternehmens verantwortlich zu machen, sollten Menschen in Führungspositionen und Chefetagen anfangen zu tun, was in ihrer Jobbeschreibung steht: Verantwortung übernehmen.Placeholder authorbio-1