Lange, geile Dinger

Flashback: Ende der 1960er / Anfang der 1970er Jahre - die Erfindung und Markteinführung der Compact Disc (CD) liegt noch in der Zukunft.

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Musik kommt auf Vinyl-Scheiben, Magnetbändern oder per Radio ins Haus. Vinyl-Singles haben knapp bemessene Laufzeiten von nur 2 ½ bis 3 Minuten pro Seite und längere Titel sind den Alben (LPs) vorbehalten.

Doch im zu Ende gehenden Jahrzehnt („die 60s waren das bedeutendste Jahrzehnt für die Entwicklung der Popmusik. Neue Richtungen, neue Moden, neue Klänge. Und vor allem immer neue Gesichter, die sich bis heute im Gedächtnis der Fans gehalten haben“, wie ein Musikkritiker schreibt) haben immer mehr Künstler längere Songs in ihrem Repertoire, die sie als Singles veröffentlichen wollen, wohl auch weil diese Titel (im Gegensatz zu den Alben) im Radio gespielt werden.

Die limitierte Laufzeit der Vinyl-Single wird durch Songs, die 6, 7 oder gar 10 Minuten lang sind, jedoch gesprengt. Plattenfirmen behelfen sich jetzt oft damit diese überlangen Titel in Part I und Part II zu splitten und dann auf die Vorder- und Rückseite einer Vinyl-Single zu pressen oder unterschiedlich lange Single- und Album-Versionen zu veröffentlichen.

Viele Hörer finden es allerdings nervig die Scheibe umdrehen zu müssen, wenn man gerade intensiv zuhört; die „Magie“ des Augenblicks droht damit zerstört zu werden. Was bleibt ist der Kauf des jeweiligen Albums (LP), auf dem der lange Song, ohne Unterbrechung, zu hören ist (vielleicht war das sogar Kalkül der Künstler und Plattenfirmen).

Aus dieser Zeit stammen einige „lange Dinger“, die den Fans damals unter die Haut gingen und die auch heute noch faszinieren können, wenn man sich relaxed auf die Musik einlässt:

  • Die Gruppe ‚Chicago Transit Authority’ (nannte sich später nur noch ‚Chicago’) machte aus dem Steve Winwood-Song ‚I’m A Man’, mit dem die ‚Spencer Davis Group’ zuvor erfolgreich war, einen regelrechten Kulttitel, der mit seinen etwa 7 ½ Minuten Laufzeit die Hörer begeisterte.

  • ‚Rare Earth’, eine weiße Rockgruppe, die beim black-owned & black-managed Label MOTOWN unter Vertrag war, nahm sich den hauseigenen Smokey Robinson-Song ‚Get Ready’ vor, mit dem die ‚Temptations’ einen Hit gelandet hatten und verlängerte den Titel auf über 20 Minuten Länge. Auch diese Version wurde zu einem modernen Klassiker.

  • Über DEN Song der Gruppe ‚Iron Butterfly’ mit dem Titel ‚In-A-Gadda-Da-Vida’ muss ich wohl auch nach über 4 Jahrzehnten kaum etwas sagen, weil er zum festen kollektiven Gedächtnis einer ganzen Generation gehört. Es war ein Song, der zu Petting, Joint und Kellerparty einfach dazu gehörte und einige dann auf ihrem Weg zu anderen „bewusstseinserweiternden“ Substanzen begleitete …

  • Die ‚Temptations’, eine legendäre schwarze Gesangsgruppe des MOTOWN-Labels, stieg unter der Betreuung von Norman Whitfield zum Grenzgänger zwischen schwarzem R&B/Soul und weißem Rock auf. Ein Höhepunkt der Zusammenarbeit mit Norman Whitfield war der Song ‚Papa Was A Rollin’ Stone’, den es sowohl als 6 Minuten Single-Version gab, wobei Part I und Part II auf Vorder- und Rückseite einer Vinyl-Single gepresst wurden, als auch in der über 12 Minuten langen Album-Version, die das Album ‚All Directions’ zu einem Bestseller machte.

  • Eine Klasse für sich war Nina Simone, die sich nie auf ein Musik-Genre festlegen ließ und sowohl im Blues, Jazz, Rhythm & Blues und Soul als auch im Pop brillierte. Ihr magischer über 10 Minuten langer ‚Sinnerman’ war der Favorit in verräucherten (Jazz-)Clubs und machte die Künstlerin zu einer „Ikone“ ihrer Zeit.

  • Wenn es in dieser Zeit eine weiße Band in den USA gab, die das Lebensgefühl einer unangepassten Generation verkörperte und die mit ihrem charismatischen Frontmann Jim Morrison die sexuellen Phantasien von jungen Frauen und jungen Männern gleichermaßen anregte, so waren es sicher die ‚Doors’. Deren 7:14 Minuten-Song ‚Riders On The Storm’ hat denn auch bis heute kaum etwas von seiner hypnotischen Wirkung eingebüßt.

  • ‚My Way’, der von Paul Anka geschriebene und durch Frank Sinatra populär gewordene Song, blühte erst in der unglaublichen Version von Nina Simone so richtig auf (Studio-Version auf YouTube nicht verfügbar, deshalb hier eine Live-Version) und zeigte einmal mehr wie sehr es Nina Simone immer wieder gelang Coverversionen der Songs von Leonard Cohen, Bob Dylan, The Byrds u.a. zu unverwechselbaren und süchtig machenden Nina Simone-Songs zu machen, die oft die Originale regelrecht vergessen machen.

Lange Dinger Volume 2:

https://www.freitag.de/autoren/saul-rednow/lange-dinger-volume-2-1

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Geschrieben von

Saul Rednow

Meine Themen: Rechtsextremismus - Rassismus - Homophobie - Politik - Musik u.a.

Saul Rednow

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