Was sonst noch beim Besuch in Rostock geschah

#merkelstreichelt Der Bürgerdialog in Rostock wurde für Merkel zum PR-Desaster. Doch es war nicht der einzige strittige Punkt, wie die Fragen eines homosexuellen Schülers zeigten

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Angela Merkel im Gespräch mit den Rostocker Schülerinnen und Schüler
Angela Merkel im Gespräch mit den Rostocker Schülerinnen und Schüler

Foto: Screenshot, bundesregierung.de

"Du hast das doch prima gemacht", erwiderte Angela Merkel als eine palästinensische Schülerin in Tränen ausbrach, nachdem sie gehört hatte, was die Kanzlerin ihr auf die Schilderung der eigenen Situation geantwortet hatte:

Ihrer Familie droht die Abschiebung in den Libanon; der Vater darf nicht arbeiten, während das Asylverfahren (bereits seit 4 Jahren nicht beschieden) läuft. Sie kann daher ihre Zukunft nicht planen, obwohl sie eine gute Schülerin und sehr gut integriert ist. Normalerweise hätte sie beste Chancen auf einen Ausbildungs-, Studien- oder Arbeitsplatz, u.a. auch weil sie perfekt deutsch spricht und zusätzlich drei weitere Sprachen beherrscht.

Merkel: "Wir werden nicht alle Menschen aufnehmen können. Der Libanon ist kein Bürgerkriegsland, aus anderen Ländern, wie Syrien, kommen [die wirklich] bedürftige[n] Flüchtlinge."

Mit dem oben zitierten Satz "(...) prima gemacht ..." und dem Streicheln des, sich unverstanden fühlenden, Mädchens löste die Kanzlerin einen Shitstorm im Internet aus.

Homosexueller Schüler stellt Merkel ebenfalls unangenehme Fragen

Die Konfrontation mit der unhaltbaren Situation einer Flüchtlingsfamilie, die seit vier Jahren in der Ungewissheit lebt abgeschoben zu werden oder vielleicht doch noch politisches Asyl zu erhalten, war nicht das einzige Thema, das beim Merkel-Besuch in der Rostocker Schule für Irritationen bei Schülern, Lehrern und dem Publikum sorgte.

Da gab es auch noch einen selbstbewusst auftretenden schwulen Jungen, der von der Kanzlerin wissen wollte warum sie sich nicht stärker dafür einsetzt, dass endlich die Diskriminierungen (unter anderem bei der Frage der vorenthaltenen Ehe-Öffnung) beendet werden, denen homosexuelle Menschen in Deutschland immer noch ausgesetzt sind:

Schüler: "Es ist Quatsch, dass bei der Ehe eine Grenze gezogen wird. Warum sollte es einen Unterschied machen, auf wen ich stehe? Auch ist die Gesellschaft ja nicht nur offener geworden [wie Merkel es zuvor verharmlost hatte], ich selbst bin im Bus als Schwuler beleidigt worden, auch das ist Realität in Deutschland und ich kenne Menschen, die sind in der Schule gemobbt und sogar verprügelt worden."

Merkel: "Die Frage der Ehe ist eine Überzeugungsfrage; da sind wir nicht mit einem Schlage alle der gleichen Meinung. Ich muss mich da jetzt nicht verbiegen und so tun, als ob das für mich kein Problem ist. Man muss das Thema auf einem [CDU-] Parteitag diskutieren und schauen wie sich die Mehrheiten entscheiden. Es gibt böse Angriffe, man muss ja nur ins Internet gucken. Da treten wir entschieden auf; wo mir das begegnet, da kriegt jedenfalls derjenige die Meinung gesagt."

Anmerkung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits 2013 rechtsverbindlich festgelegt, dass die EU-Mitglieds- staaten, in Erfüllung der EU-Menschenrechtskonvention und unter Beachtung des in der gesamten EU geltenden Diskriminierungs- verbots, die Pflicht haben homosexuelle Menschen vor Benach- teiligungen zu schützen.

Insofern entspringt auch dieses vorgebliche Handeln Merkels: „wo mir das begegnet, da kriegt jedenfalls derjenige die Meinung ge- sagt“ (ob es, so wie sie behauptet, überhaupt zutrifft, lasse ich mal dahin gestellt) ebenfalls [siehe dazu die weiteren Behauptungen der Kanzlerin, aufgeführt in meinem Blog „Altersbedingte Ver- gesslichkeit der Kanzlerin?“] nicht ihrem eigenen Antrieb, sondern der gerichtlichen Vorgabe, an die auch sie sich, als Regierungs- chefin eines EU-Mitgliedslandes, zu halten hat..

Zuvor hatten alle 30 anwesenden Schüler und Schülerinnen erklärt, dass sie die Ehe-Öffnung für gleichgeschlechtliche Paare unterstützen, was die Kanzlerin allerdings nicht sonderlich zu beeindrucken schien, sie blieb stur.

Merkel: "Ich glaube im Augenblick ist es in der Gesellschaft noch nicht so ganz eindeutig, wie es jetzt hier in dieser Gruppe ist. Wenn es in allen Parteien eine *Mehrheit gibt, wie in dieser Gruppe, dann wird man sicherlich auch einen Veränderungsprozess in der Gesellschaft haben."

Moderator: "Ist nicht die Vorenthaltung der Ehe gegen die Würde homosexueller Menschen gerichtet?"

Merkel: "Vielleicht fühlt sich manch einer in seiner Würde auch beeinträchtigt. Ich würde sagen: Die Würde ist gewahrt. Ich habe die Würde nicht beleidigt."

Anmerkung zur Frage der *Mehrheit für eine Ehe-Öffnung

Eine klare Zweidrittel-Mehrheit der Bevölkerung ist laut aktuellen Umfragen für die Ehe-Öffnung und außerdem sind sämtliche Bundestagsparteien dafür (bis auf Teile der CDU/CSU-Fraktion, die sich um den evangelikalen Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder scharen). Merkel allerdings gehört weiterhin zu den Blockierern; sie hat sich wiederholt gegen die Ehe-Öffnung ausgesprochen, zuletzt gegenüber 'LeFloid' im YouTube-Interview.

Mehr zum Thema:

https://www.freitag.de/autoren/saul-rednow/altersbedingte-vergesslichkeit-der-kanzlerin

https://www.freitag.de/autoren/saul-rednow/unheilige-allianz

https://www.freitag.de/autoren/saul-rednow/lefloid-interviewt-angela-merkel

https://www.freitag.de/autoren/saul-rednow/bundespraesident-gauck-lobt-irlands-eheoeffnung

https://www.freitag.de/autoren/saul-rednow/dont-leave-you-with-that

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https://www.freitag.de/autoren/saul-rednow/wie-diskreditiert-man-eine-forderung

https://www.freitag.de/autoren/saul-rednow/eheoeffnung-in-deutschland

https://www.freitag.de/autoren/saul-rednow/die-loewin-und-der-maeuserich

https://www.freitag.de/autoren/saul-rednow/frau-merkel-oeffnen-sie-die-zivil-ehe-jetzt

https://www.freitag.de/autoren/saul-rednow/groenland-oeffnet-die-zivil-ehe

https://www.freitag.de/autoren/saul-rednow/homophobe-nachwehen-in-deutschland

https://www.freitag.de/autoren/saul-rednow/ja-sind-die-iren-denn-des-teufels

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Geschrieben von

Saul Rednow

Meine Themen: Rechtsextremismus - Rassismus - Homophobie - Politik - Musik u.a.

Saul Rednow

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