Ätsch, bätsch: Die Sitzordnung im Bundestag ändert sich, die Hartz-IV-Sätze nicht

Ampel Während sich FDP-Schüler darüber freuen, nicht mehr neben der bösen AfD im Klassenzimmer Parlament sitzen zu müssen, wird eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze abgelehnt. Ein aktueller Armutsbericht zeigt: 16 Prozent der Menschen leben in Armut.

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Es gibt im Sprachgebrauch das Sprichwort: Bilder sagen mehr als tausend Worte. Doch in diesem Fall sagen wenige Worte wirklich mehr als jedes Bild.

Am 16. Dezember postete der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Kruse folgenden Tweet, indem er sich diebisch über die veränderte Sitzordnung im Bundestag freute:

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Nun könnte man diesen Tweet einfach als individuelle Spinnerei und sinnlose Aufregung abtun, allerdings zeigen Reden wie folgende von Johannes Vogel, immerhin Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, dass sich hier eine Regierungspartei am Thema Sitzordnung politisch abarbeiten möchte.

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Ja, richtig, die FDP hatte es sich zu Beginn dieser Legislaturperiode zur Aufgabe gemacht, den Platz im Klassenzimmer zu wechseln, weil der gemeine und aufmüpfige Sitznachbar AfD doch nicht neben ihm sitzen darf. Jetzt hat die CDU-Fraktion neben der AfD-Fraktion Platz genommen.

Dies zeigt, dass sich die FDP um die wirklich wichtigen Themen im Staat kümmert. Die neue Ampel-Regierung macht Vorfreude auf die nächsten vier Jahre.

Prioritäten-Missmanagement

Dafür, dass sich die FDP immer als Partei des Managements präsentiert, wirkt sie mit diesem billigen Taschenspielertrick, der nichts weiter als reine Symbolpolitik ist, wie jemand, dem komplett die Prioritäten abhandengekommen sind. Man könnte aber auch einfach von schlechtem Timing sprechen.

Gleichzeitig lehnte nämlich die Bundesregierung einen Antrag der Linkspartei über eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze um die Inflationsrate ab. Während also vielerorts die Preise für Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs steigen, bleibt der Regelsatz gleich. Die gute Nachricht zu Weihnachten: Im nächsten Jahr heißt Hartz IV nicht mehr Hartz IV, sondern Bürgergeld. Die schlechte Nachricht: An den Zumutbarkeitsregelungen und dem Leben unter dem Existenzminimum wird sich nichts ändern.

Gleichzeitig schaffte es der Bundestag mit der Mehrheit der Ampel+CDU allerdings, formell seine Diäten zu erhöhen, die an die Lohnentwicklung im Land gekoppelt sind. Dieses Prinzip der Diäten-Kopplung an die Lohnentwicklung wird nun einfach beibehalten. Damit wollten die beteiligten Parteien einer weiteren kritischen Plenardebatte über die Höhe der Diäten aus dem Weg gehen. Das mag einerseits- laut dem Regelwerk- legitim sein, wirft andererseits aber ein schlechtes Licht auf politische Entscheidungsträger, die nach außen hin materiell nicht liefern, aber gleichzeitig eigene Gehaltserhöhungen beschließen.

Das ist Prioritäten-Missmanagement par excellence, gelinde ausgedrückt. Aber die FDP ist ja beschäftigt, sich um eine neue Sitzfläche ein paar Meter weiter zu kümmern. Prioritäten.

Neuer Armutsbericht im Winter

Ironischerweise stellte die AfD denn auch einen Antrag im Bundestag, der unter anderem eine Erhöhung des Hartz-IV-Bedarfs sowie eine Streichung der Umsatzsteuer für Energie in diesem Winter vorsah. Natürlich wurde dieser unter Verweis auf "Populismus" abgelehnt.

Nun kann man der AfD zu recht vorwerfen, sie meine es nicht ernst mit sozialpolitischen Maßnahmen, da sie im Grunde eine neoliberale Partei in ihrem Kern repräsentiere. Das ist auch definitiv richtig: Die AfD war in ihrem Wahlprogramm 2021 für die schwarze Null, für eine Abschaffung der Erbschaftssteuer und gegen eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro.

Dies alles trifft jedoch auch auf die FDP zu, die derzeit mit in der Regierung sitzt. Da gehen SPD und Grünen die Argumente aus.

Erst kürzlich erschien zudem der neue Armutsbericht 2021 des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, der kein gutes Licht auf die wirtschaftliche Entwicklung der unteren Einkommensschichten wirft.

Hier sind ein paar Auszüge aus diesem Bericht, der den Titel "Armut in der Pandemie" trägt:

1. "Laut aktuellem Paritätischen Armutsbericht hat die Armutsquote in Deutschland mit 16,1 Prozent (rechnerisch 13,4 Millionen Menschen) im Pandemie-Jahr 2020 einen neuen Höchststand erreicht."

2. "Zwingend, so die Forderung, sei (...) insbesondere eine bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze in der Grundsicherung."

3. "Der Bericht geht (...) auf die Lage in den Bundesländern ein, die vontiefenGräbenzeugt:

WährenddiebeidensüddeutschenLänderBayernundBaden-WürttembergaufeinegemeinsameArmutsquotevon‚nur‘12,2Prozentkommen,

weisendieübrigenBundesländereinegemeinsameArmutsquotevon17,7Prozentaus."

Der 1. Auszug zeigt, dass trotz des Titels "Exportweltmeister" und der Profite großer Konzerne immer noch Millionen von Menschen in Deutschland weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens besitzen (die Armutsdefinition in Deutschland). Das ist wortwörtlich ein Armutszeugnis für ein reiches Industrieland im Herzen Europas.

Der Paritätische Verband schlägt zudem Lösungsansätze wie in Auszug 2 vor: Eine Erhöhung der Regelsätze würde sowohl Hartz-IV-Bezieher als auch Aufstocker zugutekommen. Hier ist die Bundesregierung gefordert. Doch die kürzliche Ablehnung der Erhöhung lässt nichts Gutes hoffen. Außer der kosmetischen Änderung des Namens scheint hier nicht viel zu passieren.

Im 3. Auszug wird deutlich, wie ungleich die Lebensverhältnisse im Land nach über 30 Jahren der Einheit immer noch sind. Im Rentenniveau nähern sich West und Ost langsam an, doch in der Lebensrealität (Löhne, Industrie, Armutsquote) liegen Süden und Norden noch weit auseinander. Diese Schere kann nur geschlossen werden, wenn sozialpolitische Maßnahmen folgen.

Wenn Satire zur Tragödie mutiert

Leider zeigen Aktionen wie die Sitzplatzordnungsdebatte der FDP, dass es vielen Politikern, aber auch Parteien nur um die Außenwirkung und das eigene Wohlbefinden geht, als darum, wie viele Menschen in Deutschland auf der Straße leben und/oder in Armut leben müssen. Es wirkt fast schon dystopisch an, dass die Prioritäten von Volksvertretern so verschoben zu sein scheinen. Und dann wundern sich die Parteien, wieso das Vertrauen in ihre Problemlösungskompetenz immer weiter in den Keller rauscht:

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Eine Meldung des Satireportals "Postillon", die als Satire angelegt ist, trifft die derzeitige politische Lage so genau auf den Punkt, dass man sie der FDP als Weihnachtsgeschenk auf ihre neuen Sitzbänke legen möchte. Die Überschrift:

"13,4 Millionen Deutsche unter Armutsgrenze froh, dass Bundestag sich endlich auf Sitzordnung geeinigt hat"

Wenige Worte sagen manchmal eben doch mehr als Bilder.

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