Steinmeier, die Zweite: Besser nicht

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiers Wiederwahl steht bereits vor der Wahl selbst fest. Ein Blick in seine politische Vergangenheit zeigt aber: Er war maßgeblicher Architekt der Agenda 2010- und setzte sich gegen die Freilassung von Kurnaz ein.

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Die Bundespräsidenten-Wahl sollte eigentlich ein Fest der Demokratie sein. Immerhin wählt die Bundesrepublik bei dieser Abstimmung mithilfe der Bundesversammlung das Staatsoberhaupt des Landes, das zwar per Verfassung „nur“ repräsentative Staatsfunktionen innehat, gleichzeitig jedoch nominell das höchste Amt des Staates bedeutet.

Wenn die Bürgerinnen einen Blick auf die Wahlen des Bundespräsidenten werfen, dann hat das leider nicht mehr viel mit demokratischen Partizipationsmöglichkeiten zu tun. Die Vorauswahl des Kandidaten bzw. der Kandidatin treffen die Parteien, allen voran die großen Volksparteien CDU und SPD. Und je nachdem, wie die Kräfteverhältnisse im Bundesrat gerade liegen, sind Grüne bzw. FDP bei der Vorentscheidung das Zünglein an der Waage.

Eine direktdemokratische Wahl des Bundespräsidenten fällt somit weg. Das ist in Österreich zum Beispiel anders, wo der Bundespräsident bzw. die Bundespräsidentin direkt gewählt wird.

Aufgrund dieser Machtspiele der Parteien stand bereits die Wiederwahl vom aktuellen Bundespräsidenten fest, bevor die eigentliche Abstimmung am Sonntag, den 13. Februar dieses Jahres überhaupt stattfindet.

Frank-Walter Steinmeier (66) wird weiterhin Staatsoberhaupt der Bundesrepublik bleiben und für fünf weitere Jahre gewählt werden. Das entschieden die Ampel-Parteien, indem sie sich hinter eine Wiederwahl des ehemaligen SPD-Politikers stellten. Kurz danach zog auch die CDU nach und gab ihre Unterstützung für Steinmeier bekannt.

Die drei anderen Kandidaten für die Wahl, Gerhard Trabert (parteilos, von Die Linke unterstüzt), Max Otte (von der AfD unterstützt) und Stefanie Gebauer (u.a. von den Freien Wählern unterstützt) gehen chancenlos ins Rennen. Ein 6er im Lotto ist wahrscheinlicher als die Wahl eines dieser drei Kandidaten.

Nun ist es logischerweise nicht Steinmeiers Verschulden, dass die Vorauswahl eines Bundespräsidenten bereits vor der eigentlichen Wahl stattfindet.

Allerdings lohnt sich ein Blick in die politische Vergangenheit des Ex-Außenministers und Kanzlerkandidaten der SPD. Ein kritischer Blick auf seine politische Vita zeigt nämlich, dass es auch gute Gründe gegen eine Kandidatur Steinmeiers gegeben hätte. Besonders, wenn es um soziale Schwerpunkte bzw. Menschenrechtsfragen geht.

Agenda 2010

Ein erster Blick ist hierbei auf Steinmeiers innenpolitische Rolle zu werfen. Als die Rot-Grün-geführte Koalition 2005 unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder ihr Agenda-2010-Programm auf den Weg brachte, war Steinmeier als Kanzleramtsminister ein lautes Sprachrohr des neoliberalen Umbaus des Staates. Zudem wirkte er inhaltlich maßgeblich bei der Ausgestaltung der Agenda 2010 mit, indem er mit dem Kanzleramtspapier 2002 die Konzeption der späteren Agenda-Politik vorbereitete.

In diesem Kanzleramtspapier fanden sich Punkte wie „Reform der sozialen Sicherungssysteme“ (Arbeitslosen- und Rentenversicherung), „Senkung der Lohnnebenkosten“ (Kündigungsschutz lockern) und „Haushaltskonsolidierung“ (spätere Einführung der Schuldenbremse). Inhaltliche Vorläufer der späteren Agenda-Politik und deren Nachwehen.

Dazu gehörte eben die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf den niedrigeren Satz der Sozialhilfe, der heute allgemein als Hartz IV bekannt ist. Sozialverbände wie der VDK kritisieren, dass die Regelsätze seit Jahren viel zu niedrig bemessen sind und besonders für vulnerable Gruppen wie Rentner und Kinder erhöht werden müssten. Berechnungen wie die der Kreiszeitung zeigen, dass die niedrig bemessenen Regelsätze zu einem zunehmenden sozialen Ausschluss von Bevölkerungsschichten (vor allem Kindern) führen. Zudem brachte die Deregulierung des Arbeitsrechts und des Arbeitsmarktes einen Niedriglohnsektor mit sich, der in Europa seines Gleichen sucht. Deutschland belegt seitdem Spitzenplätze, was seinen Niedriglohnsektor anbelangt. Im EU-weiten Vergleich der Niedriglohnquote rangierte die Bundesrepublik 2018 auf dem 6. von 28 Plätzen (noch mit UK), nur übertroffen von östlichen Staaten wie Polen oder Litauen. Europameister auf eine andere Art.

Die Zahl der „Armutsgefährdungsquote“ kennt auch nur eine Richtung: Nach oben. Sie steigt seit Jahren. Interessant hierbei: Unmittelbar nach Einführung der Agenda-Reformen (2005-2011) gab es einen Anstieg von 14 auf 15 Prozent.

Nun könnte man natürlich zur Verteidigung anbringen, dass Steinmeier mit dem Besten rechnete, aber von den negativen Begleiterscheinungen dieses Reformprogramms überrascht wurde. Schließlich begeht jeder und jede in der Politik mal Fehler. Menschen irren.

Grundsätzlich sind Fehler natürlich in Ordnung, aber das setzt eben Voraus, dass man aus seinen Fehlern lernt. Das tat Steinmeier aber offensichtlich nicht. Sowohl im aktuellen als auch im späteren Beispiel scheint keine Entwicklung bei ihm eingesetzt zu haben.

Im Jahr 2013, also acht Jahre nach Einführung der Agenda, verteidigte er diese und sprach im Handelsblatt davon, dass sie half, „(…) die Zahl der Beschäftigten auf heute 41 Millionen zu erhöhen.“

Wie so viele andere Politikerinnen zog er eine Relation zwischen Agenda 2010 auf der einen und der Reduzierung der Arbeitslosenzahlen auf der anderen Seite.

Peter Bofinger, ein ehemaliger Wirtschaftsweise der Bundesregierung, legte in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen dar, wieso die positiven Effekte der Agenda 2010 auf den Arbeitsmarkt einer genaueren Betrachtung nicht standhalten:

„Wenn man die alten Bundesländer 2001 und 2016 vergleicht, dann haben wir gerade mal 90.000 Langzeitarbeitslose weniger. Und es gab 2016 sogar mehr Arbeitslose mit einem Leistungsanspruch als 2001.“

Ein Blick auf die Zahl der Langzeitarbeitslosen zwischen 2008-2015 zeigt ebenfalls, dass die Effekte der Agenda-2010-Reformen nicht tiefgreifend waren:

2008 gab es etwa 1,3 Millionen Langzeitarbeitslose, 2010 dann 1,1 Millionen und 2015 etwa 1 Million. Sicherlich nicht die Zahlen, die sich die politisch Verantwortlichen erhofft hatten.

Zudem führte Steinmeier im Handelsblatt weiter aus, dass Deutschland jetzt (2013) in einer „Reihe mit Italien, Frankreich und Spanien“ stünde, wenn es die Agenda 2010-Reformen nicht gegeben hätte.

Damit verweist er auf die wirtschaftlichen Probleme dieser Länder (zu Zeiten der Euro-Krise 2012/2013), die mit hoher Arbeitslosigkeit (insbesondere Jugendarbeitslosigkeit: Italien und Spanien) und staatlicher Verschuldung (Frankreich) zu kämpfen haben. Diese Aussage entbehrt jeglicher faktischer Grundlage und einen Nachweis hierfür ist Steinmeier schuldig geblieben.

Der einzige Weg, um wirtschaftlichen Aufschwung und eine Reduktion der Arbeitslosenzahlen zu erreichen, ist also mit einem Programm, das soziale Verwerfungen auf breiter Ebene herbeiführte? Wirklich? Neoliberalismus bietet also keine Alternativen?

Außenpolitik

Die Innenpolitik war jedoch nicht alles, womit sich Steinmeier in seiner politischen Karriere hervortat. Außenpolitisch ist besonders ein Ereignis in Erinnerung geblieben: In seiner Amtszeit als Kanzleramtsminister (unter Kanzler Schröder) weigerte sich der SPD-Politiker, den zu Unrecht inhaftierten und unschuldigen Murat Kurnaz aus dem Gefangenenlager Guantanamo wieder nach Deutschland zurückzunehmen. Kurnaz wurde ohne Gerichtsbeschluss und ohne rechtsstaatlichen Prozess aus Pakistan in das Gefangenenlager der USA gebracht und dort jahrelang ohne Anklage festgehalten.

Er berichtete von Folter, menschenunwürdiger Behandlung und körperlicher Gewalt.

Kurnaz war zwar türkischer Staatsbürger, wuchs aber in Deutschland auf und verbrachte dort die meiste Zeit seines Lebens.

Als die USA der deutschen Bundesregierung die Freilassung Kurnaz’ anboten, weigerte sich Steinmeier, diesen zurückzunehmen. Das ist ein politisches Versagen seinesgleichen.

Und stellt auch die Integrität von Steinmeier infrage. Besonders, wenn es sich um Fragen der Menschenrechte und basaler Bürgerrechte handelt.

In einem Statement bei der taz erzählte Kurnaz später (2016), dass er bis heute keine Entschuldigung von Steinmeier erhalten hätte und fordert diese erneut ein.

Steinmeier lehnte eine solche Entschuldigung im selben Jahr jedoch ab, also kurze Zeit, bevor er zum Bundespräsidenten (2017) gewählt wurde:

Eingebetteter Medieninhalt

Steinmeier, der nun seit fünf Jahren Bundespräsident ist, und jetzt für eine 2. Amtszeit kandidiert, repräsentiert Deutschland maßgeblich auch nach außen.

Die Behandlung (oder besser Nichtbehandlung), die er Kurnaz zukommen ließ, ist ein Skandal. Politische Konsequenzen für die politisch Verantwortlichen (vor allem Steinmeier) musste jedoch keiner tragen. Ganz im Gegenteil.

All die schöne Rhetorik, und all die schönen Bilder, die am 13. Februar bei der Bundespräsidenten-Wiederwahl von Steinmeier über die Bildschirme flimmern werden, sollten nicht darüber hinwegtäuschen:

Steinmeier hat sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch einige Makel vorzuweisen. Aber seine Wiederwahl zeigt: Was interessieren mich meine Taten von gestern?

Empfehlung des Autors: Markus Reuter kritischer Artikel (2017) über Steinmeiers politische Vita greift weitere Punkte auf:

https://netzpolitik.org/2016/steinmeier-politik-ohne-skrupel/

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