Humanity landing on us

Streaming Die koreanische Serie „Crash Landing on You“ ist eine Analogie der Menschlichkeit und ein Beispiel, wie politische Grenzen verschwimmen. Zurück bleibt nur Menschlichkeit

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Der Nord- und Südkorea trennende 38. Breitengrad. Auch er kann nicht verhindern, dass Menschen Gemeinsamkeiten sehen und Unterschiede ablegen
Der Nord- und Südkorea trennende 38. Breitengrad. Auch er kann nicht verhindern, dass Menschen Gemeinsamkeiten sehen und Unterschiede ablegen

Chung Sung-Jun/Getty Images

Wenn in diesen Zeiten des Corona-Virus von 38 Grad die Rede ist, fällt der Blick erst einmal auf das Thermometer. Erhöhte Temperatur. Schnell zum Arzt.

Doch nach den jüngsten Schießereien an der demilitarisierten Zone, die die beiden Koreas voneinander trennt, wird ebenfalls bewusst, wie fragil das Waffenstillstandsabkommen aus dem Jahr 1953 eigentlich ist.

Statt 38 Grad Körpertemperatur herrscht hier der eiserne Vorhang des 38. Breitengrades, der zwei Länder teilt, die sich de facto noch im Kriegszustand befinden.

2018, immerhin erst 2 Jahre zurück, kam kurze Hoffnung auf Frieden auf; sogar von der Wiedervereinigung der verfeindeten Staaten wurde gesprochen.

Die beiden jeweiligen Staatenlenker Moon jae-in aus dem Süden und Kim Jong-un aus dem Norden trafen sich am 38. Breitengrad und überschritten symbolisch die Grenze, um eine Annäherung zu demonstrieren. US-Präsident Trump sprach sogar von Kim als „Freund“ und wünschte ihm in den vergangenen Wochen eine baldige Genesung.

Doch immer wiederkehrende Raketentests und militärische Provokationen auf beiden Seiten, wie zum Beispiel die Truppenübungen der USA an der Grenze, lassen die Hoffnung auf eine baldige Annäherung schwinden. Die Treffen der Präsidenten verkommen immer mehr zur reinen Symbolpolitik.



Crash Landing on You



Einen krassen Gegensatz dazu präsentiert die koreanische Drama-Serie „Crash Landing on You“ aus dem Jahr 2019, die in Deutschland auf dem Streamingdienst Netflix abrufbar ist.

In dieser Serie landet eine reiche Erbin eines Familienunternehmens aus Seoul durch einen Unfall in Nordkorea und muss die Hilfe eines nordkoreanischen Militäroffiziers in Anspruch nehmen, um das Land wieder unbemerkt zu verlassen. Dabei ist zu bedenken, dass südkoreanischen „Spionen“ bei Entdeckung lebenslange Haft im Straflager oder gar der Tod droht.

Innerhalb dieser Serie wird auf unzählige sprachliche Mittel zurückgegriffen: die junge Erbin aus reichem Hause Se-ri stürzt mit ihrem Paraglider aufgrund eines Sturms ab; eine Metapher für die Flüchtigkeit des Lebens, das vor Überraschungen aller Art nicht Halt macht. Egal, ob positiv oder negativ. Das Leben unterscheidet nicht, womit wir zusammenstoßen und womit nicht.

Zudem arbeiten die Macher des Dramas sehr stark mit Antithesen, was die Eigenschaften der Charaktere anbelangt. Dies wird insbesondere bei der Betrachtung der beiden Protagonisten deutlich: Se-ri, die junge erfolgreiche Businessfrau aus dem Süden, lebt den kapitalistischen Traum einer individualistischen Gesellschaft: sie hat eine Penthouse-Wohnung, in der sie durch schlichtes Klatschen das Licht ein-und ausschaltet; Jeong-Hyeok dagegen, der nordkoreanische Offizier, kann froh sein, wenn er einen Tag ohne Stromausfall übersteht.

Jeong-Hyeok und seine „Genossen“ vom Militär, die sich im Verlauf der Serie auch zu seinen Freunden entwickeln, stehen dagegen für den Kollektivismus, der in Kontrast zu Se-ris einsamen Leben steht. Angelehnt an die Chuche‘-Ideologie, der Staatsideologie von Staatsgründer Kim Il-Sung, ist das Individuum nur im Kollektiv der Nation etwas wert.

Diese komplett entgegengesetzten Welten, die hier aufeinanderprallen (crashen), verdeutlichen, wie unterschiedlich sich der Süden und Norden mittlerweile sind. Wieder eine Antithese.

Und doch, bei Betrachtung der Serie, bleiben dem Autor dieser Zeilen vor allem die Momente der Menschlichkeit und der Gemeinsamkeiten in Erinnerung.

Ja, natürlich, wird unter Einsatz von Hyperbeln eine Soldaten-Clique erschaffen, die sich liebevoll unter größtem eigenen Risiko um das Wohlergehen Se-ris kümmert; nordkoreanische Flüchtlinge kritisierten, dass dies ein zu positives Bild der dortigen Realität von Soldaten zeichne.

Ja, natürlich, wird auch ein nordkoreanischer Offizier mitsamt seinen Truppen idealisiert, der nach jahrelanger Indoktrination von klein auf eher nicht auf Verständnis gegenüber Südkoreanern aus wäre.

Aber auch hier gilt: fiktive Formate entbehren immer einer gewissen Logik, weil sie natürlich nie auf dramaturgische Elemente zurückgreifen und nie die vollständige Realität abbilden können; vor allem nicht bei einem isolierten Land wie Nordkorea.



Politik spaltet, nicht einfache Menschen



Zudem symbolisieren die Soldaten um den Offizier Jeong-Hyeok nicht eine Pseudomoral, sondern in Verbund mit Se-ri menschliche Werte, die unabhängig von Herkunft und Status über Ländergrenzen hinweg vermittelbar sind.

Politische Entscheidungsträger in Nord- und Südkorea, aber auch USA und China sind für die Konfrontationen und die Propaganda verantwortlich; aufgrund von machtpolitischen und persönlichen Nutzen.

Die „einfachen“ Menschen, wie sie eben Se-ri in Südkorea und Jeong-Hyeok und seine Soldaten dagegen symbolisieren, dienen nur als Rädchen, um die ideologischen Fronten weiter intakt zu lassen.

Dabei sehen wir bei allen Unterschieden in Reichtum oder Landesgrenze, wie Se-ri und Jeong und seine Soldaten beide die Sehnsucht nach einer intakten Familie, einer gesunden partnerschaftlichen Beziehung und einem gemeinsamen Miteinander verbindet.

In einer Szene zum Beispiel, die besonders bezeichnend hierfür ist, erzählt ein Soldat aus der Gruppe Se-ri, wie sehr er seine Mutter vermisst und dass er sie durch den 9-jährigen Militärdienst erst in 9 Jahren wieder sehen werde; Se-ri, die ein angespanntes Verhältnis zu ihrer Familie prägt, wünscht sich ebenfalls diese zwischenmenschliche Verbundenheit zu ihren Eltern und Geschwistern. Sie ist sich nicht sicher, ob ihre Familie sie überhaupt wieder zurück haben möchte oder sie aufgrund ihres Erbes nicht lieber tot sehen würde.

Unsere menschlichen Sehnsüchte, das zeigt diese Serie, zeichnen keine künstlichen Grenzen wie die Kolonialmächte in Korea nach 1953. Se-ris und Jeong-Hyeoks‘ Gefühle zueinander hören nicht plötzlich auf, nur, weil politische Entscheidungsträger sich dies so wünschen.

Das Sprichwort „Liebe kennt keine Grenzen“, das besonders auf die romantische Liebe projiziert wird, kann genauso gut auf die Philia, auf unsere Mitmenschen bezogen werden.

Nordkoreanische Familien auf dem Land, die in der Serie eine zentrale Rolle einnehmen, symbolisieren das Kollektiv, das einem Individuum Sicherheit gibt. Südkoreanische Familien, wie auch im Film „Parasite“ gezeigt, setzen auf das Individuum als Antriebskraft, ganz nach dem großen Vorbild des amerikanischen Traums.

Die Serie „Crash Landing on You“, mit ihrem Symbolbild des Absturzes, des Unfalls, führt zwei gewaltsam auseinandergerissene Kulturen-auf den ersten Blick gewaltsam-zusammen und lässt es wie einen Unfall aussehen. Doch eigentlich findet nur zusammen, was zusammen gehört.

Genauso, wie DDR und BRD wieder zusammengefunden haben, finden auch Süd- und Nordkorea in der Serie im kleinen Rahmen zusammen.

Familientreffen zwischen Verwandten aus beiden Ländern sorgen immer wieder für ergreifende und emotionale Szenen in der Realität.

Und auch, wenn dieses koreanische Drama „nur“ ein fiktives Schauspiel darstellt, führt es Menschen zusammen;

Menschen, die Gemeinsamkeiten sehen und Unterschiede ablegen.

Da kann auch kein 38. Breitengrad dagegen ankommen.

Siehe Jeong-Hyeok und Se-ri.

Sie gehören zusammen!

Wo ist Staffel 2?

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