Keine progressive Vorkämpferin

US-Präsidentschaftswahlen Der Demokrat Biden hat seine Wahl getroffen: Kamala Harris soll in Zeiten von Black-Lives-Matter-Protesten eine Signalwirkung sein. Aber ist sie wirklich die Richtige?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Kamala Harris steht für eine Neuauflage der zentristischen und korporatistischen Agenda vergangener Präsidentschaften
Kamala Harris steht für eine Neuauflage der zentristischen und korporatistischen Agenda vergangener Präsidentschaften

Foto: Ethan Miller/Getty Images

Noch zu Jahresbeginn gab es einen Zweikampf zwischen dem progressiven Flügel der Demokratischen Partei um Bernie Sanders und dem Partei-Establishment, repräsentiert durch Kandidaten wie Ex-Vizepräsident Joe Biden.

Da war von Kamala Harris bereits nichts mehr zu hören und zu sehen. Die Senatorin aus Kalifornien zog bereits im Dezember letzten Jahres ihre Bewerbung um die Partei-Nominierung zurück, da sie in den Umfragen und der öffentlichen Wahrnehmung aussichtslos zurückgefallen war.

Anfang 2019 galt sie in den US-Medien noch als Shootingstar der Demokraten: eine schwarze Frau mit die zudem darüber hinaus auch noch eine erfolgreiche juristische Karriere in Kalifornien hingelegt hatte. Alles schien perfekt vorbereitet für die 55-Jährige.

Doch was war passiert? Warum scheiterte Harris auf fulminante Art und Weise?

Einen kleinen Einblick bot die Kongressabgeordnete Tulsi Gabbard bei einer der demokratischen TV-Debatten im Sommer vergangenen Jahres, als sie Harris mit ihrer Vergangenheit in der Strafverfolgung konfrontierte.

Dabei verwies Gabbard unter anderem darauf, dass Harris als Justizministerin in Kalifornien über 15.000 Menschen in Kalifornien für Marihuana-Konsum hinter Gitter brachte.

Pikant hierbei: Schwarze in den USA haben laut einer Studie der American Civil Liberties Union (ACLU) eine fast viermal höhere Wahrscheinlichkeit, für Marihuana-Vergehen eingesperrt zu werden als ihre weißen Mitbürger; der Konsum beider Bevölkerungsgruppen ist allerdings auf ähnlichem Niveau.

Doch die Liste geht noch weiter. Als Harris 2014 gefragt wurde, ob sie vorhabe, den Konsum von Marihuana zu legalisieren, lachte sie über die Frage. Ihr damaliger Gegner im Kampf um das Amt des Justizministers, ein Republikaner, setzte sich für ebendiese Legalisierung ein.

Das Video dazu ging viral. Ihre Antwort, gefolgt von einem Lachen, war also wieder einmal: Ich habe kein Interesse, strukturelle Verbesserungen für die schwarze Bevölkerungsgruppe vorzunehmen. Dabei hätte allein diese Entscheidung Tausenden von Menschen in Kalifornien geholfen; eben insbesondere Afroamerikanern.

Ihr jetziges Engagement für die Black-Lives-Matter-Demonstrationen erscheint unter diesen Vorzeichen unter einem ganz anderen Licht.


Die Vergangenheit von Kamala Harris

Zunächst jedoch eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit.

Kamala Harris, geboren und aufgewachsen in Kalifornien, Tochter eines jamaikanisch-amerikanischen Vaters und einer tamilischstämmigen Mutter, studierte Jura und stieg bis zur Justizministerin des Bundesstaates auf; sie war somit für die Strafverfolgung des Staates zuständig.

2013, als die Regionalbank OneWest Bank illegale Zwangsvollstreckungen durchführte, verzichtete sie auf Untersuchungen oder gar eine Klage gegenüber den unrechtmäßigen Machenschaften. Das Interessante: Der Leiter der Bank, Steve Mnuchin, ist der heutige Finanzminister unter Präsident Donald Trump.

Noch interessanter allerdings: 2016 spendete Mnuchin für Harris‘ damaligen Wahlkampf für den US-Senat. Es ist zwar gängige Praxis im US-Wahlsystem, dass reiche Geldgeber sowohl Republikaner als auch Demokraten mit Geldern unterstützen, doch diese nachträgliche Unterstützung für Harris ist dennoch ungewöhnlich. Vor allem, weil Mnuchin, ein ehemaliger Wall-Street-Banker, nur wenige Monate später in Trumps Administration eintrat.

Auch die Todesstrafe begleitete Harris während ihrer juristischen Karriere in Kalifornien.

Die kontroverse Entscheidung, den Gang-Mörder eines jungen Polizisten nicht zu töten, brachte der damaligen Justizministerin Harris viel öffentliche Kritik ein. Dennoch entschied sie sich dafür, auf die Todesstrafe zu verzichten. Das soll hier explizit erwähnt werden.

Doch Harris war zu inkonsistent beim Thema Todesstrafe, da sie sich entgegen aller eigenen Beteuerungen gegen die Aufhebung eben dieser vehement einsetzte. Zu ihren Bekundungen, sie sei persönlich gegen die Todesstrafe, passt das aber nicht.

Auch hier gilt wie bei dem Thema Drogen-Konsum: Studien zeigen, dass Minderheiten in den USA deutlich öfter die Todesstrafe erhalten als weiße Mitbürger bzw. mit längeren Gefängnisstrafen rechnen müssen. Harris‘ Aktionen im Bürgerrechtsspektrum in Kalifornien schadeten somit vor allem den Minderheiten, die sie als Tochter von Minderheiten vorgibt, zu verteidigen.

Harris setzte sich außerdem für den Einsatz der sogenannten Familial Searching im Rahmen von DNA-Analysen ein, eine auch in Deutschland umstrittene Praxis, die durch ihre Anwendung einen „Rückschluss auf Verwandte“ erlaubt.

Auch hier gilt wieder: diese Praxis schadet vor allem ärmeren Bevölkerungsschichten sowie Minderheiten.

Sie sprach sich als Justizministerin zudem gegen einen landesweiten Einsatz von Körperkameras bei Polizisten aus, weil sie dies lieber den einzelnen Polizei-Einrichtungen überlassen wollte.

Dabei war Kalifornien bereits 2015 einer der Bundesstaaten mit der höchsten Todesrate durch Polizeigewalt. Schwarze Bürger haben in den USA eine bis zu 3-fach höhere Wahrscheinlichkeit, durch die Hand eines Polizisten zu sterben als Weiße.

Daraus beziehen auch Bewegungen wie Black-Lives-Matter ihre Legitimität.

Die oberen Positionen von Harris jedoch zeigen ein anderes Bild.

Alles Praktiken, die Black-Lives-Matter wohl kaum unterstützen würde.

Doch lassen wir die Vergangenheit einmal ruhen.

Die Probleme von Kamala Harris in der Gegenwart

Selbst, wenn die belastende Vergangenheit bei der Betrachtung eines Kandidaten außen vor gelassen wird, ist Kamala Harris als Vizepräsidentin von Biden keine geeignete Kandidatin, um die Demokratische Partei zu einigen; oder gar das zerrissene Land.

Vielmehr profitieren Biden und Harris von der Corona-Krise in den USA, die Trump in den Umfragen zusetzt, ohne, dass die beiden Kandidaten überhaupt etwas dafür tun müssten.

Harris steht – im Gegensatz zu allen öffentlichen Behauptungen wie ihre Unterstützung für die allgemeine Krankenversicherung (Medicare for all) – nicht für einen progressiven oder gar linken Kurs der Demokraten.

Junge Wähler, die insbesondere 2016 bei der Präsidentschaftswahl enttäuscht zuhause blieben oder die Green Party wählten, unterstützten bei den Vorwahlen lieber Kandidaten wie Sanders und lassen sich durch Identitätsparolen wie „Afroamerikanerin“ oder „Frau“ nicht einlullen.

Sie fordern strukturelle Verbesserungen wie kostenlose Universitätsbildung oder auch eine Marihuana-Legalisierung, die besonders der schwarzen Bevölkerungsgruppe zugutekommen würde.

Umfragen belegen zudem, dass junge Wähler in den USA bereit sind, für einen selbsternannten Sozialisten zu stimmen; zudem haben sie eine deutlich negativere Sicht auf den Kapitalismus als die ältere Generation, weil sie die Auswirkungen des Neoliberalismus der vergangene Jahrzehnte immer stärker durch fehlende Jobs, unbezahlbare Krankenversicherung und niedrigere Löhne wahrnehmen.

Harris betonte immer wieder, dass sie keine Sozialistin ist.

Es gab einen Grund, wieso junge Wähler, aber auch sogenannte blue-collar Arbeiter, vor allem aus dem Mittleren Westen, Sanders unterstützten, obwohl der nur weiß, alt und männlich war: seine glaubwürdigen Inhalte wie die Unterstützung für Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechte.

Harris, die in ihrer politischen Karriere Gelder von verschiedensten Industrien angenommen hat und bei den Vorwahlen 2016 zeitweise die meisten Gelder von Milliardären gesammelt hatte, verkörpert dagegen eine Obama-lite Politik, also eine Neuauflage der zentristischen und korporatistischen Agenda der vergangenen Amtszeiten.

Biden als Ex-Vizepräsident von Obama ist prädestiniert, diesen Status Quo fortzusetzen.

Er verspricht nur kleine Anpassungen wie eine Rückkehr zur Normalität ohne Tweets, aber keine großen strukturellen Veränderungen. In einem Treffen mit reichen Geldgebern sicherte er bereits zu, dass sich an dem gegenwärtigen System, das Großkonzerne sowie Millionäre und Milliardäre bevorzugt, nichts ändern werde.

Harris weiß also, worauf sie sich einlässt.

Aber genau das ist das Problem: Sie wird trotzdem seine Vizepräsidentin; weil sie ihm ähnlicher ist, als sie sich in der Öffentlichkeit präsentiert.

Kamala Harris ist keine progressive Vorkämpferin für Schwarze bzw. Minderheiten, sie ist ein Wolf im Schafspelz.

Sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart zeigen das.

Ihre Zukunft als Vizepräsidentin lässt nichts Gutes erahnen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden