Ein Zuhause, das mitdenkt

Smart Home Noch ist das smarte Wohnen eher Ausnahme als Regel in Deutschland. Das hat auch mit dem Verhältnis zwischen Mieterinnen und Vermieter zu tun.

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Anke Wallbruch steht jeden Morgen um sieben Uhr auf. Damit sie es warm hat, schaltet sich schon eine halbe Stunde vorher die Heizung an. Um kurz vor sieben geht das Licht in ihrer Wohnung an. Sie steht auf, zieht sich an, frühstückt. Um 8:05 Uhr erinnert ein Wecker daran, dass in zehn Minuten ihre S-Bahn abfährt. Auf dem Rechner sieht sie den aktuellen Wetterbericht. Um 8.10 Uhr geht Anke Wallbruch aus dem Haus. Das Licht geht aus, die Heizung stellt sich ab.

So könnte die Morgenroutine in einem smarten Zuhause aussehen. Doch genauso wenig, wie es Anke Wallbruch im echten Leben gibt, ist ihr Alltag, in dem das intelligente Zuhause eine große Rolle spielt, die Norm in der deutschen Gesellschaft.

Dennoch: Dieses Thema wird wichtiger – davon sind die Expertinnen und Unternehmer überzeugt, die am 18. September im Telefónica Basecamp in Berlin zu „Smart Up the City", dem Innovationspreis des Berliner Wohnungsbauunternehmens degewo zusammenkamen. Fast 20 Unternehmen und Start-ups stellten an diesem Tag ihre Ideen für die Zukunft des Wohnens vor.

Heizung auch tagsüber abschalten

Für Prof. Dr. Wulfdieter Bauerfeld, von dem das Beispiel für die Morgenroutine stammt, wird es höchste Zeit, dass es mit dem smarten Wohnen vorangeht. Der Experte für Gebäudeautomation und -informationstechnik an der HTW Berlin sagt: „Wir haben in der grünen Technologie ein massives Wachstum. Aber wer ist nicht mitgewachsen? Die Immobilienwirtschaft." Zu lange habe man sich mit dem Thema Dämmung aufgehalten, doch das habe nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht. Es gehe darum, digitale Technologien sinnvoll zu nutzen, um Energie einzusparen. „Wir müssen grüner werden", so Bauerfeld. Viele Menschen würden nachts ihre Heizung abschalten. Aber tagsüber, während der Arbeit? Daran denken wohl deutlich weniger Menschen.

Es gibt einige Hürden auf dem Weg zum schlauen Wohnen. Da ist zum Beispiel das Mieter-Vermieter-Dilemma: Der Mieter hat wenig Interesse daran, viel Geld in neue Technologien für eine Wohnung zu investieren, aus der er möglicherweise in wenigen Jahren wieder auszieht. So er sich die Modernisierung überhaupt leisten kann. Und der Vermieter? Wer schon mal bei einer Wohnungsbesichtigung in Berlin, Köln oder München war, weiß: Die Mieter rennen ihm sowieso die Bude ein. Wozu also investieren?

Smarter Wohnraum? Bezahlbarer Wohnraum!

Abschließende Lösungen für dieses Dilemma finden sich an diesem Abend nicht. Einer der Teilnehmer verspricht immerhin, dass durch die digitale Energie-Steuerung, die sein Start-up anbietet, der Mieter unmittelbar profitiere, da er Energiekosten einspare. Raunen im Publikum, als er ergänzt, dass diese Technik es dem Vermieter außerdem erlaubt, vorübergehend die Miete zu erhöhen.

Wie smart ihr home ist – diese Frage bewegt die Menschen in Ballungsräumen nicht annähernd so sehr, wie das Problem, überhaupt erst an Wohnraum zu kommen und ihn zu halten. Eine Kategorie dieses Abends gilt daher Start-ups, die an Lösungen für bezahlbares Wohnen arbeiten. Dabei ist auch die derzeit so gehypte Idee des Tiny Houses vertreten: Das Unternehmen Futteralhaus verspricht, temporären Wohnraum für unter 1500 Euro Baukosten pro Quadratmeter zu schaffen. BigBoxBerlin schlägt vor, gleich in einen See-Container zu ziehen. Das Motto des Unternehmens: „In einer App lässt sich schlecht leben“ – wohl ein Seitenhieb gegen die zahllosen Apps, die in der Start-up-Szene entwickelt werden.

Ein Großteil des Abends dreht sich um technische Entwicklungen: Um Dachvermessungen aus der Luft, mit der das Start-up Airteam Dachdeckern das Leben leichter machen möchte. Um elektronische Assistenzsysteme, die erkennen, wann ein Bewohner in Gefahr ist – beispielsweise eine ältere Person, die stürzt – und die dann automatisch Hilfe alarmieren. Um einen „digitalen Zwilling", mit dem man digital durch ein Gebäude laufen kann. Um eine Software, bei der eine künstliche Intelligenz die Heizungsanlage überwacht.

Beim Sex-Appeal ist Luft nach oben

Bei manchen Start-ups zeigt sich, was Ulrich Jursch, Geschäftsführer der degewo netzWerk GmbH, später in einer Diskussionsrunde als ein weiteres Problem im Bereich smartes Wohnen ausmacht: „Manchmal fehlt es den Lösungen an Sex-Appeal." Die Ideen seien oft sehr techniklastig und daher für Durchschnittsmenschen nicht so ansprechend, weil wenig verständlich. Das wird bereits in manchen Vorträgen deutlich: Es fallen immer wieder Fachbegriffe und Abkürzungen, die so mancher Redner versäumt, dem Publikum zu erklären.

Selbst innerhalb der Immobilienbranche gebe es zu wenig Kenntnisse über Entwicklungen im Bereich smartes Wohnen, auch unter Architekten und Ingenieuren, sagt Jursch. Dafür brauche es eine Bildungsoffensive und spezielle Trainings.

Das intelligente Zuhause wird eine immer größere Rolle in Deutschland spielen – so die einhellige Meinung der Experten. Doch auch wenn smartes Wohnen irgendwann ein Massenmarkt werden sollte, es muss weiterhin Wahlfreiheit geben, fordert Dr. Thomas Engelke, Experte für Energie und Bauen der Bundeszentrale für Verbraucherschutz: „Die Digitalisierung soll nicht zum Zwang werden. Es gibt Menschen, die möchten einfach analog wohnen."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sarah Schaefer

Sarah Schaefer ist freie Journalistin in Berlin. Für die Meko Factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Sarah Schaefer

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