Den führerlosen Zug nicht gestoppt

Karlsruhe Das Bundesverfassungsgericht hat nicht wirklich zur Lösung der Eurokrise beigetragen

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Wie zu erwarten, hat das Bundesverfassungsgericht nur eng in der Sache entschieden und keinerlei Verbindung zwischen Fiskalpakt/ESM und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der EU (Handelsbilanzen, Struktur-, Förder- und Sozialprogramme) hergestellt, geschweige denn eine Reform des Bankensektors oder konkrete, solidarische Pläne zur Sanierung der hoch verschuldeten Euroländer angemahnthttp://www.stoerfall-zukunft.de/aktuelles/428-top-analyse-zur-situation-in-europa. Haarsträubend ist die Feststellung des Gerichts, dass „heute niemand mit Sicherheit sagen könne, welche Maßnahmen für die Bundesrepublik Deutschland und die Zukunft Europas in der derzeitigen Krise tatsächlich am besten seien.“

Tagesschau24, 12. September 2012, 11:15: Das Bundesverfassungsgericht hat die deutsche Beteiligung am Euro-Rettungsschirm ESM sowie am Fiskalpakt unter Vorbehalten genehmigt. Es müsse etwa sichergestellt werden, dass die Haftung Deutschlands auf die vereinbarten 190 Milliarden Euro beschränkt bleibe, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle in Karlsruhe. Zudem müsse Deutschland eine Vertragsauslegung sicherstellen, die gewährleistet, dass trotz der beruflichen Schweigepflicht aller für den ESM tätigen Personen Bundestag und Bundesrat umfassend informiert würden → http://www.tagesschau.de/inland/bundesverfassungsgericht190.html.

Die vorgeschriebene Deckelung der Haftung Deutschlands soll offenbar für Ruhe sorgen und dem Bundestag mehr Rechte einräumen. Sollte die schon bald erwartete Erhöhung des ESM-Budget anstehen, obliegt es jetzt dem Bundestag, über diese Erhöhung zu befinden. Der aber dürfte ähnlich ratlos dastehen wie am 29. Juni – denn mit einer qualifizierteren Bewertung des Sachverhaltes ist nicht zu rechnen http://www.stoerfall-zukunft.de/blog/424-warten-auf-karlsruhe-und-dann. Das Prozedere könnte deshalb gut und gerne als erneuter pseudodemokratischer Akt in die Geschichte unseres Parlaments eingehen. Ebenso unklar ist, wie die Schweigepflicht der ESM-Gouverneure mit der Auskunftspflicht des deutschen Finanzministers übereingebracht werden soll. Was muss Letzterer wem in welchen Abständen oder zu welchen Anlässen „ausplaudern“? Und wer kann dann demokratisch mit welcher Mehrheit/Befugnis reagieren?

Solange den verantwortlichen Politikern in Europa nicht klar ist, was zur Rettung der Eurozone wirklich vonnöten ist, werden auch die fiskalen Lösungen nicht fruchten. Darüber, ob der ESM eine Banklizenz erhalten und damit unbegrenzt Geld von der Europäischen Zentralbank aufnehmen kann, wird derzeit noch spekuliert. Die Verfassungsrichter sollen sich grundsätzlich dagegen ausgesprochen haben.

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Geschrieben von

Scharfenorth

Bis 1990 fuer die DDR-Stahlindustrie tätig. Danach Journalist/ Autor in Duesseldorf. 2008: "Stoerfall Zukunft"; 2011: "abgebloggt" und Weiteres

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Scharfenorth

Scharfenorth

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