Die Zuwanderungslüge

Arbeitsmarkt fatal Die Aufforderung der Regierenden, Zuwanderern freundlich zu begenen, hat handfeste Hintergründe. Wir erleben noch mehr Arbeit zu Dumpingbedingungen.

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Dass wir Deutsche immer weniger werden, scheint abgemacht, wenngleich sich die Demoskopen immer auch irren. Aber nehmen wir mal an, sie haben Recht. Ist es da so falsch, die Zuwanderung mit allen Mitteln zu fördern, für ein nettes Einwanderungsklima zu sorgen und den Ankommenden zumindest ansatzweise geöffnete Arme zu präsentieren?

Wo irgendwer auf der Welt hingeht, ist in der Regel durch akute Notsituationen auf der einen und verlockende Lebensperspektiven auf der anderen Seite bestimmt. Abwanderung wird in der Regel nicht behindert. Sie kostet viel Geld und scheitert an Hürden, die unterwegs und vor dem Zielland aufgestellt sind. Wir Deutsche, aber auch andere reiche Länder behalten uns heute vor, nur diejenigen in unser Land zu lassen, die uns wirtschaftlich voranbringen, sprich: unseren Wohlstand zu bewahren versprechen. Green- und Blue-Card sind die Begriffe dafür. Es geht also nur in Extremfällen (Genozide, Völkermord, Kriege etc.) darum, Menschen aus der Not zu helfen. Vielmehr glaubt man mit gezielter Abwerbung auf der einen und massiver Abwehr auf der anderen Seite nur die „Guten ins Töpfchen“ zu bekommen. Hochkarätige Wissenschaftler aus Indien, Kenia oder Malaysia beschreiben die eine, Lampedusa die andere Seite der Medaille. Mit der Eurokrise ist die Problematik um einen neuen Aspekt erweitert worden. Aus den Ländern mit besonders hoher Jugendarbeitslosigkeit (Spanien, Italien, Griechenland etc.) strömen vor allem junge, gut ausgebildete Menschen nach Deutschland. Denen kann die Wanderung innerhalb der EU nicht verwehrt werden, und schließlich wollen sie auch nichts anderes als anständig arbeiten und Geld verdienen. Niemand kann schließlich frei sein und eine Familie gründen oder ernähren, wenn er keinen Job hat. Letzteres gilt freilich auch für viele Deutsche. Hinzukommt, dass Millionen andere, die sehr wohl eine Job haben, in ähnlichen Fangstricken hängen. Denken wir nur an Leiharbeiter, Menschen in Billigjobs oder Werkverträgen. Genau genommen stehen etwa 7 Millionen frustrierte Deutsche mehr als eine Millionen Einwanderer pro Jahr gegenüber, wobei die Zahl der zuziehenden Europäer im Jahre 2012 besonders stark, nämlich um ca. 18 %, gewachsen ist https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2013/05/PD13_156_12711.html.

Was bedeutet das? Zum einen wohl, dass Deutschland auch künftig einen soliden Stamm an Fachkräften generieren kann, was manche Zukunftsangst schnell besänftigen dürfte. Deutschland, dass mit seiner unsolidarischen Politik sinkender Löhne maßgeblich für die Eurokrise und das Schuldendesaster – vor allem der „Südländer“ – verantwortlich ist http://www.stoerfall-zukunft.de/blog/515-da-baut-sich-hass-auf, erhält nun auch noch Zulauf von wertvollem human capital – wodurch sich besagte Ungleichgewichte noch weiter zu Gunsten Deutschlands und zum Nachteil der verlassenen Euroländer entwickeln. Junge, gut ausgebildete Fachkräfte werden – wenn man Europa erhalten will – vor allem in den notleidenden Ländern gebraucht. Letzteren müsste man dann allerdings auch wirksam helfen – und zwar vor Ort (konkrete Aufbauprogramme). Was Neoliberale jetzt in Deutschland befördern, ist purer Egoismus, ein desaströser brain drain, der Länder wie Griechenland, Spanien etc. auf ewig in den Schuldensumpf verdammt. Gleichzeitig wird in Deutschland der schon jetzt blutige Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze weiter verschärft. Hierbei werden vor allem die Armutsflüchtlinge aus aller Welt, aber auch viele Deutsche weiter in die Ecke gedrängt. Denn eines geschieht mit Sicherheit: Die einkommenden Europäer dürften schlechter bezahlt werden als vergleichbar qualifizierte Deutsche. Das wird für Zündstoff sorgen, denn konkurrierende deutsche Bewerber müssen aufgeben oder sich auf das gleiche niedrigere Niveau einstellen. Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn es in Deutschland zum flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro brutto käme. Der nämlich läge in jedem Fall noch unter den sinkenden Löhnen für Facharbeiter. Immerhin führen 8,50 Euro allenfalls zu monatlichen Nettobezügen, die mit dem ALG II für Arbeitslose oder Aufstocker-Entgelten vergleichbar sind. All das bedeutet künftige Altersarmut http://www.mindestlohn-10-euro.de/2013/02/05/fur-einen-gesetzlichen-mindestlohn-von-zehn-euro-brutto-lohnsteuerfrei-2/. Mit der von Merkel, Rösler und Co. anvisierten Freundlichkeit "brauchbaren Ausländern" gegenüber http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1451354 wird der deutschen Wirtschaft nach dem Schröderschen Agenda 2010-Kotau noch einmal "Zucker in den Arsch geblasen", denn die Reihen derer, die für noch weniger Geld schuften wollen, werden länger und dichter. All diejenigen aber, die in Deutschland sichere und einträgliche Jobs oder große Vermögen haben, werden vor Glück in die Hände klatschen. Sie profitieren vom anhaltenden Boom. Auch die Regierenden in Deutschland – ganz gleich welcher Couleur - werden frohlocken: Der Staat erfreut sich stabiler Einnahmen (Steuern), mit denen weiter geflickt und das große, Deutschland betreffende Euro-Desaster weiter hinaus geschoben werden kann. Im üblichen Ego-Kurzfristdenken gut situierter Bürger wird sich nichts ändern: Deutschland geht’s gut, Deutschland wird blühen, der Rest kann uns egal sein!

Doch aufgepasst: Die Schere zwischen Arm und Reich wird in diesem Spielfeld noch weiter aufgehen. Die Armen wird es dabei schon in kurzer Zeit an die Grenzen ihrer Existenzfähigkeit und wenig später auf die Barrikaden treiben. Wie immer werden zuerst die leiden, die am schwächsten sind – die außereuropäischen Ausländer. Gegen die wird sich neue nationalistische Wut aufbauen, die weder Multi-Kulti noch NSU-Prozess je austilgen können. Unsere Regierenden müssten all das wissen und in ihrer Politik berücksichtigen. Doch selbst vor den Wahlen geschieht nichts. Man lässt die Dinge auf sich zukommen, bis sie explodieren – nicht nur bei Euro, auch hier auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Dr. Ulrich Scharfenorth, Ratingen

www.stoerfall-zukunft.de

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Geschrieben von

Scharfenorth

Bis 1990 fuer die DDR-Stahlindustrie tätig. Danach Journalist/ Autor in Duesseldorf. 2008: "Stoerfall Zukunft"; 2011: "abgebloggt" und Weiteres

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Scharfenorth

Scharfenorth

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