KRAFT-Akt

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Die Lage ist mehr als unübersichtlich. Gut möglich, dass Hannelore Kraft aus Machtbewusstsein, politischem Kalkül oder weil sie tatsächliche eine etwas andere Politik durchsetzten möchte, Neuwahlen favorisiert. Dem unsäglich geringen Übergewicht der CDU, das für den Fall einer großen Koalition einen schwarzen Ministerpräsidenten signalisiert, scheint sie sich jedenfalls nicht unterwerfen zu wollen. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass sich die CDU auf eine SPD-Ministerpräsidentin einlässt. Denkbar wäre, dass die Amtszeit gesplittet wird – ein im Grunde unbekannter, vielleicht aber laut Grundgesetz möglicher Vorgang. Näher liegt allerdings, dass die Kraft pokern und bei Neuwahlen auf die fehlenden zwei oder drei Sitze für rot-grün hoffen wird. Ob die Bürger einem solchen Wunschdenken folgen, ja letztlich ihr Stimmverhalten ändern bzw. bisherige Nichtwähler geschwind an die Urne eilen, um den gewünschten Ausschlag an der Waage zu erzeugen, steht in den Sternen. Einerseits hat die SPD-Vordere einem Bündnis mit tiefrot die endgültige Absage erteilt – unter welch fadenscheinigen Vorwänden auch immer. Andererseits aber möchte sie dem Rüttgers-Clan die Macht streitig machen. Allenfalls die Spitzenkandidatin der Grünen, Sylvia Löhrmann, scheint in ihrer Gunst, nicht zuletzt, weil die Parteiprogramme erhebliche Schnittmengen aufweisen.

Ich persönlich glaube nicht, dass Wähler der Linken auf grüne oder SPD-Positionen umspringen. Das würde den Fraktionsstatus der Linken im Landtag gefährden. Andererseits wurden die Kandidaten der Linken übel gedemütigt (ihre Aussage, dass die DDR kein Rechtsstaat, vielmehr eine Diktatur gewesen sei, reichte weder den SPD-Genossen, noch den Grünen – niemand weiß so recht, ob die Verhandlungspartner sich erst entkleiden müssten, um glaubwürdig zu werden.). Auch FDP-Wähler dürften kaum die Fronten in Richtung rot-grün wechseln. Woher also sollten die notwendigen zusätzlichen Stimmen für das Wunschbündnis kommen? Nichtwähler in diese Bresche zu locken, dürfte wenig verfangen, denn diese Klientel hat es heute ebenso satt, irgendwelchen Versprechungen auf den Leim zu gehen wie gestern. Im Gegenteil: die potentiellen Linkswähler der SPD könnten ob des verspielten Linksbündnisses zusätzlich zu Hause bleiben.

Hannelore Kraft setzt offenbar auf die letzten Wählerumfragen, die sowohl der FDP, aber auch der CDU sinkende Zustimmung bescherten. Allein darauf zu spekulieren, könnte aber genau falsch sein. Denn neue Nichtwähler könnten möglichen Zulauf überkompensieren - ganz gleich, ob da in den Reihen der CDU SPD-geneigtes Potential (Wechselwähler) lauert oder nicht.

Das Risiko auf Seiten der SPD, auf eine falsche Strategie zu setzen, ist erheblich. Neuwahlen könnten eine Chance für rot-grün sein, aber auch genau das Gegenteil bewirken. Möglich, dass sich Hannelore Kraft dann doch für eine schwarz-rote Koalition entscheidet - auch wenn sie dann nicht die erste, sondern nur die zweite oder gar keine Geige spielt. Die Folge wäre eine Politik, die mit Politikwechsel nicht zu tun hat und der SPD einen zusätzlichen Schub in die Unglaubwürdigkeit und Marginalisierung verleiht.

Dr.-Ing. Ulrich Scharfenorth, Ratingen

www.stoerfall-zukunft.de (Relaunch)


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Geschrieben von

Scharfenorth

Bis 1990 fuer die DDR-Stahlindustrie tätig. Danach Journalist/ Autor in Duesseldorf. 2008: "Stoerfall Zukunft"; 2011: "abgebloggt" und Weiteres

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Scharfenorth

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