Kriminalität oder ... systemische Selbstreinigung?

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Selbstverständlich müssen Bund und Länder die von Insidern angebotenen Daten-CDs kaufen, um Steuerhinterziehern auf die Spur zu kommen. Denn andere Möglichkeiten, mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland herzustellen, gibt unser System offenbar nicht her. Sowohl Appelle an die Steuerehrlichkeit von Vermögenden, als auch die, mehr Steuerprüfer in Deutschland einzusetzen, verpuffen regelmäßig. Aus gutem Grrund. Denn solange die Steuerharmonisierung in Europa aussteht, ist in Lichtenstein, der Schweiz, in Luxemburg etc. immer mehr zu holen als anderswo – und das zieht. Und solange die Politik Investoren mit dem Versprechen anlockt, bei der Steuer ein Auge zuzudrücken, wird eher weniger als mehr geprüft. Richtig Steuern zahlt nur der Normalbüger, der weder über große Vermögen, noch über Connections zu den Steueroasen verfügt. Dass auch der hin und wieder Schwarzarbeit leistet oder zulässt (Schattenwirtschaft in Deutschland: ca. 360 Milliarden Euro!) – und damit Steuern hinterzieht – ist bedauerlich. Doch angesichts der Wirtschafts- und Arbeitsmarktstruktur auch verständlich. So immens der aus Schwarzarbeit erwachsende Steuerverlust auch ist, spezifisch, d.h. auf den Einwohner bezogen, ist er eher gering. Eben das unterscheidet Otto N. vom superreichen Steuersünder, der als Einzelperson oft Riesenbeträge hinterzieht. Strafbar indes machen sich beide.

Jetzt wird dem Staat vorgeworfen, dass er mit dem Kauf der Datenträger das Denunziantentum befördere, sich wie ein Hehler aufführe und damit gegen das Grundgesetz verstoße. Prinzipiell stimmt das. Doch eine Güterabwägung (2 Mill. Euro gegen geschätzte 200 - 400 Millionen Euro) zeigt recht schnell, was hier womit aufgewogen werden könnte. Freilich: Recht und Gesetz dürfen nicht käuflich sein. Hierauf allerdings hätte sich schon Peer Steinbrück besinnen müssen, als er 2007 in Abstimmung mit der CDU auf ein ähnliches Geschäft einging. Dass ihn damals auch keines der deutschen Gerichte ausbremste, hat ihn als pragmatischen Geldeintreiber eher gestärkt.

Nun, die Jungfräulichkeit ist weg. Warum jetzt jammern?

Wir alle wissen, dass die Dreistigkeit der Steuerhinterzieher selbst unter Enttarnungsdruck munter anhält. Als Steinbrück damals Straffreiheit für den Fall anbot, dass sich Sünder bekennen und Steuern nachzahlen, kamen nur wenige. Heute mag es punktuell besser, insgesamt jedoch kaum anders aussehen. Die Leute, die ihr Geld in der Schweiz deponierten, sind eben oft Spieler-Typen/Spekulanten – so, wie auch ihr Kapital zumeist auf spekulative Weise vermehrt wurde. Es dürfte sie reizen, die Dinge auszusitzen. Nicht jeder muss damit rechnen aufzufliegen, und vielleicht rutscht man durch. Und selbst, wenn ein Verfahren eröffnete würde – die Strafe ließe sich (oft) aus der Portokasse bezahlen. Nicht jeder müsste mit einer Bewährungsstrafe rechnen.

Zwei Argumente für den Ankauf der Steuersünder-CDs werden öffentlich nicht genannt – weil sie politisch brisant sind: Einmal entsteht erheblicher Druck gegenüber der Schweiz – die damit rechnen muss, dass weitere CDs auf den Markt kommen. Zum anderen dürften Neuanleger den Finanzplatz Schweiz auf Grund der unsicheren Lage meiden. Beide Sachverhalte kann die Bundesregierung indirekt nutzen, um die Eidgenossen endlich an einen gemeinsamen Tisch zu zwingen. Auch wenn in Kürze noch nicht mit einer (gesamt-)europäischen Steuerharmonisierung zu rechnen ist, Debatten über bilaterale Verträge (zur Reduzierung deutscher Steuerausfälle) wird es mit Sicherheit geben.

Nun, bis sich die Dinge einschwingen, vergehen noch Monate. Bis dahin dürfen wir den Tollhausgeschichten am Rande folgen, etwa der, dass ein gefasster deutscher Steuerbetrüger vor einem Liechtensteiner Gericht 7,3 Millionen Euro Schadenersatz erstritten hat – dafür, dass ihn seine (ebenfalls in Liechtenstein ansässige) Bank nicht rechtzeitig über den 2007 erfolgten Datenklau informiert … und ihm damit die Chance für eine Selbstanzeige in Deutschland genommen habe.

Dr. Ulrich Scharfenorth, Ratingen

www.stoerfall-zukunft.de


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Geschrieben von

Scharfenorth

Bis 1990 fuer die DDR-Stahlindustrie tätig. Danach Journalist/ Autor in Duesseldorf. 2008: "Stoerfall Zukunft"; 2011: "abgebloggt" und Weiteres

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Scharfenorth

Scharfenorth

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