Stell' Dir vor, in Stuttgart wird weiter gebaut, und keiner geht hin

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Als Heiner Geißler seinen Job in Stuttgart aufnahm, fragte ich mich, warum er sich das antue. Denn eine für beide Seiten auskömmliche Lösung zu Stuttgart 21 war nicht in Sicht. Der Bahnhof auf halber Höhe, die Hochgeschwindigkeitsstrecke mit halber Steigung, die Bäume im Park nur gestutzt. Das alles schien abwegig. Es bot sich nur ein JA oder NEIN an. Heute, da der Schlichterspruch vorliegt, gibt man sich salbungsvoll. Dabei liegt eher kein Ergebnis vor. Es sei denn man stellt neuerlich fest, dass solche Verhandlungen – transparent und natürlich mit anderem Namen – grundsätzlich vor Beginn neuer Planfeststellungsverfahrens für Großvorhaben anberaumt werden sollten. Die Bürgerbeteiligung – und das ist sicher ein brauchbares Resultat – muss früher stattfinden. Nur so kann auf die Entwürfe Einfluss genommen werden, bevor sie Geld kosten und Verträge vorliegen. Allerdings verrät niemand, wie man den Bürger – im Vergleich zu bisher – für das Ganze ... sehr viel früher und stärker interessieren und ... an die Zeichentische zerren will. Soweit nichts Neues, soweit so schlecht.

Was Stuttgart21 betrifft, so hat Geißler die Fortführung der Arbeiten – sogar ohne Baustopp – empfohlen, und daran scheint sich die CDU-Regierung auch halten zu wollen. Warum auch nicht, wenn die Entscheidung eben das festschreibt, was Regierung und Bahn anstrebten. Für die Stuttgart21-Gegner ist dagegen so gut wie nichts herausgekommen. Allenfalls die Ruhigstellung vieler ihrer Mitkämpfer, von denen jeder zweite nicht weiß, ob er sich nun eher an den (unverbindlichen) Schlichterspruch halten und auf weitere Proteste verzichten oder aber völlig anders bewegen müsse. Die Bilanz ist tatsächlich mau: Zwei Gleise mehr, bessere Untergrundprüfungen, höhere Kosten, ein paar Bäume – das war’s. Kein Wunder, dass die Ex-Demonstranten jetzt verdattert aufwachen, weil sie nichts oder viel zu wenig gekonnt haben. Zwar tönt der baden-württembergische Grünen-Fraktions-Chef Winfried Kretschmann, dass er beim Wahlsieg im März alles kippen könnte, doch ganz so einfach dürfte sich das nicht darstellen. Immerhin rollen bis dahin weitere Kosten an, und niemand weiß, ob nicht doch noch ein Bürgerentscheid die Karten ganz anders mischt. Summasummarum: In Stuttgart wird weiter gebaut, die rigiden Gegner des Projekts gehen erneut auf die Barrikaden, Geißler verschwindet und der Rest schaut zu. Frohe Weihnachten!

Dr. Ulrich Scharfenorth, Ratingen

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Geschrieben von

Scharfenorth

Bis 1990 fuer die DDR-Stahlindustrie tätig. Danach Journalist/ Autor in Duesseldorf. 2008: "Stoerfall Zukunft"; 2011: "abgebloggt" und Weiteres

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Scharfenorth

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