Unsere Niederlage

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Dass der Mensch eine ziemlich miese Kreatur ist, die sich, grob betrachtet, in zwei Unterarten manifestiert - den Machtbewussten (egoistisch, eitel, macht- und geldgeil) und den Ausgelieferten (unterjocht, bildungsfern/-resistent, uninteressiert) wird erneut offenkundig.Da lässt sich das kleine Häuflein, weitgehend machtloser, verantwortungsbewusster Denker (das es ja auch gibt) glatt vergessen.Ja, man hat den Eindruck, dass unsere Spezies die Herausforderungen von Handlungsnotwendigkeit, Handlungsvermögen und Handlungswillen schlechter meistert als uns umgebende Tiere und Pflanzen.

Nicht nur die Finanzkrise, auch Kopenhagen beweist, dass sich der Mensch auf die räuberischen Anmaßungen –vor allem der kapitalistischen Gesellschaft – eingelassen hat und der Ansage, dass Aufschwung und Krise ein hinzunehmendes Wechselspiel darstellen, zunehmend Glauben schenkt.

46.200 Tonnen CO2 hat die weltgrößte Klimakonferenz verursacht („Rheinische Post“, 19. Dezember 2009) und dabei keinerlei Nutzen generiert. Mit der Reform der internationalen Finanzarchitektur befasst sich so gut wie keiner mehr, weil sie gegen den Willen der USA und auch deutscher Banker nicht durchsetzbar ist. Offenbar warten alle auf Wunder – darauf, dass der Mensch nun doch nichts mit dem Klimawandel zu tun hat und die Weiterungen der Finanzspekulation künftig schwächer ausfallen. Die Vorstellung, dass sich all das seitenverkehrt abspielen dürfte, ist unbequem und deshalb wenig attraktiv.

Ein Großteil unserer Medien hat an der Misere kräftig mitgezockt – und beispiellos verdient. So erfuhr man, dass Spekulationblasen zum normalen Alltag gehören („DIEZEIT“, 22. Oktober 2009) und Klimaforscher offenbar (auch) Betrüger sind. Diese Granaten trafen zielgenau. Das Bankendesaster bezahlt brav und willig der Steuerbürger (vor allem der wenig Begüterte), und Kopenhagen war von Anfang an stigmatisiert. Sehr viel besser kann es denen, die unser Geld verbrennen und die Umwelt ausrauben, nicht gehen. Sie haben auf breiter Front gesiegt.

Dass in den USA und nun auch in Deutschland erneut kräftig spekuliert wird (die ab 1. Januar gesetzlich vorgeschriebene Bankerberatung ist ein Witz, da sie systemische Spielregeln außer Kraft setzen möchte, aber nicht kann) und besagte Klimaforscher des britischen CRU bislang auch nicht der kleinsten Lüge überführt sind („DIEZEIT“, 17. Dezember 2009), steht heute im Kleingedruckten. Der jeweilige Hype marschiert – und er zerschießt, was in der Folge irreparabel bleibt.

Eine kleine Hoffnung bleibt uns dennoch: die politische Kraft von unten. Sie wird heute von Organisationen wie Attac und Greenpeace beschworen. Offenbar können nur Kräfte, die die Dinge jenseits politischen Kalküls/politischer Kungelei beim Namen nennen und Veränderungen durch massiven Widerstand einfordern, eine Wende anstoßen. Meinen Thesen zufolge dürfte ihnen ein Durchbruch aber erst dann gelingen, wenn einschneidende Katastrophen (Klimawandel, neue Finanz- und Wirtschaftskrisen etc.) das Feld dafür bereiten. Ein grundlegender Wandel aus menschlicher Vernunft heraus ist jedenfalls nicht in Sicht.

Ich habe in diesem Zusammenhang zwei Betrachtungen angestellt, über die jeder, der sie liest, mal nachdenken sollte:

ERSTENS: Jeder von uns kennt Begriffe wie Informationsgesellschaft, Biotechnologie und Gentechnik. Was sich dahinter verbirgt, bleibt oft schemenhaft. Und doch werden uns diese Begriffe, werden uns Innovationen, die mit ihnen verbunden sind, wie Motoren unserer Gesellschaft verkauft.Streng genommen sind sie das auch. Doch vielfach begreifen wir nicht. Wie auch? Schließlich leben wir in einer Welt, die sich nahezu ungebremstausdehnt und der gleichzeitig die innere Implosion droht. Zum einen wächst das Weltwissen exponential. Es verdoppelt sich alle 5-7 Jahre. Andererseits aber schrumpfen die Chancen des Menschen, all diese Informationen zu erfassen und zu verarbeiten. Nicht nur, dass uns ein z. T. untaugliches Bildungssystem den Zugang zu wichtigen, zukunftsrelevanten Erkenntnissen schwer macht. Die wenige Zeit, die jenseits stressiger Jobs und den Mühen um pure Existenzsicherung verbleibt, wird dann noch zugedröhnt – durch ausufernde Werbung und folgende Konsumwut, durch Spielkonsolen und Müll aus den Medien. Irgendwann könnte der Mensch von den Abseitigkeiten des Lebens alles, von den substanziell wichtigen Dingen dieser Welt nichts mehr verstehen.


ZWEITENS: Akute Bedrohungen lauern in Verzögerung und Vergessen, im Nichtlernen und Hinnehmen. All das begleitet den Menschen, solange er existiert.

Wir wissen zwar, dass wir die Klimakatastrophe mit auslösen, verdrängen aber vielfach, dass die Folgen mit Verzögerung auf uns einschlagen. Was wir im Laufe von Jahrzehnten verursachten, zeigt sich heute. Was wir heute an Notwendigem unterlassen, wird unseren Kindern zum Verhängnis. Dass wir auch selbst zögern zu reagieren, verschärft das Problem. Wir wollen handfeste Beweise und zweifeln an den Klimamodellen. Und wenn wir bereit sind zu handeln, sind es die Prozeduren, die weiter verschleppen. Verzögerung wird dadurch zum Dreifach-Problem.

Ähnlich schmerzhaft wirkt das Vergessen. Wir notieren unser Tun in großen Büchern, doch wir lesen kaum darin. Was unseren Vorfahren widerfuhr, ja was wir selbst erlebten, prägt unser Handeln nur zeitweilig. Auf Tschernobyl reagierten wir verschreckt, auf die Beinahe-Kernschmelze im schwedischen Forsmark eher gelassen, weil alles gut ging: Krümmel, Brunsbüttel und Tricastin kümmern uns nur noch am Rande. Dass heute über längere Reaktorlaufzeiten weniger gestritten wird, dass eine neue CDU-FDP-Regierung eben diese auch ansteuern kann, hat damit zu tun, dass wir Tschernobyl zwar verorten, aber nicht mehr fühlen können. Wir haben es (fast) vergessen.

Aids ist eine tödliche Krankheit. Dass wir sie durch Medikamente erträglicher und langwieriger machen, nimmt ihr das Stigma. Und scheinbar vergessen die Menschen, dass Tod durch Aids noch immer frühzeitiges Sterben bedeutet. Aus alten Aufzeichnun- gen wissen wir, dass der Rhein in den zurückliegenden Jahrhunderten mehrfach mit gewaltigen Überschwemmungen aufwartete. Wir aber vergaßen das, bauten die natürlichen Überflutungsflächen zu und hoffen nun auf »günstige Winde«.

Der Historiker und Psychoananlytiker Immanuel Velikovski (»Das kollektive Vergessen«) hat es sinngemäß so formuliert: »Die Menschheit leidet an einem kollektiven Erinnerungsverlust – ihre Entwicklungsgeschichte betreffend. Der Feind ist die Zeit …«

So wie wir vergessen, sind wir auch unfähig, an entscheidender Stelle zu lernen. Stattdessen nehmen wir hin. Dass Macht korrumpiert und zur Verdummung führt, dass sie Torheit erzeugt, dass die Macht, Befehle zu erteilen, häufig das Denken ausdünnt, dass die Verantwortung für Macht umso mehr schwindet wie ihr Handlungsspielraum wächst, lehrt die Geschichte. Wir aber halten dies für eine menschliche Schwäche, die niemand auszurotten vermag und akzeptieren sie. Dabei müssten Politiker,die Anzeichen solchen Fehlverhaltens zeigen, umgehend abberufen und durch neue ersetzt werden. Nur tut das niemand – weil es das parteipolitische Kalkül nicht hergibt, weil die Courage fehlt und die Hoffnung, bestehende »Sümpfe« austrocknen zu können, zunehmend schwindet.

Dr.-Ing. Ulrich Scharfenorth, Ratingen

www.stoerfall-zukunft.de






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Geschrieben von

Scharfenorth

Bis 1990 fuer die DDR-Stahlindustrie tätig. Danach Journalist/ Autor in Duesseldorf. 2008: "Stoerfall Zukunft"; 2011: "abgebloggt" und Weiteres

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Scharfenorth

Scharfenorth

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