Utopien sind wichtig, können aber auch in die Irre führen

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Kurz vor Jahresende überrascht uns der Theologe Hans Küng mit einem Interview und weist dabei neuerlich auf sein, gemeinsam mit dem Wirtschaftsethiker Josef Wieland erarbeitetes und vor der UNO unterbreitetes „Projekt Weltethos“ hin („DIEZEIT“, 30. Dezember 2009). Küng will die Diskussionen um ein verbindendes Wertegebäude auch für die globale Wirtschaft vorantreiben – ein Vorhaben, das seine Wurzeln in den vor sich hinvegetierenden „Global-Governance“-Bemühungen der UN findet. Seine Thesen, Anschauungen und Ambitionen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Wirtschaftliches Handeln solle sich an den Prinzipien der Humanität und den Grundwerten der Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, Solidarität, Wahrhaftigkeit und gegenseitiger Achtung orientieren. Die Globalisierung werde nur dann zum Wohlstand und Vorteil aller Völker und ihrer Volkswirtschaften führen, wenn sie auf die beständige Kooperationsbereitschaft und werteorientierte Kooperationsfähigkeit aller Beteiligten und Betroffenen bauen kann […]. Ein globales Wirtschaftsethos könne auf den moralischen Prinzipien und Werten sowie den gemeinsamen Vorstellungen über Recht und Fairness gründen, die von allen Weltkulturen geteilt werden. Umgesetzt werden müsse es jedoch nicht vom Staat, sondern zunächst von jedem Unternehmen, Investor, Beschäftigten und Verbraucher selbst […].All jene, die heute vorgeben, dass niemand mit der Krise rechnen konnte, reden Unfug […].Es braucht drei Dinge, damit die Wirtschaft funktioniert: einen funktionierenden Markt, funktionierende Institutionen und Moral […].Wenn man sich in einer Periode der verlotterten Moral befindet, darf man sich nicht wundern, wenn das auf Institutionen und Märkte übergreift […]. Man hätte annehmen können, dass die Menschheit darauf drängen würde, dass die durch den Fall des Kommunismus erst ermöglichte Globalisierung auch zu einem moralisch unterfütterten und anders organisierten Wirtschaftssystem führen muss. Aber das geschah nicht […]. Die Wirtschaftmodelle der Experten gehen (nach wie vor) von ständigem Fortschritt aus - nach dem Motto „Es geht immer voran, und wenn es mal runter geht, dann ist das nur vorübergehend.“ Solche Modelle haben alle geblendet. Aber auch die internationalen Organisationen haben versagt […]. Die Erfolgsethik ist keine Ethik. Der Erfolg als solcher rechtfertigt gar nichts […]. Wir benötigen Eigeninteresse, persönliche Initiative und Wettbewerb. Nur muss eben dort auch Moralität und Integrität gelebt werden […]. Eine um die ökologische Ausrichtung ergänzte soziale Marktwirtschaft ist das einzige System, das auf Dauer funktionieren kann – bei uns und weltweit […]. Gegen die öffentliche Meinung kann sich ein Unternehmen nicht durchsetzen […]. Mit Gesetzen allein schafft man gar nichts. Schon die Römer wussten, wenn die Sitte abhanden kommt, nützen die Gesetze nichts […]. Führungspersönlichkeiten müssen Moralität und Integrität vorleben […].

Zum „Projekt Weltethos“:Keiner der Unterschreibenden kann für alles, was in seinem Unternehmen geschieht, verantwortlich gemacht werden. Wir stellen keine Zertifikate aus und veröffentlichen keine Ranglisten über gute Unternehmensführung.

Nun, diese Flut von Statements und Feststellungen überrascht uns nicht. All das haben wir in den vergangenen Jahren bis zum Erbrechen gelesen und … mehrheitlich wieder zu den Akten gelegt. Küngs Appelle sind – so gut sie auch gemeint sind – ein Aufguss alter Willenbekundungen. Dass sie erneut bemüht werden, zeugt vor allem von Hilflosigkeit. Wir wissen allzu gut, dass nicht nur die „Corporate-Governance“-Bemühungen des Herrn Cromme hier in Deutschland, sondern auch alles, was in Sachen „Global Governance“ von Seiten der UNO unternommen wurde, kläglich gescheitert sind – an eben den Kräften, die sich einen Dreck um das kümmern, was Hans Küng anmahnt. Wenn der Theologe auf positive Ansätze bei deutschen Firmen wie Otto, Bosch, Voith, Freudenberger und Putzmeister und die Bestrafung von SIEMENS in Korruptionsfällen hinweist, muss er wissen, dass er damit so gut wie niemandem im Boot, und die Heuchlei um unseren E.- u.- E-Vorreiter nicht verstanden hat (Geschäfte sind in bestimmten Regionen ohne Korruption nicht machbar. Den einen hat es erwischt, die anderen machen es – gestärkt durch den bestraften Rivalen – weiter).

Es ist geradezu naiv anzunehmen, dass die Globalisierung von ihren Raubtiergehabe zu reinigen und dann zum allgemeinen Wohl der Menschheit weiterzuführen ist. Gerade der Kopenhagengipfel hat doch die laufende, unerbittliche Auseinandersetzung des Westens mit den neuen, aufstrebenden Mächten China, Indien, Russland und Brasilien deutlich gemacht. An deren Verschärfung wird heute mehr als erfolgreich gearbeitet. Der gnadenlose Kampf um das Erreichen (Schwellenländer) und Sichern von Macht und Profiten (Industrieländer) wird die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Keine Nation wird das Aufgeben oder Mindern der anvisierten Ziele vor ihren Wählern (oder Wanderarbeitern) rechtfertigen können. Die Chinesen jetzt auf vom Westen proklamierte ethische Werte, sprich: auf Maßhalten zu programmieren, nachdem der Westen seit Jahrzehnten seinen Vorsprung unter Missachtung eben dieser Grundsätze erlangt hat, ist völlig unrealistisch, ja eine Anmaßung. Und China hat dies in seiner Verweigerungshaltung, was die CO2-Emissionen angeht, schon mehr als deutlich gemacht. Niemand kann heute im Ernst davon ausgehen, dass ein Wandel primär von Schwellenländern ausgehen kann. Und wer glaubt, dass der Westen Vorleistungen erbringt, schläft im Glashaus.

So sehr auch ich für eine ökosoziale Marktwirtschaft, Verhandlungen der Regierenden auf gleicher Augenhöhe, Menschenrechte undein friedliches Zusammenleben der Völker in EINERWELTstehe – so wenig kann ich glauben, dass eine Wende im Handeln auf Basis von Appellen, Willenbekundungen und Selbstbeschränkungserklärungen (CO2-Werte für Automobile!) zustande kommt. Gleichwohl sind Vorreiter – ähnlich wie beim Umweltschutz – notwendig. Doch nur diejenigen Unternehmen, die über weltweite Monopole auf Produkte und Dienstleistungen verfügen, könnten eine solche Rolle (zumindest theoretisch) übernehmen. Alle anderen dürften sich – wie gehabt – hinter dem Argument der Wettbewerbsverzerrung verstecken.

Ich komme nur zu einer, m. E. tragfähigen Formel: Allenfalls erstarkende Bürgerrechtsbewegungen und NGOs können den Widerstand erzeugen, der heutiges Handeln bricht. Die Politik ist dazu wegen ihres Egoismus und Kurzfristdenkens (jeder will wiedergewählt werden und streut populistische, kontraproduktive Botschaften) nicht in der Lage, und die Wirtschaft will es (ihren Aktionären zu Liebe) nicht. Nur die erzwungene Aufkündigung der irrwitzigen, fast ausschließlich aufWirtschaft und Finanzwesen bezogenen Globalisierungund die Abschaffung des Freihandels unter ungleich Starken können hier zum Erfolg führen.

Niemand zwingt uns heute, ein in Deutschland zu 30€/Stunde erzeugtes Produkt mit einem für 1-10 €/Stunde produziertes aus China zu vergleichen. Wir brauchen viele Staatenverbunde aus Ländern, die wirtschaftlich ähnlich stark sind und 60-80% ihrer Waren in diesen Grenzen austauschen – und wir müssen dem unfairen Niederringen der Schwachen durch Starke ein Ende bereiten.

Es ist fast ausschließlich der unbändigen Exportwut der großen Kapitalgesellschaften geschuldet, das uns im Gegenverkehr Billigwaren aus Fernost überschwemmen und die einheimischen, mittelständischenIndustrien (die dieselben oder vergleichbare Waren herstellen) ruinieren. Und es ein (dummes) Kalkül der Herrschenden, dass Billiglöhne die Wettbewerbsfähigkeit hier zu Lande dauerhaft sichern und … Billigprodukte HARTZ-IV-Konstrukte länger finanzierbar halten. Langfristig gesehen kann das nur zum Kollaps führen, denn irgendwann werden weiter steigende Arbeitslosenzahlen und Schulden unser System sprengen. Ganz zu schweigen von den nicht zu bändigenden Finanzspekulationen, die in immer kürzeren Abständen Blase um Blase mit immer verhängnisvolleren Auswirkungen erzeugen.

Herr Küng hat leider nur Utopia-Bilder gezeichnet und Maßnahmen vorgeschlagen, die den Wahnsinn begleiten könnten. Das ist schade – doch in der Debatte helfen auch Schnittmengen, alte Übel zu attackieren.

Dr. Ulrich Scharfenorth, Ratingen

www.stoerfall-zukunft.de

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Geschrieben von

Scharfenorth

Bis 1990 fuer die DDR-Stahlindustrie tätig. Danach Journalist/ Autor in Duesseldorf. 2008: "Stoerfall Zukunft"; 2011: "abgebloggt" und Weiteres

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Scharfenorth

Scharfenorth

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