Verdunkelungsspiele

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Kein Wunder, dass in Zeiten der Krise die Diskussionen um ihre Bewältigung mehr Raum einnehmen als Dispute um ihr Entstehen, geschweige denn um sinnvolle Prophylaxe. Monetaristen und Keynesianer sind in absurde Scheinkäpfe verfallen. Als ob die Frage, wie man den Kapitalismus von selbst zerstörerischen systemischen Auswüchsen reinigen könne, in diesem Streit zu klären wäre. Immer dann, wenn der Motor – exzessiv überhitzt – seinen Geist aufgibt und der Wagen nur um den Preis des kompletten Austauschmotors zu retten ist, gewinnen die Keynesianer an Gewicht. Ihre Forderung nach mehr Staat, genauer gesagt: nach einem Engagement, das in Zeiten der Prosperität mehr als verpönt ist, dringt dann durch. Die Regierenden, so das Plazet dieser Experten, müssten die Steuern senken und vor allem mehr öffentliche Aufträge erteilen („DIEZEIT“, 4. März 2010) – mit dem Ziel, der lahmenden Wirtschaft, aber auch den von Entlassung und Not gepeinigten Bürgern aufzuhelfen. Bei Krisen wie der jetzigen müssen Staat und Steuerzahler folglich nicht nur für die Rettung von durch Misswirtschaft ruinierte Banken, sondern auch für Einnahmeausfälle (sinkendes Steueraufkommen), zusätzliches Hartz-IV- und Kurzarbeitergeld sowie Investitionen aufkommen, die man im Normalfall nie oder geordnet sehr viel später getätigt hätte. Die gewaltige Geldmenge, die in dieser Lage freizuschlagen ist, muss über teure (weil unumgängliche)Kredite beschafft werden. Was – wie wir heute sehen – eine gigantische Neuverschuldung (2010: voraussichtlich 82 Milliarden Euro!) auf Kosten künftiger Generationen nach sich zieht. Parallel dazu werden die Geldmenge ausgeweitet und die Löhne erhöht und damit der Inflation Tür und Tor geöffnet. Kurzfristig dürfte das helfen, weil Wirtschaft und Bürger mehr Geld in die Handbekommen. Doch ohne gesunden Aufschwung kann die folgende Geldentwertung nicht gestoppt werden. Hier aber tut sich der alte Kreisel auf. Der aber fordert Wachstum, die Grundvoraussetzung für Kapitalismus. Wachstum aber ist in Ländern, die wohl situiert sind und „alles gebaut haben“, was den Grundbedürfnissen entspricht, ein Problem. Deutschland sichert Wachstum vor allem im Export und konkurriert auf den Weltmärkten selbst lieb gewonnene EU-Partneraus. Die monieren das jetzt, schieben gar ein Teil ihrer Misere auf diesen Umstand – und natürlich auf die Sparwut deutscher Verbraucher, die zu wenig ausländische Waren kauften und dazu noch die eigene Binnenkonjunktur ausbremsten. Wenn Deutschland nach wie vor sehr viel mehr exportiere als importiere, so der Vorwurf, würden die Ungleichgewichte zementiert – ganz gleich, ob sie auf unzureichende Wettbewerbsfähigkeit anderer oder deutsches Kaufverhalten zurückgingen. Deutschland sichere seine Existenz auf Kosten seiner Verbündeten, tönt es. Wie sollte das systemisch für die Gesamtwelt aufgehen, wenn nur die Starken ins Lot kämen?

Der (schlechte) Witz ist, dass fast alle „Wirtschafts-„Weisen“ auch lebensbedrohende systemische Krisen als unabwendbaren Bestandteil des Kapitalismus und das Ausmaß ihrer „Reparatur“ als erforderlich und gegeben hinnehmen. Das Motto „Gewinne (in der Aufschwungphase) privatisieren, Verluste (in der Krise auf Kosten der Steuerzahler) vergesellschaften“ hat sich längst als Handlungsrahmen in unserer Gesellschaft etabliert. Dort, wo die Strippen gezogen werden, weiß man darum und stellt sich erfolgreich taub. Und man eröffnet den Ablenkschauplatz, bricht, wenn es sichtbar bergab geht, den alten Streit vom Zaun, um dann – scheinbar um die Dinge bemüht – die Spielart zu wechseln. Da überlassen es die Monetaristen schon mal den Keynesianern, den wirtschaftspolitischen Background für Suppeauslöffeln zu stellen. Und all das, was sie in guten Zeiten gegen „inflationsbefördernde“ Aktionen von Staat (Ausweitung der Geldmenge, Ausgabenbeschränkung etc.) und Gewerkschaften (hohe Lohnabschlüsse etc.) ins Feld führen, bleibt artig im Kasten. DIE Theorie, nach der der Kapitalismus durch seine Gesamtexistenz geführt werden könnte, gibt es also offenbar nicht. Mir scheint, dass nur eines ausgemacht ist – der Wechsel der Philosophien je nach Geschäftslage. Jetzt sind die dran, die die Karre routinemäßig aus dem Dreck ziehen, und sie greifen so in die Kasse, wie es zur Lebensrettung der Krisenverursacher und zur „revolteverhindernden“ Schadensbegrenzung auf dem Arbeitsmarkt notwendig scheint.

Der Staat ist bei dieser Sachlage gezwungen, gnadenlos Schulden zu machen. Ich füge hinzu, dass sich diese Schulden (von Bund, Ländern und Gemeinden) seit mehr als 40 Jahren exponentiell vermehren, sprich: in immer kürzeren Zeiträumen verdoppeln. Damit könne man leben, formulieren die Protagonisten des „Immerweiterso“ – zumindest solange, wie Neuverschuldung und Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) in akzeptablem Verhältnis zueinander verbleiben. Vor der Krise hat der Bürger solche Aussagen geschluckt. Nicht, weil er den entstehenden Berg akzeptiert hätte, wohlaber, weil ihm die reale momentane Gefahr erfolgreich ausgeredet wurde. Jetzt – in der Krise – stinkt die Ladung mehrfach zum Himmel Denn weder Neuverschuldung und Investitionen, noch Neuverschuldung und BIP korrelieren gesund miteinander, sprich: zur latenten, künftigen Gefahr („exponentielle Entwicklungen bedrohen ihr eigenes System“) gesellt sich eine tagesaktuelle. Niemand weiß derzeit, ob die Krise mit der geplanten „Geldentnahme“ für die kommenden Jahre bereinigt werden kann. Vieles spricht dafür, dass wir das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht haben. Gerade beginnen ganze Staatsgefüge ins Wanken zu geraten, und es ist so gut wie sicher, dass der deutsche Staat allein zur Rettung Griechenlands mehr als 5 Milliarden Euro zusätzlich generieren/ bereitstellen muss. Wobei die Frage, ob sich Ähnliches auch in Richtung Spanien, Italien, Irland, Island etc. abspielen könnte, noch gar nicht beantwortet ist. Sehr viel beängstigender allerdings ist der Umstand, dass die „Drahtzieher des Geschehens“ aus der allgemeinen Eskalation offenbar nicht lernen wollen. Denn alle vollmundig verkündeten Maßnahmen zur Reform des internationalen Finanzsystems stecken fest. Nicht einmal über die Finanztransaktionssteuer – sie war vor kurzem noch parteiübergreifend in aller Munde – wird heute geredet. Dabei ist unverkennbar, dass die nächste Spekulationswelle bereits rollt, ja das Niveau von 2007 bereits überschritten hat. Wie dumm, ja wie selbst zerstörerisch muss man veranlagt sein, die immer kürzeren Zyklen des Finanzwahnsinns, gepaart mit immer heftigeren Ausschlägen, zu ignorieren/zu verkennen. Statt also präventiv vorzugehen und der Bewältigung der derzeitigen Krise in einem neuen Umfeld bessere Chancen zu geben, nimmt man die Überlagerung der Verhängnisse sehenden Auges hin. Angesichts dieser Lage geht es nicht um die Frage, ob der Internationale Währungsfond zur Rettung der EU tauglich, dabei als „US-amerikanischer Saugnapf“ oder eben doch nur als „Waschlappen“ („DIEZEIT“, 31. März 2010) wirkt oder ob ein Europäischer Währungsfond („Rheinische Post“, 27. März 2010) her muss, sondern nur noch darum, ob das System an sich zu retten ist/gerettet werden muss oder dringend der Ablösung bedarf.

Dr.-Ing. Ulrich Scharfenorth, Ratingen

www.stoerfall-zukunft.de

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Geschrieben von

Scharfenorth

Bis 1990 fuer die DDR-Stahlindustrie tätig. Danach Journalist/ Autor in Duesseldorf. 2008: "Stoerfall Zukunft"; 2011: "abgebloggt" und Weiteres

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Scharfenorth

Scharfenorth

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