Es ist zum Kotzen: Noch beim Frühstück wird mir klar, wie zu Guttenberg auch die Hürden der bösen Presse nimmt, wie diese öffentlich grinsend auf den cleveren Betrüger einschwenkt und süffisant die permanete Rücktritts-Renitenz nebst Do-it-youeself-Reinigung (Karikatur: Nik Ebert) mitlebt. Dass die RP einen der übelsten Trickser insgeheim hofiert und zeit-bzw. raumgleich, sprich: auf ihrer Seite A2 den Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse wegen einer Polizistenbeschimpfung inmitten eines Nazigerangels zum Gesetzesbrecher stilisiert („Rheinische Post“, 24. Februar 2011), spricht für die typische Entgleisung der verantwortlichen Zeitungsmacher. Guttenberg hat betrogen und ist allein deswegen ein Glaubwürdigkeitsproblem. Thierse hingegen ist schon immer ein Beleg für Glaubwürdigkeit. Er hat einen Polizisten beschimpft, weil er meinte, der tue anlässlich einer Nazi-Demo mehr für die Braunen als für deren Widersacher. Allein die Tatsache, dass sich ein Demokrat über eine seines Erachtens üble Verhaltensweisen der Polizei aufregt, ist hier, 600 km weg vom Geschehen, ein Beschimpfungsgrund. Thierse war schon immer unkonventionell – und hatte verschiedentlich alles andere als die Steifperrücke des Bundestags im Nacken. Das gefällt vielen nicht. Doch dieser Mann sprich Klartext, sagt also, was er meint und ist aufrichtig. Dagegen ist die Einhaltung der bürokratischen Kleider- und Standesordnug im Bundestag – das übliche, oft einzige Ritual vieler Volksvertreter – ein Scheißdreck. Das allerdings dürfte die von BILDzeitungs-Ambitionen triefende RP anders sehen. Wer gegen die Macht des Bestehenden anpinkelt, bekommt auf ihrem Papier die Knute.
Dr. Ulrich Scharfenorth, Ratingen
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