Wir brauchen eine neue China-Politik

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Kaum ist Kopenhagen vorbei, wird erneut an China herumgemäkelt. Und wieder geht es darum, dass die Machthaber im Reich der Mitte die chinesische Währung unterbewerten – und so Exportvorteile generieren, die ihnen (angeblich) nicht zustehen („DIE ZEIT“, 7. Januar 2010). Das ist die Sprache von Leuten, die vor Billigimporten aus China Angst haben – und die eigene Produktion, sprich: die eigenen Absatzmärkte, bedroht sehen. Dabei sind wir es doch, die die Importlawinen mit unseren Exporten lostreten. China dann zwingen zu wollen, auf eigene Vorteile zu verzichten, ist mehr als wirklichkeitsfremd. Ein Land mit einem der größten Absatzmärkte und den weltweit größten Devisenreserven tut und nimmt, was es will. Es auf eigene, westliche Politik trimmen zu wollen, kann und wird nicht gelingen. Und die Drohung, dass der Westen seine Absatzmärkte China gegenüber abschotten könnte, wirkt geradezu lächerlich. Schließlich sind Europa und die USA ganz wesentlich vom Goodwill aus Fernost abhängig. Amerika ganz besonders, weil dessen Gefüge ohne Billigwaren und den chinesischen Kauf (und Behalt) von Staatpapieren aus den Fugen geriete. Aber auch Europa profitierte/profitiert maßgeblich von großvolumigen Verkäufen – z.B. bei Stahl, Stahlerzeugungs- und –verarbeitungsanlagen, Autos, Flugzeugen etc. Man hätte freilich etwas früher überlegen müssen, ob man den Gegenverkehr mittel- und langfristig aushält. WTO und Freihandel werden heute, was China betrifft, nur so wirksam, wie es vor Ort gelitten wird. Da können wir reden, wie und was wir wollen.

China gehört zu den wenigen Ländern, die es trotz Finanzkrise auch 2009 zu anhaltenden Wachstum gebracht haben. Das ist eine respektable Leistung, die man weder wegdiskutieren, noch durch einseitig verordnete Umweltauflagen beschädigen kann. Und so geht es vermutlich weiter – mit kapitalistischen Methoden im Unter- und kommunistischen Strukturen im Oberbau. Dass ein solches Model weitere Jahrzehnte überdauern könnte, glaubt im Westen niemand. Und wenn doch, dann wird mal eben mit Tibet und Menschenrechten gestänkert. So gerechtfertigt manche Kritik auch erscheint, uns fallen Missgunst und üble Nachrede in Kürze auf die Füße. Druck auf China könnte viel Kontraproduktives bewirken: Wut auf den Westen, verstärkte Anstrengungen bei der Produkt- und Dienstleistungspolitik, wachsende Konkurrenz auf den Rohstoffmärkten, die Spiegelung westlicher Verdrängungspolitik, Stagnation in der Umweltpolitik und ein für uns tödliches Großmachtgebaren in 20-30 Jahren. Wer sich vormacht, dass im Reich der Mitte auch künftig nur Billigprodukte vom Band laufen, lebt im falschen Film. In spätestens 10 Jahren wird uns auch Hightech aus dem Reich der Mitte überfluten – und in 20 Jahren wird jedes Hightech-Produkt (oder etwas Alternatives) auch in China produziert werden. Die Kraft des Landes ist unermesslich, und solange armen Bauern und Wanderarbeitern bessere Einkünfte und Lebensbedingungen beschert werden, gibt es keine Revolten, sondern Wachstum. Das Lohnniveau in Fernost dürfte sich dabei nur sehr langsam nach oben bewegen, wodurch die Annahme, man treffe sich in absehbarer Zeit auf ähnlichen Niveaus ad absurdum geführt ist. Wer Freihandel möchte, bekommt dann zeitig die Quittung. Die sieht dann mehr als verheerend aus. Denn zwischen ungleich Starken führt er zum Niedergang der schwachen Länder, China gegenüber aber kostet er große Teile der mittelständischen Industrie – die im Westen auf vergleichbaren Produkten sitzen bleibt und Konkurs anmeldet. Letzteres kann nur verhindert werden, wenn sich die reichen Industriestaaten auf regionale Produktion und Vermarktung, z.B. im Rahmen der EU, rückbesinnen und die Einfuhr von Billigimporten zurückdrängen (Zölle).

Ja, es ist höchste Zeit, unser Verhalten der künftigen Großmacht gegenüber zu verändern. Vorleistungen z.B. im Umweltschutz (stringentere Selbstverpflichtungen, vor allem der USA bei CO2-Emissionen etc.), verstärkte Hilfe gegen die Wüstenbildung und bei Kohlebränden im Lande und preiswerter Support bei alternativen Energien könnten eine neue Atmosphäre des Vertrauens erzeugen. Die ist auch im Zusammenspiel mit den anderen künftigen Riesen (Indien, Russland und Brasilien) zwingend geboten. Parallel dazu aber muss dringend über die Rückführung der ausufernden wirtschaftlichen Globalisierung nachgedacht werden. Der derzeitige Wettlauf führt gnadenlos ins Unheil, sprich: zur Vernichtung unseres Planeten. Schon angesichts der Rohstofflage müssen wirtschaftlich schwächere Länder vor der Unterwerfung durch stärkere geschützt werden. Das ist m. E. nur dann möglich, wenn sich zahlreiche Staatenverbunde zwischen gleich Starken/Schwachen bilden, die vornehmlich in eigenen Grenzen Handel treiben. Verbunde der Schwachen müssen sich durch Zölle vor der Habgier/wirtschaftlichen Kraft der Übermächtigen abschotten. Geschieht das nicht, dann wird vor Ort eines Tages jedes wichtige Produkt von Firmen aus Europa, aus den USA, aus China, Indien oder Brasilien stammen, und das Argument, dass man einheimische Arbeitskräfte beschäftige, zu spät als billige Ausrede entlarvt. Jedem Land muss das Recht zugestanden werden, eine eigene Wirtschaft und Infrastruktur zu entwickeln, was bei totalem Freihandel niemals gegeben ist.


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Geschrieben von

Scharfenorth

Bis 1990 fuer die DDR-Stahlindustrie tätig. Danach Journalist/ Autor in Duesseldorf. 2008: "Stoerfall Zukunft"; 2011: "abgebloggt" und Weiteres

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Scharfenorth

Scharfenorth

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