Das Spiel mit dem Feuer

Italien Der Streit um das italienische Haushaltsdefizit wird zur Schicksalsfrage. Der politische Fallout für die Lega Nord um Salvini scheint jedoch auszubleiben

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Für Salvini und seine Lega Nord ist der Streit mit der EU nicht nur Fluch
Für Salvini und seine Lega Nord ist der Streit mit der EU nicht nur Fluch

Foto: Vincenzo Pinto/AFP/Getty Images

Die Europawahl in Italien hatte vor allem einen Sieger – Lega Nord. Die nationalistische, rechtspopulistische Partei um Innenminister Matteo Salvini steigerte ihr Ergebnis zur Wahl 2014 um fast 29% und wurde mit 34,33% stärkste Kraft in Italien – satte zwölf Prozentpunkte vor der zweitplatzierten Mitte-Links Partei Partito Democratico. Dass dies nicht bloß als eine reine Protestwahl der Italiener – als Mittelfinger gen Brüssel – abgetan werden kann, zeigen aktuelle Umfragen zur nächsten Parlamentswahl 2023. Je nach Institut landet die Lega Nord bei der italienischen „Sonntagsfrage“ zwischen 31% bis 35%. Der Regierungspartner MoVimento 5 Stelle (M5S) hingegen verliert seit 2018 rapide an Zustimmung in der Bevölkerung.

Mit dieser Ausgangslage bekommt der Streit mit der EU um die hohe italienische Staatsverschuldung und die Verstöße der Regierung gegen EU-Budgetregeln eine pikante Note. Diese Regeln sehen vor, dass ein EU-Mitgliedstaat seine Verschuldung auf 60% seines BIPs deckelt. Italien liegt aktuell ungefähr bei dem Doppelten. Bis zum heutigen Montagmittag hatte die Regierung in Rom Zeit, bei der EU-Kommission eine Erklärung für die vereinbarte Abweichung einzureichen. Sollte die Kommission diese Erklärung für unzureichend erachten, kann sie von der italienischen Regierung verlangen, einen neuen Haushaltsentwurf zu verabschieden. Sollte dies nicht stattfinden, treten Sanktionen in Kraft.

Italiens gebeutelte Wirtschaft ist kein neuer Faktor in der europäischen Politik. Doch die neusten Prognosen des italienischen Wirtschaftswachstums heizen Szenarien von potenziellen ökonomischen Krisen der italienischen und auch europäischen Wirtschaft wieder an. Statt der angepeilten 1% komme man voraussichtlich eher auf 0,2%, so das Wirtschaftsministerium. In diese angespannten Situation beschloss das Kabinett Conte eine sozialpolitische Reform. Am 01.04.2019 traten unter anderem das von Lega Nord und M5S im Wahlkampf versprochene Bürgergeld und die Rentenreform in Kraft. Davon versprach man sich, bis zu fünf Millionen Menschen aus der Armut zu holen.

Das Bürgergeld, welches von Kritikern teilweise auch als schlechtere, italienische Variante von Hartz-IV bezeichnet wird, beträgt pro Person bis zu 780 Euro, ist allerdings auch an zahlreiche Bedingungen geknüpft. So kann man beispielsweise damit nicht bei Amazon einkaufen, man muss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, man darf kein weiteres Einkommen haben und man darf maximal drei Jobangebote ablehnen. Die Regierung verspricht sich von der Sozialreform unter anderem eine Ankurbelung der inländischen Kaufkraft und ein damit dringend benötigtes verbundenes Wirtschaftswachstum. Für Brüssel sind dies primär nur weitere Ausgaben.

Doch nicht nur deswegen sehen die EU-Kommission und die europäische Zentralbank Italiens Entwicklung skeptisch bis kritisch. Sie halten an der von ihnen vorgeschriebenen Schuldenobergrenze fest. Vor allem der von der italienischen Regierung eingebrachte Vorschlag Mini-Bots (Buono ordinario del Tesoro) auszugeben, hat die Fronten nur noch weiter verhärtet. Bei den Mini-Bots handelt es sich um eine de facto Alternative zum Euro. Der Staat gibt hierbei Schuldscheine von kleinen Nennwerten von 1 bis zu 500 Euro aus, um beispielsweise Steuerschulden von Bürgern oder Leistungen von Unternehmen zu bezahlen. Andersherum würde der Staat diese Schuldscheine als Zahlungsmittel akzeptieren, so etwa auch für Steuern. Die Schuldscheine hätten somit einen faktischen Geldwert.

Für die Europäische Zentralbank stellt dies einen Affront dar. Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank, positionier sich klar: „Entweder sind das Zahlungsmittel, dann sind sie illegal, oder es sind Schulden“, denn das Zahlungsmittel im Euroraum ist de jure einzig und allein der Euro. Experten befürchten in diesem Schritt den ersten zum Austritt aus dem Euro. Die Kritik an den Budgetregeln hingegen, die vielerorts in Europa erschallt, scheint man in Brüssel und Berlin allerdings nicht zu vernehmen. Im Gegenteil. Austerität und Troika scheinen hier bereits mit gepackten Koffern und Bordkarte auf dem Flughafen gen Italien zu stehen.

Fiskalpolitik ist für Populisten ein beliebtes Thema. Über sie lassen sich viele politische und ökonomische Stellschrauben drehen. Für Salvini und seine Lega Nord ist der Streit mit der EU somit nicht nur Fluch. Er öffnet auch viele neue Türen. Grade mit dem frischen Wind der Europawahlen, den aktuellen Umfragen im Rücken und dem Bürgergeld als politische Waffe kann sich Salvini hier, ganz getreu dem populistischen Mythos, als Opfer stilisieren, dem auf Grund von EU-Richtlinien die Hände gebunden sind. So könnte die Zurücknahme oder Kürzung des Bürgergeldes und der Rentenreform einem politischen Pulverfass gleichen. Nicht auszuschließen, dass sich hieraus eine gefählriche gesellschaftliche Stimmung entwickelt, ganz nach dem Motto „Take back your country“ oder „Taking back control“. Was für Folgen eine solche Mentalität hat, kann man seit der US-Wahl und dem Brexit-Referendum aus nächste Nähe beobachten.

Salvinis Meinung im Streit mit Brüssel ist bekannt: "Wenn mein Sohn Hunger hat und mich fragt, ob er etwas zu Essen haben kann, Brüssel mir aber sagt: 'Nein Matteo, die europäischen Regeln verpflichten dich, deinem Sohn nichts zu essen zu geben', soll ich die Regeln aus Brüssel respektieren oder meinem Sohn etwas zu essen geben? Meiner Meinung nach kommt mein Sohn zuerst, und meine Söhne sind 60 Millionen Italiener (...)". Diese Worte sollte die EU bei den Verhandlungen mit Italiens Populisten unbedingt im Hinterkopf haben. Ansonsten könnte sie – nach M5S – unfreiwillig zum nächsten Steigbügelhalter von Italiens Rechten werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maximilian Scharffetter

Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.

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