Hauptsache dafür

Europawahl Bei der Europawahl drücken sich die großen Parteien vor Inhalten und Bekenntnissen. Enthusiastischer Wahlkampf sieht anders aus

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Laut Eurobarometer halten 8 von 10 Deutschen die EU-Mitgliedschaft für eine gute Sache
Laut Eurobarometer halten 8 von 10 Deutschen die EU-Mitgliedschaft für eine gute Sache

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Nicht einmal mehr zwei Wochen trennen uns von der Europawahl und dennoch: Ein Wahlkampf scheint nicht stattzufinden. Auf der Straße merkt man, abgesehen von den unzähligen Plakaten, nicht besonders viel. Lediglich in den Medien taucht das Thema hier und da auf, meist als uninspirierter und lustloser Monolog des inneren Mainstreams. Wer nach mehr als Lippenbekenntnissen sucht, sucht vergebens. Im Gegenteil. Die Slogans und Sprüche der Parteien klingen nicht nur abgehalftert und träge – sie sind es auch.

Zusammenhalt fordert die SPD und findet #europaistdieantwort. Die Union fragt sich in ihrem Wahlkampf, wie man weiterhin in Wohlstand, Sicherheit und Frieden leben könne und welches Europa den Interessen „unseres Landes“ diene. Konkrete Inhalte und Fragen zu großen Themen wie Rente oder Mieten sucht man zunächst vergebens. Die Angst vor den Rechtspopulisten und deren Mobilisationspotenzial auf Grundlage von Unzufriedenheiten konnte von den etablierten Parteien entweder nicht in eine eigene starke Kampagne gegossen werden oder man steht ihnen immer noch ohnmächtig gegenüber.

Die Erhaltung des Status Quo auf der europäischen Ebene wankt schon seit Langem. Somit steht die Tür für emanzipatorische, demokratische und soziale Projekte eigentlich weit offen, um in dieses entpolitisierte Vakuum vorzustoßen. Themen wie Mieten, Wohnraum, Rente oder Mindestlohn kommen zwar im öffentlichen und medialen Diskurs durchaus vor, doch gerade die Debatte auf Kevin Kühnerts Anstoß der Kollektivierung von Unternehmen wie BMW zeigt – ganz abgesehen vom Echo aus der eigenen Partei –aus welcher Richtung der Wind weht: keine Experimente. Und auch strukturelle Themen wie die ökonomische und politische Vormachtstellung Deutschlands innerhalb der Europäischen Union werden systematisch vernachlässigt. Selbst der französische Präsident Macron, Deutschlands wichtigster Verbündeter in Europa, wird hierbei alleine gelassen, wenn er diesen Zustand und die damit einhergehenden, negativen Konsequenzen für den Rest Europas kritisiert. Europäische Solidarität sieht anders aus.

Laut Eurobarometer halten 8 von 10 Deutschen die EU-Mitgliedschaft für eine gute Sache. Das ist der höchste Wert seit 25 Jahren. Unzufriedenheit mit der EU ist in der Regel thematisch und inhaltlich punktuell oder sehr spezifisch. Die größten Themen für die Befragten in Deutschland sind Einwanderung, Klimawandel und Umweltschutz und Kampf gegen den Terrorismus. Vor allem rechtspopulistischen Parteien gelingt es immer wieder, diese Themen für sich zu beanspruchen und im Wahlkampf in eine generelle EU-Skepsis oder -unzufriedenheit umzumünzen. Und die Taktik der inhaltlichen Assimilation der etablierten Parteien an die radikale Rechte stärkt immer nur letztere. Das Problem ist aber nicht, dass die Deutschen die EU ablehnen oder einen deutschen Austritt fordern. Kampagnen, die darauf abzielen, verschießen ihr Pulver und erweisen knapp 80% der deutschen Bevölkerungen einen Bärendienst. Die Debatte um den letztendlichen Beschluss der Reform des Urheberrechts sowie die gesamte Ausblendung des Protests und des zivilgesellschaftlichen Engagements tat ihr Übriges. Kaum ein Plakat der Union oder SPD, welches durch kreativen Protest umgestaltet wurde.

Dabei gibt es genug Probleme, die nahezu darum betteln, auf europäischer Bühne gelöst zu werden: europäischer Mindestlohn, Rente, Miete, Bildung, Sicherheit. All das wird im Wahlkampf zwar nicht unbedingt ausgeblendet und weggeschlossen, doch mehr als Phrasen und abgedroschene Rhetorik scheint nicht hinter den Schlagwörtern zu stehen. Wie soll man diesen Wahlkampf ernstnehmen, wenn es die Parteien selbst nicht einmal tun? „Hauptsache dafür“ reicht bei weitem nicht, Leidenschaft und Engagement über die Grenzen der Nationalstaaten zu befeuern. Doch zu mehr scheinen die großen Parteien auch nicht in der Lage zu sein. Kein Wunder also, dass nun die kleineren Parteien, allen voran die Grünen, den Trend der letzten Landtagswahlen fortsetzen. Was auch am Wahlabend für Ergebnisse über den Bildschirm flimmern werden: Große Überraschungen erwartet man hier vergebens.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maximilian Scharffetter

Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.

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