Krise als Chance - aber für wen?

Italien Innenminister Salvini provoziert eine Regierungskrise und will Neuwahlen. Das aktuelle politische Dilemma Italiens ist jedoch nicht ausschließlich hausgemacht.

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Krisen wurden lange als die Chance angesehen, den Kapitalismus zu überwinden, ist heute längst eine verworfene Idee. Während ökonomischer oder politischer Krise, so der Gedanke, ließe sich eine revolutionäre Kraft in der Bevölkerung entfesseln, an deren Ende die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise steht. Dass dies nicht der Fall ist, fiel bereits vor knapp 100 Jahren dem italienischen Marxisten Antonio Gramsci auf. Während seiner Haft als politischer Gegner des Faschismus in Italien beschäftigte er sich vor allem mit der Frage, warum es die Revolution in Russland erfolgreich, die in Italien oder Deutschland aber allerdings nicht erfolgreich gewesen waren. Im Gegenteil kam es hier zu einer Konterrevolution, die – in Deutschland mit ein wenig Verzögerung – im Faschismus bzw. Nationalsozialismus mündete.

Auch aus der aktuellen Regierungskrise scheint die italienische Linke ebenso wenig politisches Kapital für ihre Ziele schlagen zu können wie damals zu Gramscis Zeiten. Auch heute scheint wieder ein Rechter, ein Neo-Faschist, Nutznießer der Krise zu werden zu können. Dass ihn das freuen wird, ist wenig verwunderlich, hat er sie doch erst so richtig ins Rollen gebracht. Matteo Salvini, Lega Nord Chef und italienischer Innenminister, strebt ein Misstrauensvotum gegen den parteilosen Ministerpräsidenten Conte an, um die Koalition zwischen Lega Nord und Movimento Cinque Stelle vorzeitig platzen zu lassen. Beobachter sehen hier vor allem eines: einen politischen Schachzug. Damit Salvini die aktuellen hohen Umfragewerte seiner Partei auch in Parlamentssitze umwandeln kann, versucht dieser Neuwahlen zu forcieren. Einer Umfrage vom 31. Juli zufolge würde diese auf nun 36% kommen. Zum Vergleich: bei den Parlamentswahlen im März 2018 kam sie noch auf 17,3%. Zusammen mit den beiden rechtsextremen bzw. -populistischen Parteien Forza Italia (Vorwärts Italien) und Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) hätte sie laut der Umfrage sogar eine hauchdünne Mehrheit von 50,6%. Darüber hinaus geben in einer anderen Studie sogar 62% der Befragten an, dass sie durchaus mit Matteo Salvini als Ministerpräsidenten einverstanden wären.

Salvinis Höhenflug hat vor allem mit seinem Image zu tun. Als Innenminister präsentiert er sich als Law-and-Order-Typ, der hart durchgreift und wieder für Recht und Ordnung sorgt. Der feuchte Traum aller Rechten – nicht nur in Italien. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte die italienische Oppositionspolitikerin Laura Garavini (Partito Democratico) jüngst, dass Salvini „ständig im Wahlkampfmodus“ stecke. Immer wieder wirft er den Koalitionspartnern vor, dass sie ihn nur ausbremsen würden und somit verhindern, dass „man konstruktiv regiert“. Ansonsten hätte er natürlich schon viel mehr seiner Wahlversprechen umsetzen können. Die Vorwürfe scheinen in der italienischen Gesellschaft auf offene Ohren zu stoßen. Schlagen sie doch in dieselbe Kerbe wie die autoritäre und nationalistische Kritik am Parlamentarismus oder an multinationalen Organisationen wie der EU. Die Sehnsucht nach einem starken Anführer, der die eigenen Interessen viel besser vertritt, als ein großes, diverses und breitgefächertes Parlament. Populistische Zustände wie diese beschränken sich schon lange nicht mehr auf die USA. Auch Phänomene wie der Brexit, Boris Johnson, Orbán, die polnische PiS-Partei und andere Rechte oder Rechtsextreme reihen sich hier ein.

Doch die politische Krise Italiens ist folglich nicht nur durch nationale Faktoren bestimmt. Im Zusammenhang der politische Krise, die in einer engen Verbindung zu ökonomischen Krise Italiens steht, muss auch die Rolle der EU viel energischer in den gesamten Kontext gestellt werden. Der Streit zwischen Italien und der EU bezüglich Minit-Bots steht symptomatisch für dieses angespannte Verhältnis Ein anderer zentraler Punkt ist die Streit um die Migrationspolitik der EU. Seit dem Arabischen Frühling und dem internationalen Militäreinsatz in Libyen nun ist Italien seit 2011 verstärkt Ziel für Migranten, die von der nordafrikanischen Küste die lebensbedrohliche Überfahrt in Kauf nehmen. Mit dem Bürgerkrieg in Syrien und den vielen Flüchtlingen aus Staaten der Subsahara verschärfte sich die Lage im und am Mittelmeer zusehends. Italien wurde aufgrund des Dublin-II-Abkommen größtenteils mit dem Problem der Aufnahme der Geflüchteten alleine gelassen; die EU hielt am geltenden Recht fest – immerhin heißt es nicht umsonst geltendes Recht. Dass sich diese „Recht“ jedoch zu politischem Sprengstoff entwickelte, wurde in Brüssel viel zu lange ignoriert.

Die Kritik an Dublin-II ist insgesamt nichts Neues, doch an Italien zeigt sich exemplarisch, zu was Rechtsextreme mit populistischen Strategien in der Lage sind, wenn demokratischen Kräfte kontinuierlich alleine gelassen werden. Gewiss geht mit einem Misstrauensvotum immer auch ein politisches Risiko. Dieses scheint für Salvini und die Lega Nord angesichts der Umfragen allerdings eher gering. Eine italienische Linke, die eine politische Alternative darstellen könnte, ist in der politischen Landschaft de facto nicht existent. Die sozialdemokratische Partito Democratico hat ebenfalls enorme Probleme, politische Ideen zu formulieren und mit Konzepten zu überzeugen. Zudem schließen viele Teile der italienischen Sozialdemokratie eine politische Kollaboration mit dem MoVimento Cique Stelle im Vorhinein aus, was die politische Krise nun noch zusätzlich verstärkt. Ganz nebenbei stärkt es natürlich auch noch die Rechtsextremen und Neo-Faschisten. Bei all ihren Problemen, bei all ihren Unzulänglichkeiten; die EU muss – jetzt noch viel ehr als vorher bereits – eine europäische Lösung in der Frage der Migration forcieren. Allein dieser Schritt würde den Rechten – nicht nur in Italien – massiv das Wasser abgraben und die politische Krise entschärfen. Die politische und ökonomische Krise darf nicht den Rechten überlassen werden. Auch wenn sie keinen Automatismus in Gang setzt, bildet sie eine Chance. Man muss sie nur auch ergreifen wollen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maximilian Scharffetter

Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.

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