Weniger ist weniger

Entwicklungshilfe Die Weltbevölkerungskonferenz berät darüber, wie der Anstieg der Weltbevölkerung begrenzt werden kann. Operative Entwicklungshilfe fällt dabei schnell unter den Tisch

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Nairobi. Hier findet derzeit die UN-Weltbevölkerungskonferenz statt
Nairobi. Hier findet derzeit die UN-Weltbevölkerungskonferenz statt

Foto: Tony Karumba/AFP via Getty Images

Die Weltbevölkerungskonferenz von Kairo jährt sich 2019 zum 25. Mal. Die UN-Mitgliedsstaaten fassten 1994 in der ägyptischen Haupstadt den Beschluss, das Bevölkerungswachstum zu begrenzen und fundierten die kommende Bevölkerungspolitik auf dem Menschenrecht der freiwilligen Familienplanung und sexuellen Selbstbestimmung. Die nun begonnene Konferenz in Kenias Hauptstadt fokussiert sich vor allem auf die Bildung von afrikanischen Frauen und deren Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.

Schätzungen bestimmen die aktuelle Weltbevölkerung auf ca. 7,75 Mrd. Menschen. Vor knapp 70 Jahren waren es noch 2,5 Mrd. und Prognosen gehen von einer Gesamtbevölkerung von etwa 10 Mrd. Menschen im Jahr 2050 aus. Das Problem ist anscheinend schnell ausgemacht: Afrika. Neun der zehn Länder mit der höchsten Fertilitätsrate weltweit liegen auf dem afrikanischen Kontinent. „Spitzenreiter" ist Niger mit 6,3 Kindern pro Frau. Der durchschnittliche Fertilitätswert hingegen sinkt seit den 1960er Jahren konstant von 5,03 auf aktuell 2,47, was vor allem an dem steigenden Wohlstandswachstum der westlichen Industrienationen lag. An diesen beiden Beispielen zeigt sich nicht nur exemplarisch der Zusammenhang von Geburtenrate und Wirtschaftsentwicklung, sondern entlarvt auch pseudo-wissenschaftliche und rassistische Ideologien vom „afrikanischen Ausbreitungstyps" oder der „klein-r-Strategie", von der beispielsweise der Fraktionsführer der Thüringen-AfD Björn Höcke 2015 auf einer Tagung des völkischen Think-Tanks "Institut für Staatspolitik" sprach.

Und dennoch macht etwa auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller im Interview mit dem Deutschlandfunk Afrika als große Herausforderung der kommenden Jahrzehnte aus: „Hier [Anm. in Afrika] wird sich die Bevölkerungszahl insgesamt bis 2050 verdoppeln, denn diese Länder haben viel Jugend, ein Durchschnittsalter von 20 Jahren. Ich nehme mal den Kongo, wo ich vor kurzem war. Vor 50 Jahren hatte der Kongo 16 Millionen Einwohner; heute über 80 Millionen. Dort ist das Thema anzusetzen und ich tabuisiere das Thema nicht. Entscheidend ist: Frauen müssen selbst bestimmen können, wie viele Kinder sie bekommen [...]".

Das Problem lässt sich jedoch nicht nur mit der Emanzipation der (afrikanischen) Frauen lösen. Eine wichtige Säule stellt die ökonomische Entwicklung der einzelnen Nationen dar. Das Gleichnis „Viele Kinder führen zur Armut“ ist falsch und muss genau umgedreht werden: „Armut führt zu vielen Kindern“, so die Armutsforscher Abhijit Banerjee und Esther Duflo. Die beiden Ökonomen, und gleichzeitigen Gewinner des diesjährigen Wirtschaftsnobelpreises forschten unter anderem zur Armutsbekämpfung und stellten hierbei fest, dass einfache Entwicklungshilfe im bildungspolitischen Bereich ohne weitreichende Reformen im Sande verläuft. Der österreichische Sozialwissenschaftler Wolfgang Lutz sieht viele Länder hier in einem Teufelskreis gefangen: „Eine chaotische Regierung, die nicht in Bildung investiert, führt dazu, dass die Bevölkerung besonders schnell wächst, und das bringt dann noch mehr Chaos. Viele Junge, die sehen, wie gut es Menschen anderswo geht, die aber selbst keine Jobs finden, das sorgt für Unruhe.“

Die Probleme und Herausforderungen Flucht, Migration, Bevölkerungswachstum, Emanzipation und sexuelle Selbstbestimmung sind eng miteinander verwoben. Sexuelle Aufklärung und Bildungsangebote für Frauen werden weder auf kurze noch auf langfristige Sicht Abhilfe schaffen. Und auch Müllers „Marshall-Plan mit Afrika“, der einen Paradigmenwechsel für den Kontinent bewirken sollte, stockt vor allem aufgrund der Konkurrenz anderer Global Player auf dem Kontinent, so etwa China oder Russland. Vor allem China investierte alleine 2016 rund 36. Mio. Euro in Infrastruktur wie Straßen, Flug- und Schiffshäfen – mehr als Europa und die USA zusammen. Der Fokus Chinas begründet sich mit ihrem Interesse an Handel, Investitionen und Ressourcen. Jedoch konstatieren Kritiker, dass chinesische Firmen und Unternehmen afrikanischen Angestellten Dumpinglöhne zahlen und es bei Bauprojekten an Qualität mangeln würde. Die oft beschworene Hilfe zur Selbsthilfe findet zu großen Teilen entweder nicht statt oder versickert auf Grund von Korruption und Vetternwirtschaft auf den Konten von einigen Wenigen.

Dabei zeigt gerade ein Projekt der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung im Kongo, was erfolgreiche Entwicklungshilfe braucht: Zeit, Engagement und Eigenverantwortung. Auf dem seit 2013 von der Stiftung geförderten Agroforstprojekt auf dem Plateau Batéké werden auf rund 260 Farmen Akazien angebaut, die zu Holzkohle verarbeitet werden und in der Hauptstadt Kinshasa verkauft werden. Das Projekt zeichnen vor allem seine ökologische Nachhaltigkeit und sein emanzipatorischer Charakter aus. Zum einen werden aufgrund des Rotationsprinzips auf den Farmen abwechselnd Akazien, Mais und Maniok angebaut, zum anderen verwalten sich die Farmer*innen selbstständig und basisdemokratisch im selbstgewählten Vorstand und Kontrollkommission, welche die gesamte Vereinigung leitet. Seit Dezember letzten Jahres verwaltet sich das Projekt vollständig selbst. Der Stiftung zufolge blickt man in eine vielversprechende Zukunft.

In der Diskussion um die Weltbevölkerung gilt es folglich viele und interdisziplinäre Faktoren in den Blick zu fassen. Das ökonomische System, die politischen Krisen, der Klimawandel und die dadurch entstehende Perspektiv- und Hilflosigkeit ganzer Generationen dürfen bei der Debatte um die Bevölkerungsentwicklung und der Manifestation Afrikas als scheinbares Problem nicht unerwähnt bleiben und müssen verstärkt in den politischen und gesellschaftlichen Fokus gerückt werden. Es zählt vor allem nicht die Quantität der Entwicklungshilfe, sondern die Qualität. Operative Entwicklungspolitik, wie beispielsweise das Projekt in Ntsio, kann hierbei den Weg leuchten, der von allen Beteiligten gemeinsam beschritten werden muss.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maximilian Scharffetter

Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.

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