Alles oder nichts

Konsum In der Diskussion um den Fleischatlas fehlen mal wieder die wichtigen Fragen: Wo endet persönliche Freiheit? Was bedeutet Verzicht? Und wieso ändert sich nie etwas?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://farm1.staticflickr.com/186/478519038_66878ae9c9.jpgEs ist ein alt bekanntes Phänomen. Leider. Obwohl unser Konsum jeden Tag Auswirk- ungen auf die Umwelt und andere Teile der Welt hat, schafft es dieser tägliche Skandal nur selten in die Medien. Dazu braucht es einen aktuellen Aufhänger: Am besten Zahlen und Statistiken, die sich gut in eine Nachricht verpacken lassen. Garniert mit ein paar Expertenstimmen greift die Presse diese gerne auf. Nachhaltige Berichterstattung bleibt hingegen meistens aus. Beispiel gefällig? Ich sage nur: Der Fleischatlas 2013.

Schon als ich morgens die erste Meldung im Radio hörte, hatte ich genug. Zwei oder drei Tage lang würde das Thema nun Aufmerksamkeit bekommen – mehr oder weniger seriös. Die Initiatoren der Studie würden ausgiebig zu Wort kommen. Die Ergebnisse würden hoch und runter gebetet, bis auch der Letzte weiß, dass der durchschnittliche Deutsche 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr verzehrt.

Stichhaltige Argumente sind wichtig

Man kann sich fragen, warum ich mich als Veganerin nicht darüber freue, dass diese überdurchschnittliche Fleischeslust und ihre verheerenden Konsequenzen endlich thematisiert werden. Ich sollte doch interessiert sein an der objektiven Information möglichst vieler Bürger. Ja, das ist richtig. Natürlich liegt mir viel daran, dass Konsumenten die nötigen Informationen erhalten, um begründete Entscheidungen zu treffen – und im Idealfall ihr eigenes Kaufverhalten daran ausrichten. Und natürlich halte ich es für wichtig, dass Studien wie der Fleischatlas verfasst und veröffentlicht werden. Für eine echte Diskussion braucht es schließlich stichhaltige Argumente.

Aber ich komme nicht umhin, ein gewisses Wutpotenzial zu entwickeln, wenn ich den Moderatoren im Radio zuhöre und die Berichte in der Zeitung lese. Das liegt (bis auf einige polemische und unseriöse Ausnahmen) nicht an der Berichterstattung an sich. Und es liegt auch nicht daran, dass ich mich als Veganerin schon eingehender mit der Materie beschäftigt habe. Aus diesem Grund genervt zu sein, wäre vermessen. Nein, mein Ärger gründet sich in der einfachen Tatsache, dass hinter diesen Nachrichten im Grunde nichts Neues steckt.

Wo ist die Neuigkeit?

http://farm4.staticflickr.com/3468/3961560888_6cc625e50c.jpgEs ist bereits seit vielen Jahren offen- kundig, dass für die Nutztiere in Deutschland Futtermittel in Entwicklungsländern angebaut werden, in die wiederum billiges Fleisch importiert wird, das die lokalen Märkte zerstört. Dass die Fleischproduktion Unmengen an Wasser verschlingt und gleichzeitig einen erheblichen Beitrag zu Klimawandel und Umweltzerstörung leistet. Dass der verstärkte Einsatz von Antibiotika dazu führt, dass wichtige Medikamente beim Menschen nicht mehr wirken. Und dass die Tiere in der Massenproduktion ein Leben fristen, das diesen Namen nicht verdient. Wo bitte ist die Neuigkeit? Und wieso scheinen diese Nachrichten nichts zu bewirken – obwohl sie in regelmäßigen Abständen in anderer Form neu präsentiert werden?

Das heilige Schnitzel

Zufällig saß ich letzte Woche im Bus in der Nähe zweier junger Männer, die ausgerechnet über den Fleischatlas diskutierten. Amüsiert stellten sie fest, dass sie genau zu der Gruppe gehören, die am meisten Fleisch isst. Kein Wunder: Morgens, mittags, abends – Fleisch stünde bei ihnen ja fast immer auf dem Speiseplan: "Auf mein Schnitzel verzichten? So weit kommt es noch!"

Genauso wie die Fakten sind auch die Reaktionen darauf nicht neu: Die meisten schlagen keine Brücke von Klimawandel, Wassermangel und Welthunger zum eigenen Kühlschrank. Das Ernährungsverhalten, das heilige Schnitzel, gehört für viele zur persönlichen Freiheit, in die sich niemand einzumischen hat. Dabei sollte persönliche Freiheit doch genau dort enden, wo die eines anderen eingeschränkt wird. Und der Fleischkonsum in den Industrieländern tut genau das: Tiere, Umwelt und ein großer Teil der Weltbevölkerung werden ausgebeutet, damit hier günstiges Hackfleisch in den Kühlregalen liegt. Eigentlich sollte jeder Mensch die Möglichkeit haben, seine Grundbedürfnisse zu befriedigen. Doch während unser Konsum weit darüber hinausgeht, muss gleichzeitig eine Milliarde Menschen hungern.

Verzicht als Bedrohung

http://farm4.staticflickr.com/3210/2351642595_459d80f891_m.jpgZu diesem eher abstrakten Komplex der Freiheit gesellt sich gerne noch eine sehr konkrete Bedrohung: der Verzicht. Ach, wie oft wurde mir dieses Wort schon um die Ohren gehauen. Ich verstehe einfach nicht, warum es ausschließlich negativ ausgelegt wird. Ja, ich verzichte auf Fleisch und andere tierische Produkte, aber sie fehlen mir nicht. Unsere Konsumgesellschaft ist darauf getrimmt, alles zu jeder Zeit, an jedem Ort und in großer Menge haben zu können (auch wenn selbst in Deutschland längst nicht mehr alle Zugang zu diesem scheinbar grenzenlosen Konsum haben). Verzicht klingt da wie ein Abgesang auf den hart erarbeiteten Wohlstand.

Dabei kann Verzicht auch bedeuten, das eigene Verhalten zu reflektieren und bewusst auszusortieren. Was brauche ich wirklich? Wie erhöhe ich meine Lebensqualität? Und welche Dinge könnte ich ohne weiteres aus meinem Leben streichen? Solche Überlegungen helfen nicht nur, die eigenen Prioritäten zu überprüfen und eventuell neu zu setzen. Sie helfen auch, persönliche Freiheit zurück zu gewinnen.

Ein mutiger Schritt zurück

Konsum macht uns abhängig und versperrt den Blick auf die wichtigen Dinge im Leben. Arbeit wird zum bloßen Mittel, um Geld zu verdienen, das dafür ausgegeben wird, die eigene Unzufriedenheit zu bekämpfen. Doch wer einen Schritt zurücktritt und einen Blick von außen auf das eigene Leben zulässt, wird feststellen, dass es auch anders geht.

Dass weniger Konsum mehr Zeit lässt für Dinge, die uns wirklich glücklich machen. Dass weniger (Erwerbs-) Arbeit und weniger Geld nicht zwangsläufig weniger Zufriedenheit bedeuten und dass es befreiend wirken kann, auf bestimmte Dinge einfach keinen Wert mehr zu legen. Noch braucht es dafür ein wenig Mut, weil die Alternativen nicht in den Schaufenstern der uniformen Fußgängerzonen präsentiert werden. Man muss sie selbst suchen und entwickeln. Aber es lohnt sich.

Bis zum nächsten Mal

http://farm8.staticflickr.com/7091/7005986633_b73dd9b2ed_m.jpgDoch zurück zur Fleischdiskussion. Sie ist ein typisches Beispiel dafür, wie Diskurse in unserer Gesell- schaft verlaufen bzw. gar nicht erst entstehen. Ansätze, die in irgendeiner Weise das Wirtschaftssystem in Frage stellen (und das sollte ehrliche Konsumkritik tun), haben keine Chance, in der Breite diskutiert zu werden. Deshalb wird den Fleischatlas das gleiche Schicksal ereilen wie die vielen mahnenden Worte zuvor: Er wird wieder in Vergessenheit geraten. Die Appelle an die Verantwortung der Verbraucher werden verstummen und die vielen erschrockenen Mienen werden sich wieder entspannen. Bis zum nächsten Mal.

Was bräuchte es also für eine wirkliche Veränderung? Ich muss zugeben, ich kenne die endgültige Antwort nicht. Eine kontinuierliche Berichterstattung wäre wünschenswert, ist aber unwahrscheinlich. Und auch die Hoffnung, dass sich die besseren Argumente irgendwann in der Politik durchsetzen, lässt sich angesichts der mächtiger Lobbyisten und wirtschaftlicher Interessen kaum aufrechterhalten. Die Themen verbinden sich Doch wenn ich mich in meinem Umfeld umschaue, entscheiden sich plötzlich immer Menschen dazu, Fleisch und andere tierische Produkte von ihrer Einkaufsliste zu streichen. Könnte das richtungweisend für die Zukunft sein? Eine Bewegung, die klein anfing und immer größer wird, weil die Menschen sich nicht länger blenden lassen von den Versprechungen von Politik und Wirtschaft? Es wäre nicht das erste Mal.

Und Ernährung ist bei weitem auch nicht das einzige Thema, in dem sich ein Wandel vollziehen sollte und muss – im Gegenteil. Schon lange lassen sich Aspekte wie Ernährung, Konsum, Arbeit, Umweltzerstörung, psychische Krankheiten, Demokratie, Kapitalismus oder Globalisierung nicht mehr voneinander trennen. Mit dem langfristigen Blick auf eine mögliche bessere Welt spielen sie alle eine Rolle. Entweder wir ändern alles – oder nichts.

1. Foto: flickr (der bobbel)

2. Foto: flickr (Macomb Paynes)

3. Foto: flickr (Zeitfixierer)

4. Foto: flickr (zhrefch)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden