Die eigene Geschichte

Feminismus Obwohl die Frauenbewegung viel erreicht hat, brauchen wir auch heute noch eine feministische Perspektive. Das hat nicht nur die politische Aktivistin in mir verstanden

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Jahrelang hatte ich mit Feminismus nicht viel am Hut. Warum auch? Ich hatte nie das Gefühl, irgendwelche Probleme zu haben, nur weil ich als "Mädchen" auf die Welt gekommen bin. Und dank der Frauenbewegung im 20. Jahrhundert kann ich ein ganz anderes Leben führen als meine Mutter oder gar meine Oma. Was also gibt es für mich noch zu tun? Es ist doch schon alles gut, oder?

Es kam für mich zum Beispiel nie in Frage, irgendwann zu heiraten und meinen Beruf aufzugeben, um Mutter, Haus- und Ehefrau zu sein. Stattdessen ging ich zur Schule, machte Abitur und begann mein Studium – natürlich mit der Absicht, auch irgendwann "mein eigenes Geld" zu verdienen. In der Schule und an der Uni saß ich ganz selbstverständlich mit männlichen Altersgenossen zusammen. Ich fühlte mich als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft. Mit 16 durfte ich zum ersten Mal meine Stimme bei der Kommunalwahl abgeben und sie war genauso viel wert wie die aller anderen.

Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen

Mit 15 Jahren konnte ich zur Frauenärztin gehen und mir die Pille verschreiben lassen. Weil ich es so wollte. Ich hatte erste Beziehungen, die mir sehr wichtig waren und mehrere Jahre dauerten. Im Rückblick kann ich nicht mehr genau sagen, inwiefern ich in diesen Beziehungen bestimmte Rollenmuster erfüllt habe oder nicht. Tatsache ist aber, dass ich mich nie unterdrückt oder missbraucht fühlte (… mal wieder schreibe ich aus einer privilegierten Position).

Auch als ich langsam meinen Weg in den politischen Aktivismus fand, spielte das Thema Feminismus für mich keine Rolle. Mir ging es vor allem um die sozial benachteiligten Menschen unserer Gesellschaft. Mir wollte es einfach nicht in den Kopf, warum manche so viel weniger haben als andere. Warum müssen Menschen Not leiden, wenn doch eigentlich genug für alle da ist? Das war die Ausgangsfrage, die mich dazu brachte, die gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch zu hinterfragen und ändern zu wollen.

Ein Mädchen spielt kein Fußball

Gleichzeitig war da aber auch ein gewisser Trotz, eine Ablehnung gegenüber allen Vorgaben, die mein eigenes Leben betrafen. Doch erst heute wird mir bewusst, dass es vielleicht auch damals schon um bestimmte Rollenbilder ging, die ich nicht erfüllen wollte oder konnte. Wie hat ein Mädchen auszusehen? Wie hat es sich zu verhalten? Und was passiert mit denen, die es anders machen?

Ich kann mich an eine Zeit erinnern, in der ich lieber ein Junge gewesen wäre. Warum, das kann ich nicht mehr genau sagen. Auf jeden Fall wollte ich Fußball spielen, lässige Klamotten anziehen und cool sein. Ich hatte keine Lust auf Schminke und Nagellack. Und als ich zu meiner Kinderkommunion (ja, ich war auch mal katholisch) ein weißes Kleidchen anziehen sollte, war mir das ein Gräuel. Aber so war das nun mal – und ich hatte keine Vorstellung davon, wie es anders sein könnte. Irgendwann ging die Phase vorbei und ich tat die Dinge, die Mädchen nun mal so tun – vielleicht nur nicht ganz so exzessiv wie andere.

Das non plus ultra: Dumm und hübsch

Als irgendwann die körperlichen Veränderungen losgingen, änderte sich mein Alltag. Es gab Mädchen in meiner Klasse, die hatten scheinbar von einem Tag auf den anderen einen riesigen Po und Körpchengröße C. Ich nicht. Und das bekam ich zu spüren. Erschwerend kam hinzu, dass ich eine gute Schülerin war. Keine gute Kombination. Dumm und hübsch – das war das neue non plus ultra. Also machten sich viele Jungs über mich lustig und eiferten gleichzeitig um die Aufmerksamkeit der "Sexbomben". Sex hatte von ihnen damals natürlich keiner.

Genau zu dieser Zeit wurde ich, sagen wir, "rebellisch". Ich litt darunter, dass ich scheinbar weniger wert war, nur weil ich einen kleineren Busen hatte, keine Miniröcke und keine hohen Schuhe trug. Wer gab ihnen das Recht, über mich zu urteilen? Damals fragte ich das noch nicht so direkt. Stattdessen suchte ich andere Wege, mich zu definieren: Ich färbte mir die Haare rot, zog kaputte Strumpfhosen an und hörte deutschen Punk. Erst Jahre später ging ich das erste Mal in eine Disco. Ich wollte mir dieses Rumstolzieren, den Wettbewerb um die coolen Typen und vor allem wahrscheinlich meine eigene Niederlage nicht geben.

Keine Gegendarstellung

Heute macht mich das alles ziemlich wütend. Nicht unbedingt, weil es mir selbst so ergangen ist, sondern weil es überall passierte (und immer noch passiert), flächendeckend und ohne irgendeine Gegendarstellung. Wie lange prasselte all das auf mich und meine Freund*innen ein, ohne dass wir uns wehren konnten? Es ist doch klar, dass meine Mutter mit einem "Du bist gut so wie du bist" nicht mehr viel ausrichten konnte, wenn ich tagtäglich etwas anderes vorgelebt bekam.

Vor kurzem saß ich abends ausnahmsweise vor dem Fernseher und schaute – mensch höre und staune – GZSZ. Früher gehörte die Serie (natürlich) zu meinen Lieblingssendungen. Auf den Inhalt will ich an dieser Stelle gar nicht eingehen. Die Darstellung von Frauen in Filmen und Serien könnte ganze Bücher füllen. An diesem Abend sind mir aber vielmehr die Werbepausen in Erinnerung geblieben. Wenn ich nicht so müde gewesen wäre, hätte ich den Fernseher am liebsten aus dem Fenster geschmissen, als sich der dritte Spot in Folge um eine schöne, junge, schlanke Frau drehte, die sich in irgendeiner Weise optimierte – mit Shampoo, mit einer Anti-Cellulite-Hose oder mit einem neuen Mascara.

Späte Reflektion

Immerhin regt es mich inzwischen auf, so etwas zu sehen. Heute bin ich in der Lage, diesen Scheiß zu reflektieren und ihn nicht zu sehr an mich heranzulassen. Aber ist es dafür nicht schon zu spät? Jahrelang habe ich genau diese Bilder völlig ungefiltert aufgenommen, garniert mit den Geschichten aus Zeitschriften und dem Internet. Selbst wenn ich es jetzt vielleicht besser weiß: Das alles hat mich trotzdem geprägt.

Allein schon diese Erkenntnis hat mich dazu gebracht, mich mit Feminismus zu beschäftigen. Die ganzen (und oft widersprüchlichen) Ansprüche, die an mich als Frau gestellt werden, haben nämlich sehr wohl einen Einfluss auf mein Leben. Es mag sein, dass ich sehr viel mehr Möglichkeiten im Leben habe, als meine Mutter sie je hatte. Und dafür bin ich dankbar. Nichts desto trotz sind die Probleme, die der Feminismus thematisiert, immer noch relevant.

Strukurelle Diskriminierung

Abgesehen von den sexistischen und eindimensionalen Frauenbildern, die die Öffentlichkeit weiterhin dominieren, belegen die Statistiken, dass Frauen im Schnitt 20 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Männer besitzen im Schnitt mehr Vermögen als Frauen. Nur ein Drittel der Hochschulabsolventinnen übernehmen später eine Führungsposition. Alleinerziehende Mütter sind fünf Mal häufiger von Armut bedroht als solche, die in einer Partnerschaft leben und so weiter. (1) Das alles lesen wir regelmäßig in der Zeitung.

Fernab von solchen Zahlen merke ich aber ganz persönlich und jeden Tag, wie schwer es ist, für mich eine passende "Geschichte" als Frau zu finden.

Wie möchte ich eigentlich aussehen? Fühle ich mich wirklich wohl in meiner Haut oder folge ich doch nur dem Diktat der Werbung? Ich sage, dass ich mich nicht für aktuelle Trends interessiere. Trotzdem habe ich mir irgendwann eine Leggings zugelegt. Viele Frauen auf der Straße sehen sich unglaublich ähnlich, weil sie die gleichen Frisuren, die gleichen Hosen und die gleichen Schuhe tragen. Aber selbst, wenn ich mich davon abheben will – ist das je mehr als eine bloße Gegenreaktion? Individualität als neue Mode. Ich weiß nicht: Was davon bin ich? Und was ist meine Umwelt?

Das kleine, dumme Mäuschen

Es geht aber nicht nur um Fragen der "Außendarstellung". Wieso zum Beispiel habe ich manchmal das Gefühl, Männern automatisch unterlegen zu sein, obwohl es dafür objektiv keinen Grund gibt? In der Uni setzte sich vor kurzem ein großer, durchtrainierter, gutaussehender Typ neben mich. Und plötzlich fühlte ich mich wie ein kleines, dummes Mäuschen. Dabei bin ich nicht gerade der Inbegriff eines schüchternen Mauerblümchens. Seine Anwesenheit hat etwas mit mir gemacht und irgendetwas sagt mir, dass das nicht allein mein persönliches Problem ist.

Der Feminismus hat so unglaublich viele Facetten, dass ich nicht weiß, an welcher Stelle ich anfangen soll und ob ich das Thema jemals in seiner Fülle erfassen kann. Vor allem wenn ich bedenke, dass mensch auch die gesamte Konstruktion von Geschlechtern in Frage stellen sollte und es viele Menschen gibt, die sich in diesen starren Definitionen überhaupt nicht wiederfinden. Ich als weiße, heterosexuelle Cis-Frau habe da noch leicht reden.

Abschaffung von Hierarchien

Der Umfang der ganzen Thematik macht mir Angst. Trotzdem spüre ich eine Notwendigkeit, mich damit auseinanderzusetzen. Politische Arbeit, die es mit gesellschaftlichen Veränderungen ernst meint, kann auf feministische Positionen nicht verzichten. Das Patriarchat und die daraus resultierenden Machtverhältnisse sind ein entscheidener Bestandteil unseres Systems. Wer sich die Abschaffung jeglicher Hierarchien zum Ziel setzt, muss diesen Blickwinkel zwangsläufig miteinbeziehen (Stichwort: Anarchafeminismus).

Ich bin dankbar für jeden Input, der mich diesbezüglich weiterbringt. Ich lese unzählige Bücher und Artikel in der Hoffnung, irgendwann eine halbwegs überzeugende Position zu entwickeln. Bis es so weit ist, werde ich weiter sammeln: Erfahrungen, Meinungen, Beobachtungen. Und meine eigene Geschichte rekapitulieren und fortsetzen.

Zum Schluss...

Enden möchte ich mit einem Zitat von einem männlichen (!) Journalisten. Nils Prickert "outete" sich im Freitag zuletzt als Feminist. Sowohl seine Aussagen als auch die Tatsache, dass er sich auf Solidarität zwischen Frauen und Männern beruft, sind es wert, an dieser Stelle erwähnt zu werden:

"Feminismus beschäftigt sich mit weit mehr als dem, was gern als 'Frauenprobleme' verspottet wird. Chancenungleichheit, unfaire Bezahlung, sexualisierte Gewalt und abwertendes Verhalten gehen alle etwas an. Es sind Zumutungen an Menschen. Und diese Zumutungen sind auch deshalb in unserer Gesellschaft allgegenwärtig, weil ihren Auswirkungen mit so viel Gleichgültigkeit begegnet wird.

Feminismus vertritt den Grundsatz, dass Probleme auch dann real sind, wenn man sie selbst nicht hat, und man glaubt, dass sie einen in keiner Weise betreffen. Er macht deutlich, dass von bestimmten Problemen alle betroffen sind. Selbst eine Identität, die gesellschaftlich privilegiert ist, wird mit bestimmten Verhaltensweisen verbunden und mit dementsprechenden Anforderungen konfrontiert. Sie ist bei aller Bevorzugung nicht wirklich frei, sich außerhalb der vorgesehenen Rollenschubladen zu bewegen."

Übrigens: Auch "Die Anstalt" hat sich in dieser Woche mit dem Thema beschäftigt.

(1) Hensel, Jana: Es hapert noch am Sein. Der Freitag (17/15).

http://vg06.met.vgwort.de/na/53004e9d2bc949c4bbca6cc287a7ae19Foto: Kristjan Wagner / flickr.com (CC)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden