Die neue Taktik der Rechten

Pro NRW Mit ihrer „Volksinitiative gegen Asylmissbrauch“ tourt die Partei derzeit durchs Land - mit neuen Strategien. Vor allem im Zuge der Krise braucht es darauf eine Antwort

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Die neue Taktik der Rechten

Foto: Regine Beyß

Keine Frage, es gibt genug Gründe, auf die Straße zu gehen. Täglich und überall. Und doch war es schon ein bemerkenswerter Zufall, dass just an dem Tag, an dem unser Bündnis "Dortmund solidarisch" gegen die autoritäre EU-Krisenpolitik demonstrierte, auch eine Kundgebung der noch rechten Partei Pro NRW geplant war.

Krise und Faschismus

Auf den ersten Blick mag zwischen diesen beiden Veranstaltung kein Zusammenhang bestehen. Doch Kürzungspolitik, Demokratieabbau und Angriffe auf die Grundrechte einerseits und Rechtspopulismus, rechtsextremes Gedankengut und faschistische Tendenzen andererseits lassen sich in der Krise nicht mehr voneinander trennen. In Griechenland wird das mit dem Erfolg und dem Einfluss der Partei "Goldene Morgenröte" bereits mehr als deutlich.

Anmerkung: Zum Zusammenhang zwischen Krise und Faschismus siehe auch Blog-Artikel "Lektionen der Geschichte" (4. Februar 2013) über einen Vortag des Historikers Georg Fülberth.

Auch wenn eine ähnliche Entwicklung in Deutschland bislang noch unwahrscheinlich ist, dürfen wir die Gefahr nicht aus den Augen verlieren. Bei unserem Kampf gegen das herrschende Wirtschaftssystem, gegen die interessengeleitete Politik und die Ausbeutung von Mensch und Natur braucht es auch klare Antworten auf solche Strömungen, die von der Krisensituation profitieren. Sie greifen konkrete Probleme der Menschen und aktuelle Diskussionen auf und bieten gefährliche Lösungsvorschläge an. Diese zu entlarven und ihnen in der Öffentlichkeit gemeinsam Paroli zu bieten, ist deshalb unerlässlich.

Tour quer durch NRW

Noch bis zum 23. März wird Pro NRW durch das Land touren, um Unterschriften zu sammeln für die so genannte "Volksinitiative gegen Asylmissbrauch". Jeden Tag steuert die Partei mit ihren Kundgebungen zwei andere Städte an. Die Mobilisierung zu Gegenkundgebungen war bisher recht erfolgreich. So wurden die rund 20 Parteivertreter in Dortmund von mehr als 150 Gegendemonstranten in Empfang genommen.

Vor der Erstaufnahmestelle im Stadtteile Hacheney wollte Pro NRW darüber "aufklären", wie Wirtschaftsflüchtlinge die deutschen Sozialsysteme ausnutzen und unser "volles Boot" zum kentern bringen. Dank des lautstarken Protests bei der Gegenkundgebung fanden diese Tiraden zum Glück kein großes Gehör. Groß war hingegen das Aufgebot der Polizei, die auffallend viel Wert auf den "Schutz" (d.h. Abschirmung und Behinderung) der Gegendemonstranten legte, während die Rechten sich ungestört bewegen konnten.

Anmerkung: Übrigens, wer sich wundert, dass auf beiden Seiten Flaggen der Piratenpartei zu sehen waren (und Dortmund war dabei kein Einzellfall), dem sei die Berichterstattung in der taz und der jungen Welt empfohlen.

Abgesehen von solchen sichtbaren Zeichen des Widerstands gegen Pro NRW lohnt sich allerdings auch ein theoretischer Blick auf die speziellen Strategien, die hinter der Kampagne stecken. Der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler von der FH Düsseldorf gilt als Experte auf dem Gebiet der Pro-Bewegung. Am Abend vor der ihrer Kundgebung in Bochum informierte er auf Einladung des Bochumer Forums für Antirassismus und Kultur (BoFo) über die Hintergründe der Volksinitiative und machte vor allem deutlich, wie wichtig die Aufklärung über die Ideologie von Pro NRW ist. Noch zu viele Menschen wüssten nicht, wer sich hinter den Unterschriftensammlern verbirgt. Bezeichnenderweise fanden leider nur wenige Interessierte den Weg zu seinem Vortrag.

Idealer Nährboden für Hetze

Der Ansatz von Pro NRW, gezielt gegen Asylsuchende und Einwanderer zu hetzen, findet in den aktuellen Diskussionen über die Freizügigkeit für Rumänen und Bulgaren einen idealen Nährboden. Tendenziöse Schlagworte wie "Armutsmigration" werden durch Warnungen von ganz oben, genauer gesagt von Innenminister Hans-Peter Friedrich, allgemein legitimiert, ohne dass sie sich statistisch belegen ließen. Stattdessen wird ein Bedrohungsszenario aufgebaut, das der deutschen Bevölkerung den Eindruck vermittelt, gierige Migranten würden sich auf Kosten des deutschen Steuerzahlers ein schönes Leben machen.

Verzerrter Diskurs

Das darf natürlich nicht sein, findet der Innenminister: "Wer aber nur kommt, um Sozialleistungen zu kassieren und das Freizügigkeitsrecht missbraucht, der muss wirksam davon abgehalten werden." (Zeit Online, 3. März 2013) Dass ein Großteil der Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien (meist auch nur für eine bestimmte Zeit) arbeitet und Geld in die deutschen Kassen zahlt, fällt dabei genauso unter den Tisch wie die Ursachen, die für die hohe Armutsquote in diesen Ländern sorgen.

Ausgangspunkt für den verzerrten Diskurs war eine Stellungnahme des Deutschen Städtetages, der Bund, Länder und EU im Februar aufgefordert hatte, etwas gegen die Armutszuwanderung zu unternehmen und die Kommunen bei ihren Aufgaben zu unterstützen.

Probleme sind hausgemacht

Dass es Probleme in den Städten gibt, ist offensichtlich. Auch Experte Alexander Häusler bezweifelt das nicht. Allerdings bezeichnet er sie als "hausgemacht". Die Kommunen seien allein gelassen worden mit den finanziellen und sozialen Folgen der Zuwanderung. Die Unterbringung in Sammelunterkünften belaste oftmals bereits benachteiligte Stadtteile, in den Hilfs- und Betreuungsmöglichkeiten regelmäßig an ihre Grenzen stoßen. Die Elendskette verdeutlicht seiner Meinung nach eine politische Fehlentwicklung, in Folge dessen der Städtetag "dringend kurzfristige Maßnahmen" fordert.

Auf dem Rücken der Opfer

Aus dieser Situation versucht Pro NRW nun politisch Kapital zu schlagen. Kein Wunder, bietet die Diskussion doch eine ideale Projektionsfläche für rechtsextremes Gedankengut. Natürlich stehen dabei jedoch nicht politische Fehlentscheidungen oder strukturelle Ursachen im Mittelpunkt. Stattdessen setzen die Rechten auf eine einseitige Abwälzung der Probleme auf dem Rücken der Opfer. Pro NRW zieht nicht vor die Rathäuser oder Landtage, sondern vor Sammelunterkünfte, Aufnahmestellen oder Wohnhäuser von Sinti und Roma, um ihre traditionellen Feindbilder aufleben zu lassen.

Die "moderne" Rechte

Dabei gibt sich die Partei einen neuen "modernen" Anstrich, so Häusler. Sie proklamieren (!) eine Abkehr vom Faschismus und eine Abwendung vom Antisemitismus, um für potenzielle Wähler interessant zu werden. Damit besetzen sie einen neuen politischen Raum, was durchaus Sinn macht, denn in Deutschland klafft eine "rechtspopulistische Lücke".

Demnach ist hierzulande die Schere zwischen rechtem Gedankengut und Wahlverhalten am größten. Rassistische Vorurteile existieren bereits - und zwar bis weit in die Mitte der Gesellschaft. Bislang schlägt sich das aber nicht in Wahlerfolgen der rechten Parteien nieder. Häusler führt das unter anderem auf fehlende charismatische Führungspersonen und das Verhalten der Medien zurück, die rechts von der CSU keine Kräfte zulassen. Auch die deutsche Vergangenheit spiele natürlich eine Rolle. Doch eine abschließende Antwort auf diese Besonderheit gibt es ihm zufolge noch nicht.

Instrumentalisierung der Demokratie

Aus taktischen Gründen befürwortet Pro NRW auch die Mittel der direkten Demokratie, wie zum Beispiel die Volksinitiative. Dazu heißt es: "PRO NRW hat dafür beim SPD-geführten Innenministerium eine 'Volksinitiative gegen Asylmissbrauch' angemeldet und wird das weitere Vorgehen in einer Vorstandssitzung am Wochenende erläutern. Mit diesem, in der NRW-Landesverfassung verankertem Instrument, kann der Landtag von der Bevölkerung gesetzlich dazu gezwungen werden, das Thema Asylmissbrauch und konkrete Lösungsvorschläge zu behandeln." 0,5 Prozent der Wahlberechtigten müssen sich an der Volksinitiative beteiligen. Das heißt, Pro NRW muss rund 66.000 Unterschriften sammeln.

Viel Aufmerksamkeit mit wenig Aufwand

Häusler hält das für unrealistisch. Doch die Partei verfolgt mit der Kampagne sowieso andere Ziele: Zum einen geht es um Aufmerksamkeit. Mit minimalem Propaganda-Aufwand bleiben sie im Gespräch. Proteste von Gegendemonstranten sind dabei mit einkalkuliert. Gleichzeitig hoffen sie auf Synergieeffekte durch das Sammeln der Unterschriften vor Ort. Sie wollen in den besuchten Städten kommunal aktiv werden (Strategie der Regionalisierung) und können so Kontakte knüpfen und mögliche Unterstützer finden.

Vergiftetes Klima

Häusler rechnet nicht damit, dass Pro NRW bei zukünftigen Wahlen sonderlich erfolgreich sein wird. Bei den Landtagswahlen 2012 erreichte sie 1,5 Prozent. Trotzdem befürchtet der Wissenschaftler, dass sich die Bewegung auf einem bestimmten Niveau verfestigt und das Klima des interkulturellen und interreligiösen Zusammenlebens vergiftet. Die Folge könnte eine Zunahme von Alltagskonflikten sein.

Aufklärung ist das A und O

Soll man die Bewegung angesichts dessen ignorieren oder doch gegen sie demonstrieren? Wichtig ist für Häusler vor allem die Aufklärung - sowohl über die ideologischen Grundlagen der Partei als auch über die sachlichen Hintergründe, die beispielsweise hinter der Debatte über "Armutszuwanderung" stehen. Die Gefahr liegt vor allem in der Kanalisierung der Themen, denn die Vorurteilsstrukturen sind bereits vorhanden.

Es wäre deshalb fahrlässig, solchen Bewegungen eine politische Leerstelle zu überlassen. Stattdessen braucht es einen demokratischen Diskurs, um Lösungen für bestehende Probleme wie die Überlastung der Kommunen zu finden. Und nicht zuletzt sollten wir natürlich Solidarität mit den Opfern solcher Kampagnen zeigen. Sie sind es, die am meisten unter den Konsequenzen leiden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

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