Die Sache mit den Tropfen

Aktivismus Politische Bewegungen gelten schnell als gescheitert, weil sie nicht in die üblichen Kategorien passen. Warum wir uns von der Suche nach dem Erfolg verabschieden sollten.

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Es ist ein altbekanntes Spiel: Ist das Glas halb leer oder halb voll? Sollen wir uns mit kleinen Schritten zufrieden geben oder gleich aufs Ganze gehen? Vielleicht ist auch der Weg schon das Ziel? Immer wieder werden Aktivist*innen, Bewegungen und NGOs mit solchen Fragen konfrontiert. Sie sollen ihren Erfolg messen – oder auch nur die Aussicht auf Erfolg. Aber geht das überhaupt? Wie soll er denn aussehen, dieser Erfolg?

Längere Zeit habe ich mich mit diesem Thema nicht beschäftigt, aus zwei Gründen. Auf der einen Seite hatte ich genug damit zu tun, konkrete Projekte zu realisieren oder bei Aktionen präsent zu sein. Da hatte ich oft nicht den Kopf dafür, auch noch ständig die Metaebene zu bemühen, um herauszufinden, wie sinnvoll das Ganze denn nun ist. Dinge einfach zu tun – das macht nicht nur zufrieden, sondern schafft auch greifbare Veränderung.

Ein Kampf gegen Windmühlen

Auf der anderen Seite kann es auf Dauer ganz schön demotivierend sein, sich immer wieder vor Augen zu führen, wie wenig sich im Großen und Ganzen ändert, obwohl mensch sich doch tagtäglich so sehr darum bemüht. Wenn ich mich so umschaue, scheint es ein aussichtsloser Kampf gegen Windmühlen zu sein. Riesige Einkaufstüten von Primark, das ständige Gerede von Wachstum, die Abschottung an den EU-Außengrenzen, die Propaganda der neuen Rechten und die vielen Menschen, die unter bewaffneten Konflikten, Armut, Not und Krankheit leiden.

Kein Wunder, dass ich mir unter diesen Umständen anhören muss: "Das was du machst, ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein." So formulierte es zuletzt ein junger Mann, mit dem ich am vergangenen Wochenende auf der Autobahn von Dortmund nach Kassel unterwegs war. Er meinte es gar nicht abwertend und wollte sich auch nicht über mich lustig machen, im Gegenteil. In vielem stimmte er sogar mit mir überein: Dass auf der Welt einiges schief läuft, dass wir etwas ändern müssten und dass die vielen Ungerechtigkeiten eigentlich nicht länger tragbar sind. Allerdings zogen wir daraus unterschiedliche Schlüsse.

Es ist, wie es ist

Er schien zu akzeptieren, wie die Dinge laufen – selbst wenn sie es zu seinen Ungunsten tun. "Die Welt ist nun mal so", sagte er und war dabei sichtlich desillusioniert. Interessanterweise war der Ausgangspunkt unseres Gesprächs sein Job: Er arbeitet nämlich für einen großen Rüstungskonzern. Erwartungsgemäß war die Stimmung im Auto also etwas gedämpft, als klar war, welche politischen Ansichten hier zusammentrafen. Seine Rechtfertigung für die Produktion von Waffen konnte ich nicht nachvollziehen, gleichzeitig wollte ich nicht den Rest der Fahrt damit verbringen, über Waffenexporte, getötete Zivilisten und Aufrüstung zu diskutieren.

Stress mit dem Jobcenter

Nichts desto trotz kamen wir auf das Thema zurück und die Dinge stellten sich am Ende der Fahrt ein wenig anders dar. "Vielleicht kannst du mich jetzt ein bisschen besser verstehen", sagte er, nachdem er mir berichtet hatte, in welcher Situation er war, bevor er diesen Job annahm: Nach seinem Studium fand er einfach keine Stelle. Er musste sich bei Bewerbungsgesprächen demütigen lassen, weil er kein Deutscher ist. Und das Jobcenter machte ihm die Hölle heiß, wollte ihm keine Unterstützung auszahlen. "Wahrscheinlich hätte ich den Job nicht angenommen, wenn ich nicht in dieser Situation gewesen wäre", mutmaßt er heute, zumal er nun pendeln muss und seine Familie und seine Freundin nur noch am Wochenende sieht. Die Stelle ist befristet; wie es danach weitergeht, weiß er noch nicht.

Die Alternativlosigkeit lässt grüßen

Genau so soll es funktionieren: Menschen werden in Situationen gebracht, die sie dazu bringen, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun wollen. Ihre Würde wird mit Füßen getreten, damit sie Zustände akzeptieren, die ihnen eigentlich zuwider sind. Ihr Handlungsspielraum wird so sehr eingegrenzt, dass alles alternativlos erscheint: Die Welt ist, wie sie ist. Punkt. Wenn du damit nicht klarkommst, ist das dein Problem. Wenn du dich mit ihr arrangierst, hast du zumindest die Chance, glücklich und zufrieden zu werden. Wer das tatsächlich von sich behaupten kann, ist dann eine andere Frage.

Natürlich kamen wir im Laufe des Gesprächs auch auf die Kommune zu sprechen – schließlich war sie mein Grund, wieder nach Kassel zu fahren. Mein Mitfahrer war sehr interessiert am Konzept der Gemeinsamen Ökonomie und dem Alltag in der Gemeinschaft. Und ich versuchte zu erklären, wie wir uns eine Gesellschaft vorstellen: Dass wir der Überzeugung sind, dass alle Menschen selbstbestimmt und in Würde leben sollten – und nicht in Situationen wie die von ihm erlebte gebracht werden sollten. Sein Fazit: "Alles schön und gut, aber solche Projekte ändern nun mal nicht die Welt."

Mein begrenzter Wirkungsbereich

Stimmt. Aber müssen sie das? Ist das geeigneter Maßstab, den wir anlegen sollten, wenn wir überlegen, wie sinnvoll unser Handeln ist? Ich bin mir bewusst, dass mein Wirkungsbereich begrenzt ist. Trotzdem kann mich das nicht davon abhalten, ihn so gut es geht zu nutzen. Alles andere könnte ich vor mir selbst und auch vor anderen nicht verantworten. Dass ich nicht alles ändern kann, hindert mich nicht, irgendetwas zu ändern. Und was wäre die Alternative? Einfach so weiter machen wie bisher? Der Zug ist für mich abgefahren.

Und so unerreichbar die "andere Welt" an manchen Tagen auch sein mag, es gibt genauso Momente und Entwicklungen, die mich hoffen lassen. Das Glas ist eben nicht nur halb leer. Die Veränderungen, die wir in unserem eigenen Leben oder in unserem Umfeld umsetzen, zeigen, dass es anders geht. Sie sind der praktische Beweis dafür, dass Alternativen wie die Solidarökonomie oder Basisdemokratie funktionieren können - und dass wir eigene, bessere Antworten auf drängende Fragen entwickeln können.

Vor ein paar Tagen hörte ich mal wieder ein Interview über die Occupy-Bewegung, die ja einmal so vielversprechend war und dann doch gescheitert sei. Ist sie das? Wer sagt das? Und warum? Weil die Camps geräumt wurden, weil die Aktivist*innen das Finanzsystem nicht auf den Kopf gestellt haben oder weil sie nicht mehr in den Medien auftaucht?

Erfolg umdefinieren

Ich brauche nur auf die vergangenen zwei Jahre zurückzublicken, um zu wissen, dass es keinen Sinn macht, den Erfolg oder das Scheitern einer solchen Bewegung fassen zu wollen. Mein Leben sähe heute anders aus, wäre ich nicht nach Frankfurt zum ersten globalen Aktionstag gefahren. Ich hätte unzählige Menschen nicht kennengelernt, einige wichtige Erfahrungen nicht gemacht, vieles nicht gelernt und noch viel mehr gar nicht gemacht. Und so oder ähnlich erlebten es noch viele andere Menschen.

Es geht eben nicht um den einen großen Erfolg. Den zu suchen und zu fordern, heißt sich den Kategorien der herrschenden Denkmuster zu beugen. Stattdessen braucht es neue Gedankengänge, mehr Fantasie und mehr Vorstellungskraft. Dann wird vielleicht auch der Tropfen auf den heißen Stein, zum steten Tropfen, der den Stein langsam aushöhlt.

P.S. Vom 20. bis 23. November findet übrigens das Blockupy-Festival in Frankfurt statt.

Zum Weiterlesen:

Gestatten: Die Bewegung (21. Februar 2013)

Wir sind überall (21. August 2012)

Die Welt dreht sich weiter (10. August 2012)

http://vg08.met.vgwort.de/na/581e84112d084e73b9c6d26233d7eda7

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

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