Ein Leben ohne Bedingungen

Grundeinkommen Wir könnten anders arbeiten, anders konsumieren, anders leben – wenn wir uns von der Leistungsgesellschaft verabschieden und allen eine Grundversorgung ermöglichen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Während sich das Wachstumsrad weiter dreht, kommen wir unter die Räder – wusste schon Charlie Chaplin in "Modern Times"
Während sich das Wachstumsrad weiter dreht, kommen wir unter die Räder – wusste schon Charlie Chaplin in "Modern Times"

Foto: Screenshot, Youtube

Ich weiß gar nicht mehr so richtig, wie das geht: Nichts tun. Klingt doch ganz einfach. Und höre ich mich mal ein wenig um, dann scheint sich auch jede*r danach zu sehnen. Einfach mal ausspannen, ohne Stress, ohne Verpflichtungen. Der Jahresurlaub wird monatelang herbeigesehnt. Zwei Wochen am Strand. Das haben wir uns doch verdient!

Bei mir scheint da irgendwie etwas gründlich schief zu laufen. Habe ich mal einen Tag "frei", plagt mich das schlechte Gewissen. Was gibt es zu tun? Was könnte ich erledigen? Was steht schon ewig auf meiner To-Do-Liste? Ich muss dazu sagen: Ich führe kein typisches Leben. Statt regelmäßiger Arbeitszeiten, Feierabend und Urlaub ist mein Alltag vor allem von selbstorganisierter Aktivisten-Arbeit geprägt, das heißt zum Beispiel verschiedene Plena und Gruppen-Orga oder Öffentlichkeits- und Internetarbeit. Nach meinem Uni-Abschluss hab ich nun auch meinen Nebenjob aufgegeben und stecke in einer Art Übergangszeit. Über Zeitmangel kann ich mich zwar nicht beklagen, trotzdem bin ich ständig beschäftigt. Warum fällt es mir so schwer, mal abzuschalten?

Ich komme nicht umhin, über unsere Leistungsgesellschaft nachzudenken. Schon lange stelle ich sie in Frage, schon lange suche ich nach Alternativen. Denn bin ich überzeugt davon, dass sie nicht gut für uns ist. Und trotzdem muss ich immer wieder feststellen, wie sehr sie sich auch in mir selbst festgesetzt hat. Genauso wie alles, was dazu gehört: Geld, Karrieredenken, Zukunftsängste.

Spielregeln des Wachstums

Wenn es selbst mir schwer fällt, mich von solchen Kategorien zu lösen, sollte es mich eigentlich nicht wundern, dass die Maschinerie so gut funktioniert. Dass sich scheinbar die ganze Welt nur ums Geld dreht, dass die Menschen nur arbeiten, um zu konsumieren (und zwei Wochen Urlaub zu machen), dass es mitunter schwierig ist, sich gegen eine Karriere zu entscheiden. Genauso soll es sein.Wir sollen produzieren, konsumieren, Wachstum und Mehrwert schaffen. Gleichzeitig sind die Menschen zu beschäftigt (und zu besorgt), um sich um andere (wichtigere) Dinge zu kümmern.

Ich möchte dieses Spiel nicht mitspielen. Und doch kann ich nur Kompromisse machen. Denn auch eine Aktivistin muss von irgendetwas leben. Sie muss Miete bezahlen und Lebensmittel besorgen. Natürlich lassen sich die Ausgaben reduzieren. Containern gehen, in einer WG wohnen, Klamotten wenn überhaupt nur noch Second Hand kaufen, das Kulturprogramm selbst und mit Freund*innen gestalten. All das trägt ganz nebenbei auch noch dazu bei, sich dem kapitalistischen System immer weiter zu entziehen. Trotzdem lassen sich meine Ausgaben derzeit nicht auf Null reduzieren, zumindest nicht in dem Leben, das ich gerade führen möchte.

Gemeinsame Ökonomie

In naher Zukunft werde ich in eine politische Kommune ziehen, erst einmal auf Probe. Die Kommunard*innen leben eine gemeinsame Ökonomie, das heißt, alle Einkommen fließen in einen Topf. Jede*r hat Zugriff auf die Kasse, Ausgaben ab 150 Euro werden im Plenum besprochen. Im Vergleich werde ich dort wahrscheinlich günstiger leben als bisher in meiner Einzimmerwohnung. Trotzdem muss ich ein Einkommen beisteuern, in welcher Form auch immer.

Im Grunde bin ich in einer glücklichen Lage: Meine Eltern haben mich während des Studiums unterstützt, außerdem bekam ich ein Stipendium. Beschweren will und darf ich mich also nicht. Das kann mich aber nicht davon abhalten, mich mit den Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen, unter denen sehr viele Menschen zu leiden haben. So habe ich jetzt zum Beispiel eine vage Vorstellung davon, wie es ist, auf Dauer arbeitslos zu sein.

Wenn ich mir vorstelle, Woche um Woche Bewerbungen zu schreiben und Absagen zu bekommen, in denen (wie in meiner) steht, ich solle das doch bitte nicht persönlich nehmen, stellen sich mir die Nackenhaare hoch. Dass Arbeitslosigkeit psychische Probleme verursacht, steht für mich inzwischen außer Frage. Ich bin nicht in irgendeiner Notlage und merke dennoch, wie die unsichere Situation mich belastet. Wie muss es den Menschen gehen, die existenzielle Sorgen haben?

Lohnt sich Leistung?

Und dann wird ihnen auch noch eingeredet, sie seien selbst schuld. Sie wären nicht fleißig genug, nicht klug genug. Wer nicht über die Runden kommt, leistet halt zu wenig. Ist doch klar! Leistung soll sich lohnen. Womit wir wieder beim Jahresurlaub wären. Der Kreis schließt sich – und bei mir reihen sich derweil die Fragezeichen aneinander.

Es gibt offensichtliche Hinweise darauf, dass in diesem System etwas falsch läuft. Arbeitslose Menschen werden drangsaliert, obwohl es nicht so viele Stellen wie Suchende gibt. Menschen haben teilweise zwei Jobs und müssen trotzdem jeden Euro zweimal rumdrehen. Junge Menschen sind prekär beschäftigt oder hangeln sich von Praktikum zu Praktikum. Und diejenigen mit einer festen Stelle haben Angst vor dem „Abstieg“, nehmen deswegen mitunter schlechter werdende Arbeitsbedingungen in Kauf.

Es geht auch anders

Warum das alles? Wir müssten nicht auf diese Weise arbeiten. Wir müssten nicht so viel arbeiten. Wir müssten nicht auf diese Weise konsumieren. Wir müssten nicht so viel konsumieren. Und: Wir müssten nicht auf diese Weise leben.

Denn: Es ist genug für alle da. Wir sind längst in der bequemen Lage, die gesamte Erdbevölkerung zu ernähren. Der technische Fortschritt sollte uns die Arbeit abnehmen, stattdessen machen wir uns weiterhin von ihr abhängig. Wir könnten viel weniger arbeiten, ohne ein Versorgungsproblem zu haben – denn wir produzieren deutlich mehr als wir brauchen. Uns werden Bedürfnisse eingeredet, die wir eigentlich nicht haben – während andere Menschen nicht mal ihre Grundbedürfnisse erfüllen können, weil ihnen der Zugang zu den nötigen Ressourcen verwehrt wird. Wir kaufen ständig neu und schmeißen gleichzeitig zu viel weg. Während sich das Wachstumsrad weiter dreht, kommen wir unter die Räder.

Die Idee von Freiheit

Wie wohltuend ist es bei alledem solche Worte zu lesen: "Freiheit ist: nicht tun zu müssen, was man soll." Dieses Zitat von Rousseau tauchte in einem Interview mit Götz Werner auf, der Gründer der Drogeriekette dm. Er ist ein lautstarker Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) und erklärte kürzlich seinem Interviewpartner von der FAZ, wieso er diese Idee für sinnvoll hält.

Ehe der Einwand kommt: Nein, natürlich ist das BGE nicht die Antwort alle Fragen. Und es wird auch nicht all unsere Probleme lösen. Das würde nur eine größere Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse zu Kooperation, Solidarität und freiwilliger Vereinbarung. Aber das BGE stellt eine Idee in den Raum, die uns gut tun würde: Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Grundversorgung, die nicht an irgendwelche Bedingungen geknüpft ist.

Politisch nicht gewollt

Wir könnten uns diese Grundversorgung leisten. Und sie würde so unglaublich viel in Bewegung bringen - und genau deshalb hat das Konzept es in politischen Kreisen auch so schwer; die Veränderungen während weitreichend und würden womöglich einen Stein ins Rollen bringen, der die bisherigen Grundfesten unserer Gesellschaft in Frage stellt.

Es würde uns befreien, auch von Druck und Ängsten. Wir könnten bestimmen, zu welchen Bedingungen wir arbeiten wollen, weil wir eine Stelle nicht mehr um jeden Preis annehmen müssen. Gleichzeitig würde endlich all die Arbeit gewürdigt, die bisher nicht entlohnt wird, wie die Reproduktionsarbeit. Das BGE würde uns unabhängig machen und uns in die Lage versetzen, tatsächlich das zu tun, was wir wollen. Natürlich ist das eine Herausforderung, aber angesichts der heutigen Situation könnten wir nur gewinnen.

Ein Leben ohne Urlaub

Ich bin mir sicher, dass ich mit 1000 Euro im Monat nicht auf der faulen Haut liegen würde. Studieren, politische Arbeit, Volxküchen, Selbstversorgung – mir fallen genug Dinge ein, in die ich gerne mehr Zeit investieren würde. Nichts tun ist wie gesagt nicht meine Stärke. Aber vielleicht würde ich sogar das wieder lernen, wenn wir uns endlich wieder über andere Dinge definieren als nur über unsere Leistung. Und ich käme meinem Lebensziel wahrscheinlich ein gewaltiges Stück näher: so zu arbeiten, dass ich keinen Urlaub brauche.

Zum Weiterlesen:

Utopie trifft Politik (Der Freitag, 24. September 2014): Seit vielen Jahren kämpfen Aktivisten für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland. Warum setzt sich diese Idee nicht durch?

"Wir schuften uns zu Tode" (Der Freitag, 10. Mai 2014): Fast sieben Millionen Deutsche haben eine 45-Stunden-Woche. Trotz technischen Fortschritts gelingt es unserer Gesellschaft nicht, weniger zu arbeiten. Warum eigentlich?

http://vg08.met.vgwort.de/na/a7821c5b71f04f4ca87769a1f35f6275

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden