Ein Abend mit Max Uthoff

Politisches Kabarett Gesellschafts- und Kapitalismuskritik gibt es inzwischen auch als Abendunterhaltung. Doch was bleibt hängen, wenn die Vorstellung vorbei ist?

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Abendliche Unterhaltung steht heutzutage nur sehr selten im Verdacht, gesellschaftskritisch oder gar systemgefährend zu sein. Das TV-Programm, der Weihnachtsmarkt, lange Ladenöffnungszeiten – es gibt mehr als genug Alternativen, die uns davon abhalten (sollen), wichtige Fragen zu stellen. Vor allem wenn das lang ersehnte Wochenende vor der Tür steht, sind Probleme und Diskussionen nicht gefragt. Es sei denn, ich entscheide mich für einen Abend mit Max Uthoff.

Eine wirklich gute Entscheidung. Selten habe ich so viel fundierte Gesellschaftskritik gehört, sprachlich und inhaltlich auf den Punkt gebracht – und bei allem Ernst auch noch zum Schmunzeln. Vielen ist Uthoff inzwischen wohl bekannt als Gastgeber der Anstalt, eine Kabarett-Sendung im ZDF. Zusammen mit Claus von Wagner sorgt Uthoff dort in den letzten Monaten für Aufsehen, weil das Format – im Gegensatz zum Großteil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – kein Blatt mehr vor den Mund nimmt und die Dinge, die in Deutschland und der Welt schief laufen, ganz klar beim Namen nennt.

Systematisch verzerrt

Auch in Uthoffs Soloprogramm "Gegendarstellung" bleibt kein Platz für Schönfärberei oder Naivität. Er ermöglicht seinem Publikum einen klaren, fast analytischen Blick auf aktuelle Ereignisse, die im alltäglichen Politik- und Mediengeschehen oft systematisch verzerrt werden. Völlig zu Recht beginnt er seinen Auftritt deshalb mit einem Megaphon und sagt: "Wenn ich etwas nur oft genug wiederhole, wird es wahr. Wenn ich etwas nur oft genug wiederhole, wird es wahr."

Cui bono?

Umso wichtiger ist es, einen klaren Kopf zu behalten und dem eigenen Bauchgefühl zu vertrauen: Ist das wirklich so? Wer profitiert davon, dass etwas so passiert, wie es passiert? Wer möchte mir da gerade eine bestimmte Sicht der Dinge aufdrücken? Uthoff lieferte in seinem gut zweistündigen Programm so viele Beispiele, dass ich sie mir kaum alle merken konnte. Am liebsten hätte ich Stift und Papier herausgekramt, um mitzuschreiben, so viele wertvolle Gedanken hat er formuliert.

So ging es beispielsweise um den Umgang unserer Gesellschaft mit Arbeitslosen. In den letzten Jahren wurde hart daran gearbeitet, sie auszugrenzen und zu diskriminieren: Angeblich sind sie alle nur zu faul, um zu arbeiten. Sie ruhen sich in der "sozialen Hängematte" unseres Sozialsystems aus, während andere sich krumm machen. Und vor allem: Sie sind selbst schuld, wenn sie ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen.

Ganz klar und deutlich sprach Uthoff sich gegen diese Pauschalisierungen aus und machte stattdessen darauf aufmerksam, was sie bewirken sollen: Entsolidarisierung und soziale Segregation. Denn wenn ein System nicht mehr funktioniert, dieses System aber nicht in Frage gestellt werden soll, braucht es Feindbilder. Und diese Feindbilder heißen heute wahlweise Hartz-IV-Empfänger oder Wirtschaftsflüchtling.

Nationalismus bedeutet Abwertung

Was mich gleich zur nächsten Aussage führt, die mir nach diesem Abend im Kopf geblieben ist: "Es gibt keinen positiven Patriotismus." Patriotismus ist Nationalismus und basiert als solcher darauf, Grenzen zu ziehen und Bewertungen vorzunehmen. Er lebt von der Abwertung anderer Bevölkerungsgruppen. Und dafür braucht es nicht einmal die Demonstrationen von Pegida und Co. – schlimm genug, dass es die gibt! Dafür reicht auch schon eine Weltmeisterschaft.

Meine Nacherzählung wird dem Auftritt von Uthoff natürlich nicht gerecht. Es braucht wahrscheinlich das Original, um meine Begeisterung wirklich nachzuvollziehen. Abgesehen davon wurde mir am nächsten Tag noch etwas anderes klar: Es geht gar nicht darum, einen Kabarettisten zum neuen Heilsprediger auszurufen. Niemand hat etwas davon, wenn ich nun einfach nachplappere, was Max Uthoff an diesem Abend zum Besten gab – so gut es auch gewesen sein mag. Vielmehr geht es darum, wieder selbst anzufangen, Fragen zu stellen und es nicht länger zuzulassen, dass irgendwelche Tatsachen geschaffen werden, die zum Himmel schreien und trotzdem von niemandem mehr hinterfragt werden.

"Radikale" Ansätze

Ich frage mich, welchen Eindruck der Abend bei den anderen Menschen im Publikum hinterlassen hat. Denn das Programm war im Grunde ziemlich radikal – zumindest wenn mensch den weit verbreiteten bürgerlichen Maßstab anlegt. Viele politische Gruppen und Aktivisten kämpfen genau gegen die Missstände, die Uthoff auf die Bühne brachte. Doch sie ernten nicht halb so viel Applaus wie er. Stattdessen heißt es: "Die Welt ist eben so!" oder „Das, was ihr fordert, ist doch nicht realistisch!" oder eben "Das ist mir zu radikal!"

Dieser Abend macht aber eins deutlich: Was wir wollen, ist eben nicht radikal. Wir wollen ein gerechtes Gesellschaftssystem. Wir wollen, dass jeder Mensch ein Leben in Würde führen kann. Wir wollen, dass die Reichtümer der Welt gerecht verteilt werden. Und wir wollen ohne jegliche Form von Herrschaft leben. Max Uthoff fasst das in seiner Selbstbeschreibung so zusammen:

"Seit 2007 versuche ich nun das kapitalistische System mit den Mittel der Satire aus den Angeln zu heben. Nichts weniger als eine Umwälzung, eine Revolution, an deren Ende ein gerechtes Gesellschaftssystem und Friede, Freude und Eierkuchen für alle stehen."

Das Publikum in Kassel war bunt gemischt. Vom Studenten über die Rentnerin bis zum Beamten war wohl alles dabei. Da stellte sich natürlich die Frage: Die sind doch nicht alle "radikal"? Aber finden die das trotzdem gut, was der Uthoff sagt? Es gab auf jeden Fall tosenden Applaus, von allen Seiten. Was sagt uns das?

Unterschiedliche Konsequenzen

Mir kommen bei der Frage verschiedene Szenarien in den Sinn: Viele gehen nach Hause, legen sich ins Bett und leben am nächsten Tag weiter, als wäre nicht gewesen. Sie waren im Kabarett. Nicht mehr und nicht weniger. Das war Unterhaltung, kritisch zwar, aber doch irgendwie nicht die Realität. Dass die Welt nicht wirklich gut ist, ist ihnen wahrscheinlich klar. Aber so ist das Leben. Und vor allem: Was kann der Einzelne schon dagegen tun?

Andere gehen nach Hause und sind sich vielleicht nicht sicher, ob sie fröhlich oder traurig sein sollen – so wie ich. Fröhlich ob der tollen Darbietung und der vielen ehrlichen Worten, die ich da gerade gehört habe. Traurig ob der Dinge, die leider gar nicht zum Lachen sind: Armut, Fremdenhass, Waffenexporte, Postdemokratie. Wieder mal wurden mir die vielen Gründe in Erinnerung gerufen, warum ich politisch aktiv bin – und sein muss. Und irgendwie hat der Abend mir auch das Gefühl gegeben, dass ich nicht alleine dastehe mit meinen Fragen und meiner Meinung. Es muss doch etwas heißen, wenn Menschen applaudieren, weil jemand öffentlich Partei ergreift für Arbeitslose und Geflüchtete.

Einen Stein ins Rollen gebracht

Wieder andere gehen nach Hause und denken: Scheiße, der Typ hat Recht. Was geht hier eigentlich vor? Das kann doch nicht die Wahrheit sein! Bei ihnen ist ein Stein ins Rollen gekommen – wie auch immer der aussehen mag. Vielleicht fangen sie an, alternative Medien zu nutzen (wie Uthoff am Ende empfohlen hat). Vielleicht sehen sie plötzlich Missstände in ihrer unmittelbaren Umgebung und versuchen, etwas dagegen zu tun. Vielleicht lassen sie sich nicht mehr so leicht einlullen von Politikern und Mainstream-Journalisten. Und vielleicht spielen sie das ganze Spiel irgendwann nicht mehr mit.

Wäre, hätte, könnte. Natürlich sind das alles Mutmaßungen. Nichts desto trotz habe ich eine gute Entscheidung getroffen, als ich die Tickets für Max Uthoffs "Gegendarstellung" bestellt habe. Auf dem Weg zur Umwälzung, zur Revolution können wir solche Formen der Abendunterhaltung ganz wunderbar gebrauchen – sowohl für uns ganz persönlich als auch als Kollektiv. Also bitte mehr davon!http://vg08.met.vgwort.de/na/6f41ea0322da41dcba98d966c7d816f7

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

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