Eine andere Zeitzone

Kommune Der gemeinsame Einkauf beschäftigt unsere Gemeinschaft schon seit einigen Monaten. Warum ich lernen muss, dass wichtige Entscheidungen eben ihre Zeit brauchen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Geduld gehört nicht unbedingt zu meinen Stärken. Ich mag es, wenn Dinge erledigt sind und ich wieder einen Punkt auf meiner To-Do-Liste abhaken kann. Das klingt irgendwie spießig und allzu strebsam. Aber wer hat eigentlich gesagt, dass es cool sei, Aufgaben erst auf den letzten Drücker zu erledigen?! Nichts desto trotz gibt es Angelegenheiten, die ihre Zeit brauchen – ob ich das gut finde oder nicht. Und es gibt Orte, da ticken die Uhren einfach anders…

Ich sitze in unserer WG-Küche und trinke heißen Tee. Hinter mir liegt ein langes Plenum, bei dem es darum ging, den gemeinsamen Einkauf unserer Kommune neu zu diskutieren: Wo kaufen wir ein? Was? Wie oft? Und wie viel Geld wollen wir ausgeben? Fragen über Fragen. Im Januar haben wir uns ein ganzes Wochenende intensiv mit unserem individuellen und kollektiven Konsumverhalten beschäftigt. Daraus sind viele Ideen entstanden, was wir ändern könnten. Besser geht es fast immer. Mensch müsste mal…

Anspruch und Wirklichkeit

Seit der Intensivzeit sind inzwischen drei Monate vergangen. Nun steht also die konkrete Debatte an. Zusammen mit meiner Mitbewohnerin bereite ich das Plenum vor. Alle Kommunard*innen sollen vorher einen kurzen Fragebogen ausfüllen, damit wir einen Überblick bekommen, welche Bedürfnisse es gibt und welche Kriterien uns beim Einkauf am wichtigsten sind.

In unserem Selbstverständnis steht unter anderem, dass wir Produkte aus regionalem, fairem Handel, ökologischem Landbau und solidarischer Landwirtschaft bevorzugen und unseren Konsum kritischen reflektieren. Klingt gut, oder? Als ich das Selbstverständnis zum ersten Mal las, ahnte ich noch nicht, wie viel Energie es braucht, diesen Ansprüchen auch gerecht zu werden – zumal spätestens seit der Intensivzeit noch einige hinzugekommen sind.

Kollektivbetrieb statt Großhandel

So steht zum Beispiel die Entscheidung an, ob wir unsere Lebensmittel in Zukunft über einen Mitgliederladen beziehen wollen. Die befreundete Kommune Lossehof betreibt in Oberkaufungen einen solchen Kollektivbetrieb. Die Mitarbeiter*innen organisieren sich selbst, ohne Chef und im Konsens. Sie verdienen alle das gleiche bzw. wirtschaften in eine gemeinsame Kasse. Die Mitglieder bezahlen einen monatlichen Beitrag, der den Ladenbetrieb (z.B. Miete, Löhne) sicherstellt. Dafür bekommen sie die biologischen, fair gehandelten und regionalen Produkte zum Selbstkostenpreis.

Natürlich stehen uns solche Projekte sehr viel näher als der normale Einzelhandel, der auf kapitalistischen Prinzipien aufbaut. Solidarökonomie ist für uns die konkrete Alternative zu Ausbeutung, rücksichtsloser Profitmaximierung und Wachstumszwang. Trotzdem muss die Entscheidung diskutiert werden: Welche zusätzlichen Kosten entstehen durch den Wechsel zum Mitgliederladen? Können wir den Transport der Lebensmittel vernünftig organisieren (der Laden ist über zehn Kilometer entfernt)? Oder gäbe es noch gute Alternativen in der Stadt?

Kein endgültiges Ergebnis

Unsere Einkaufsliste ist lang. Selbst wenn wir uns für den Mitgliederladen entscheiden, gibt es noch zahlreiche andere Baustellen: Getränke, Reinigungsmittel, Frischwaren, Brot, Klopapier und so weiter. Könnten wir uns wohl auf eine eine Zahnpasta einigen, die wir dann auch gemeinsam in größeren Packungen bestellen? Wäre es nicht toll, Seife von einer besetzten Fabrik in Griechenland zu beziehen? Wie wäre es mit Honig von einem regionalen Imkerkollektiv? Und wer hat Lust, sich jede Woche beim Foodsharing zu engagieren? Trotz guter Vorbereitung schaffen wir es nicht, die gesamte Liste der Einkäufe im Plenum zu besprechen – geschweige denn eine endgültige Entscheidung zu treffen.

Dementsprechend fühlt sich der Abend für mich eher unbefriedigend an. Aber bin ich tatsächlich davon ausgegangen, dass wir einfach Punkt für Punkt abhaken und zufrieden ins Bett gehen? Das wäre doch unrealistisch. Trotzdem habe ich das Gefühl, erst jetzt käme die wirkliche Arbeit. Vor allem brauchen wir mehr Infos über den Mitgliederladen und mögliche Alternativen. Beim nächsten Treffen in zwei Wochen werden wir dann den Rest der Liste abarbeiten. Und währenddessen tickt meine innere Uhr, ich werde ungeduldig.

Gut Ding will Weile haben

Überrascht stelle ich am nächsten Tag fest, dass ich mit der Situation schon besser zurechtkomme. Und ich höre die Worte von meinen Kommunard*innen: Das sind wichtige und große Entscheidungen, die auf langfristige Veränderungen abzielen. Also nichts überstürzen! Der bisherige Umgang mit dem Einkauf hat sich über Monate und Jahre entwickelt, es sind (gute und schlechte) Gewohnheiten entstanden. Die ändern sich nicht so mir nichts, dir nichts.

Zudem besteht kein akuter Handlungsbedarf. Ja, wir können sicher vieles verbessern, aber dabei kommt es nicht auf ein paar Wochen an. Der Austausch und die Diskussion über unsere Bedürfnisse und unsere Prioritäten sollten Vorrgang haben vor unausgegorenen Entscheidungen. Konsens braucht seine Zeit – dafür tragen am Ende auch alle die Vereinbarung mit und setzen sie mit Überzeugung um.

Zusätzliche Arbeit

Ganz abgesehen von den langwierigen gemeinsamen Prozessen sind solche Projekte oft zusätzliche Arbeit. Die Einzelnen oder die Kleingruppe, die sich mit dem Thema beschäftigten, müssen sich neben ihren sonstigen Verpflichtungen die Zeit dafür nehmen, Termine abzustimmen, Recherche zu betreiben und sich Gedanken zu machen. Sie entscheiden sich dafür, weil ihnen das Thema am Herzen liegt und sie Spaß daran haben. Trotzdem kann der Alltag das Ganze hinauszögern.

Mit der Aussicht auf ein gutes Ergebnis kann ich dem ganzen Einkaufsprojekt nun leichter die nötige Zeit einräumen. Auch wenn es für mich wirklich eine Herausforderung ist, abzuwarten und Pläne immer wieder umzuschmeißen, weil neue Ideen, Kritikpunkte und Informationen hinzukommen. Wie gesagt, ich hake Dinge gerne als erledigt ab – am liebsten so schnell wie möglich. Aber wenn ich mir vorstelle, dass wir dafür schon bald einen großen Schritt tun, was unseren gemeinsamen Konsum angeht, ist es die Mühe wert.

Kein “perfekter” Konsum

Ich sehe unsere Vorratskammer vor mir: Unten stehen die Kisten von der Solidarischen Landwirtschaft mit frisch geerntetem Bio-Gemüse aus der Region, das uns die Kommunard*innen aus Escherode und Niederkaufungen jede Woche vorbeibringen. Gleich darüber stehen alle nötigen Zutaten für ein selbst gebackenes Brot. Im Herbst gibt es Saft von der Interkomm-Mosterei. Und die übrigen Produkte sind nachhaltig und fair produziert, nicht zu Lasten von Mensch und Natur. Kompromisse werden wir zwar immer eingehen müssen, den “perfekten” Konsum gibt es (noch) nicht. Aber wir können uns annähern und dabei regionale und solidarische Strukturen jenseits des Marktes stärken.

Dafür braucht es Zeit. Leichter und schneller ginge es sicherlich, wenn wir alle paar Tage mit einer ellenlangen Wunschliste in den nächstbesten Supermarkt fahren würden, um möglichst günstig unsere Speisekammer aufzufüllen. Aber die realen Kosten eines solchen Einkaufs sind uns zu hoch. Sie sind nicht vertretbar. Und deshalb bin ich froh, dass zumindest hier die Uhren schon anders ticken. Irgendwo muss die Veränderung beginnen.

http://vg06.met.vgwort.de/na/a9099cf4d529462ba931483ec8fe96dd

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden