Eine bewusste Entscheidung

Alternativen Gemeinsame Ökonomie, Konsens und gewaltfreie Kommunikation: Warum ich das Leben in einer politischen Kommune ausprobiere und was ich mir davon verspreche.

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Ich musste viele Fragen beantworten in letzter Zeit: Was ist denn eine Kommune? Hast du noch ein eigenes Zimmer? Wie viele Menschen leben dort? Und wie funktioniert denn bitte gemeinsame Ökonomie? Meistens konnte ich relativ fundiert antworten, schließlich hatte ich mich mit dem Thema schon eine Weile auseinandergesetzt. Und schließlich stand nun mein Umzug in eine solche Kommune an – da sollte ich schon ein wenig Bescheid wissen über die Rahmenbedingungen. Eine Frage hörte ich allerdings kaum: Warum machst du das? Dabei ist das doch vielleicht die wichtigste aller Fragen...

Wahrscheinlich überraschte es die meisten meiner Gesprächspartner einfach nicht, dass ich von meiner Einzimmerwohnung in Dortmund nun in eine Stadtkommune in Kassel ziehe. Da ich schon seit längerem politisch aktiv bin und Dinge oft ein wenig anders mache, war es vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis auch meine Wohnsituation zur Debatte stand. Dabei es geht bei meiner Entscheidung bei weitem nicht nur um gemeinsamen Wohnraum, um das Teilen von Küche und Bad oder um WG-Parties.

Kein Feierabend für den Aktivismus

Für mich bedeutet das Leben in einer Kommune vor allem, die politischen Prinzipien, die ich für richtig und wichtig halte, auch in meinem eigenen Zuhause umzusetzen. Mein Aktivismus soll nicht vor meiner Haustür Feierabend machen. In den letzten Jahren habe ich viele kleine und große Dinge geändert, sei es mein Einkaufs- und Konsumverhalten, meine Freizeitgestaltung, meine Strategien der politischen Arbeit oder auch meine Art zu kommunizieren.

Vor knapp zwei Jahren bin ich in meine erste eigene Wohnung gezogen – und das sehr bewusst. Ich brauchte meine eigenen vier Wände, einen Raum für mich, meine Ruhe. Vielleicht gerade wegen der vielen Veränderungen, die vorher und währenddessen von statten gingen. Inzwischen aber bin ich an einen Punkt gekommen, an dem ich weiter gehen möchte. Ich habe fundiertere Ansichten, ich habe Wünsche und Visionen. Gleichzeitig bin ich neugierig und möchte mich weiterentwickeln – im Kontakt mit anderen.

Neue Herausforderungen

Eine politische Kommune scheint mir der richtige Weg zu sein, um mich und mein Leben voranzubringen. Sie gibt mir die Möglichkeit, inmitten des kapitalistischen Systems eine Alternative auszuprobieren und aufzubauen, die zeigt, wie ein Zusammenleben jenseits von Leistungsdruck, Konkurrenz und Anonymität aussehen kann. In den politischen Gruppen, in denen ich bisher aktiv war, beschränkte sich der Aktivismus auf bestimmte Zeiten, Orte und Aufgaben.

In der Kommune bin ich dagegen mit neuen (alltäglichen) Herausforderungen konfrontiert, sowohl was den Kontakt mit anderen als auch die Selbstreflexion angeht. Konnte ich Problemen im Umsonstladen-Kollektiv zum Beispiel noch relativ gut aus dem Weg gehen und sie verdrängen, muss ich mich in der Kommune aktiv mit ihnen auseinandersetzen. Das mag nervenaufreibender und anstrengender sein, auf lange Sicht werden mich die Lösungen aber sicher zufriedener machen.

Zwischen dem Ich und dem Wir

Viel stärker als vorher werde ich mit meinen eigenen Denkmustern konfrontiert werden. Klar, auch ich bin auf bestimmte Weise sozialisiert worden. Doch in meiner eigenen Wohnung, mit meinem sehr autonomen Lebensrhythmus sind mir diese Strukturen wahrscheinlich nicht so sehr vor Augen geführt worden. Durch die anderen Kommunard*innen lerne ich nicht nur mich selbst besser kennen, sondern entdecke auch, was für mich ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Ich und dem Wir sein kann. Ich bin gespannt, wie sich dieser Prozess in den nächsten Wochen entwickelt. Es wird mir sicherlich nicht an Beispielen mangeln, um meine obigen Gedanken zu konkretisieren.

Ich denke da zum Beispiel an das Thema Leistung, das in meinem Leben seit jeher ziemlich präsent ist: Welche Erwartungen habe ich an mich selbst? Haben die anderen Kommunard*innen bestimmte Erwartungen an mich und wenn ja, welche? In welche Bereiche der Kommune möchte ich mich einbringen? Wie viel Zeit brauche ich für mich? Und schaffe ich es, dabei nicht wieder unter die Räder zu kommen vor lauter Tatendrang und Verpflichtungen? Es wäre nicht das erste Mal...

Gemeinsame Standpunkte

Inzwischen bin ich bereit und habe Lust, mir solche Fragen zu stellen. Wahrscheinlich wird der ein oder andere schwierige Moment auf mich warten, vielleicht sogar schmerzhafte Erkenntnisse und Arbeit an mir selbst. Aber ich bin mir sicher, dass es sich lohnt. Denn vor allem habe ich mich dafür entschieden, dass Kommune-Leben auszuprobieren, weil ich mit Menschen gemeinsam aktiv sein kann. Menschen, die viele meiner Standpunkte teilen. Die zum Beispiel das kapitalistische System für schädlich halten und der festen Überzeugung sind, dass es so nicht weitergehen kann.

Ich kann lernen, was es heißt, wirklich solidarisch zu sein, Menschen zu akzeptieren, wie sie sind und Konflikte gewaltfrei zu lösen. Ich kann meinen Teil dazu beitragen, eine Gesellschaft ohne Hierarchie und Herrschaft zu organisieren und Entscheidungen so zu treffen, dass niemand übergangen wird.

Einen Platz finden

Und: Ich kann von meinen Kommunard*innen lernen. Die meisten sind einige Jahre älter als ich und haben ein großes Maß an Kommune- und Lebenserfahrung. Gleichzeitig freue ich mich darauf, meine eigenen Ideen und neue Impulse einzubringen, für die es vielleicht gerade eine 24-jährige Aktivistin wie mich braucht. Es wäre schön, hier in Kassel (oder in einer ähnlichen Kommune) einen, meinen Platz zu finden. Auch wenn ich dafür ein paar Dinge aufgeben musste, Projekte in Dortmund, viele Kontakte und Netzwerke, Infokanäle und Anknüpfungspunkte – sie gehen nicht ganz verloren. Und meist finden sich in der neuen Stadt doch recht schnell neue Strukturen, in die mensch sich einbringen kann.

Um auf die Fragen zu Beginn des Textes zurückzukommen: Die werde ich im Laufe der nächsten Wochen beantworten. Wie gesagt, an konkreten Beispielen wird es sicher nicht fehlen. Wer sich schon vorher einen ersten Eindruck verschaffen will, kann sich die folgenden Links anschauen. Sollten dabei noch anderen Fragen auftauchen – gerne per Kommentar oder Mail bemerkbar machen. Schließlich geht es doch irgendwie genau darum: Endlich die richtigen Fragen zu stellen...

Weiterführende Links:

Villa Locomuna in Kassel

Kommuja - Netzwerk politischer Kommunenhttp://vg08.met.vgwort.de/na/596cdeb0c71244a2b40a6f16882e6e2c

http://vg08.met.vgwort.de/na/270b8300486449e9a8d923fdd8d7e9cb

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

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