Gemeinsam ackern

Alternativen Regional, ökologisch und nachhaltig – das Konzept der solidarischen Landwirtschaft setzt auf verschiedenen Ebenen an, um Probleme der globalisierten Wirtschaft zu lösen.

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Jedes Mal fühle ich mich aufs Neue erschlagen: diese riesige Auswahl, die vielen Kisten, die großen Angebotsschilder. Geht es hier wirklich noch um Lebensmittel? Um unsere Ernährung? Um Natur? Ich befürchte nicht. Wie so viele unserer Bedürfnisse gehorcht auch unsere Versorgung mit frischem Obst und Gemüse inzwischen den Gesetzen des Marktes.

Die Äpfel aus Neuseeland, die eingeschweißten Bio-Gurken aus Spanien und die verzehrfertige Salatmischung im Kühlregal sollen uns nicht satt und gesund halten, sie sollen vor allem Geld einbringen. Die Folgen für Umwelt, Erzeuger*innen und Konsument*innen werden bewusst ausgeklammert, schließlich könnten sie uns dazu bringen, unseren Einkaufswagen nicht ganz so voll zu packen und stattdessen über sinnvolle Alternativen nachzudenken.

Solidarität in der Landwirtschaft

Eine davon erfreut sich in Deutschland seit einigen Jahren wachsender Beliebtheit: die solidarische Landwirtschaft. Überall gründen sich neue Initiativen, die gemeinsam ein anderes Konzept der Erzeugung und Vermarktung von regionalen und saisonalen Produkten umsetzen - und damit ein erfolgreiches Gegenmodell zum Preiskampf der Discounter und zur globalisierten Fremdversorgung aufbauen.

In Dortmund konnte ich die Gründung einer Solawi-Gemeinschaft selbst miterleben. Ein paar Menschen taten sich zusammen, weil sie die Idee der solidarischen Landwirtschaft toll fanden. Sie überlegten, welche Möglichkeiten es in Dortmund geben könnte und stießen mehr zufällig auf einen jungen Landwirt, der Interesse an einer Zusammenarbeit hatte. Nach einigen Monaten der gemeinsamen Vorbereitung fand im März 2014 die Gründungsveranstaltung statt. Inzwischen ist also ein halbes Jahr vergangen - und in meinem Kühlschrank liegt seitdem jede Woche frisches Bio-Gemüse von Dortmunder Feldern.

Geteiltes Risiko

Wie konnte das funktionieren? Im Mittelpunkt der Solawi steht die Gemeinschaft zwischen Verbraucher*innen und Erzeuger*innen. Die Mitglieder zahlen einen monatlichen Beitrag und sichern so das Einkommen des Landwirts oder Gärtners. Zu Beginn des Wirtschaftsjahres wird errechnet, welche Ausgaben und wie viele Arbeitsstunden auf ihn zukommen. Das hängt natürlich auch von der Menge an Gemüse an, die angebaut werden soll.

Die Summe wird wiederum geteilt durch die Zahl der Mitglieder - so entsteht ein Richtwert, an dem sich der monatliche Beitrag orientiert. Im Idealfall bezahlt jede*r so viel, wie er kann, das heißt Besserverdienende steuern mehr bei als zum Beispiel Student*innen oder Arbeitssuchende. So wird jedem Menschen die Möglichkeit gegeben, einen Teil der Ernte zu bekommen, unabhängig von seiner aktuellen Lebenssituation.

Existenz ist gesichert

Die Solidarität der Gemeinschaft gilt aber natürlich nicht nur den Mitgliedern, sondern auch dem Erzeuger oder der Erzeugerin. Sie werden finanziell abgesichert und sind somit unabhängig von den Schwankungen des Marktes. Sie sind nicht gezwungen, ihr Gemüse an Großhändler zu verkaufen und sich einen Preis diktieren zu lassen, der ihnen möglicherweise sogar Verluste einbringt. Gleichzeitig sind ihre Existenzen nicht direkt bedroht, sollte die Ernte nicht wie geplant ausfallen.

Für die Verbraucher*innen heißt das auch, sie nehmen das, was kommt. Ihr Mitgliedsbeitrag bezieht sich nicht auf bestimmte Produkte oder Mengen, stattdessen sichern sie den Betrieb und bekommen dafür regionales, saisonales Bio-Gemüse. Die Vorteile liegen auf der Hand: Ich weiß nicht nur, wo und von wem mein Salat angebaut wurde, sondern auch unter welchen Bedingungen. Und gleichzeitig lerne ich dazu: Wann wird welches Gemüse geerntet? Warum wachsen Tomaten besser in einem Folientunnel? Und wie kann ich große Mengen an Gemüse verarbeiten und haltbar machen?

Neues Bewusstsein für Lebensmittel

Natürlich ist es ein Unterschied, in den Supermarkt zu gehen und zu kaufen, worauf ich gerade Lust habe oder jeden Freitag meine Gemüsekiste abzuholen und dann zu überlegen, was ich damit anstellen kann. Auch wenn es mitunter mehr Arbeit ist (zum Beispiel weil ich die Möhren erst noch ordentlich abschrubben muss), entsteht so ein ganz anderes Bewusstsein für die Produktion von Lebensmitteln.

Plötzlich verstehe ich, warum es nicht so viele Tomaten gibt: Es war ihnen einfach zu kalt und zu nass. Im Supermarkt erfahre ich so etwas nicht. Vielleicht wundere ich mich nur - wenn überhaupt - über den höheren Preis. Während dort alle Möhren gleich aussehen, bekomme ich vom Hof auch ein paar krumme und zu klein geratene Exemplare, die ein anderer Landwirt hätte wegschmeißen müssen, weil sie nicht der Norm entsprechen und es deshalb nicht ins Supermarktregal schaffen.

Gemeinschaft leben

Dort sieht zwar alles sehr ordentlich und ansprechend aus, aber welche Arbeit dahinter steckt, bleibt im Dunkeln. Wer hingegen selbst mal Gemüse gepflanzt oder Unkraut gejätet hat, der weiß, welchen Wert so ein Gemüsekorb eigentlich hat. Mithilfe ist in vielen Solawis nicht nur möglich, sondern ausdrücklich erwünscht. Und gemeinsame Aktionen beschränken sich nicht nur auf den Acker: Oft wird Gemüse auch gemeinsam verarbeitet, Rezepte werden ausgetauscht und Feste organisiert. Es geht eben nicht nur um den Austausch von Tauschmitteln, sondern um den gesamten Prozess: das Wirtschaftsjahr gemeinsam planen, gemeinsame Entscheidungen treffen, gemeinsam ackern, gemeinsam ernten und gemeinsam konsumieren.

Klar, irgendwie ist es toll, eine große Auswahl zu haben. Immer das zu bekommen, was ich gerade will - aber brauche ich das wirklich? Und vor allem: Will ich wirklich den hohen Preis dafür bezahlen, der sich in den konventionellen Produkten verbirgt? Der Einkauf im Supermarkt mag billiger sein, in Wirklichkeit aber kommt er uns teurer zu stehen. Denn die Massenproduktion, die vielen und weiten Transportwege, der Einsatz von Chemikalien, die Dumpingpreise sorgen dafür, dass Mensch und Natur ausgebeutet werden und die kleinbäuerliche Landwirtschaft keine Chance mehr hat. Dabei ist sie es, die die weltweite Nahrungssicherheit gewährleistet bzw. gewährleisten könnte, wenn wir sie fördern würden.

Mit diesem Wissen verzichtete ich im Winter gerne mal auf Paprika und versuche mich stattdessen an einem neuen Rezept für rote Beete. Denn dieses ungute Gefühl in der Gemüseabteilung des Supermarkts verdirbt mir inzwischen den Appetit. Die Dortmunder Solawi hingegen hat mich auf einen anderen Geschmack gebracht.

Weiterführende Links:

Solawi Dortmund

Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

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