Grenzen überwinden: Der Protest gegen die IMK

Demonstration Rund 3000 Menschen haben in Köln ein Zeichen gegen die Innenpolitik der Länder gesetzt - und dem Einzelhandel das Weihnachtsgeschäft verhagelt. Das nenne ich Erfolg.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Nach dem Rechtsstreit um die NO IMK-Demo in Köln hatte ich einiges erwartet, als ich mich am Wochenende auf den Weg nach NRW machte. Aber entgegen der vielen Befürchtungen wurde die Veranstaltung ein voller Erfolg: Die rund 3000 Demonstrant*innen konnten beinahe ungestört ihrer geplanten Route durch die Innenstadt folgen, eine Gegendemo von HoGeSa-Anhängern wurde verboten und der Einzelhandel ärgert sich über Umsatzeinbußen am Nikolaustag.

"Linken-Demo verärgert Kölner Einzelhändler", so titelte unter anderem die Bild am Tag nach der Demonstration - und ich bin zufrieden: Wir konnten nicht nur unseren politischen Protest gegen die Innenministerkonferenz auf die Straße tragen, sondern gleichzeitig auch noch dem weihnachtlichen Konsumterror einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen: "Selten war die Innenstadt an einem Samstag im Advent so leer."

Weihnachtsgeschäft bedroht

"Die genehmigte Route hätte für den Einzelhandel und die Köln-Besucher kaum schlechter sein können", schreibt auch der Kölner Express. Deshalb hatte der Einzelhandel auch in der vergangenen Woche vergeblich versucht, die Demonstration zu verhindern. Jörg Hamel, der Geschäftsführer des Einzelhandels- und Dienstleistungsverbandes Aachen-Düren-Köln, hatte mit Verweis auf das Weihnachtsgeschäft öffentlich ein Verbot der Demo durch die NRW-Minister für Wirtschaft und Inneres gefordert.

Zunächst sah es so aus, als hätte der Vorstoß Erfolg. Die Polizei machte den Anmelder*innen zahlreiche Auflagen, unter anderem sollten sie sich auf eine Standkundgebung beschränken. Als Begründung wurden Sicherheitsbedenken, zwei der teilnehmenden Gruppen wurden als gewaltbereit eingestuft. Auch ein Vertrauensverhältnis zu den Veranstaltern sei nicht gewährleistet, so die Polizei. Das Demo-Bündnis reichte daraufhin Klage ein – und das Verwaltungsgericht bestätigte einen Tag vor der Demo die ursprüngliche Route und hob das polizeiliche Verbot auf.

Es geht nicht um Besinnlichkeit

Schon allein der Versuch des Einzelhandels, auf das Versammlungsrecht einzuwirken, war ein Skandal. Doch die dahinter stehende Haltung, dass Kapitalinteressen wichtiger seien als demokratische Rechte, ist leider keine neue Entwicklung. Besonders "gut" gefiel mir in diesem Zusammenhang das Zitat einer Kölner Geschäftsfrau: "Nichts gegen demokratische Freiheiten, aber doch keine Demo an einem der umsatzträchtigsten Tage des Jahres." (Bild)

Nein, natürlich nicht! Wie kommen wir nur auf eine so wahnwitzige Idee? Am zweiten Adventswochenende, am Nikolaustag, da hat Politik (und erst recht Protest gegen die solche) nichts in der Öffentlichkeit zu suchen. Und dabei geht es noch nicht mal um Besinnlichkeit – die sucht mensch auf Weihnachtsmärkten doch inzwischen vergebens. Nein, es soll fleißig konsumiert und heile Welt gespielt werden, damit die Kassen klingeln. Vor lauter Glühwein und Bratwurst sollen die Menschen vergessen, dass die Welt keine andere ist, nur weil Weihnachten vor der Tür steht.

Umgang mit Geflüchteten

In dieser Woche wird in Köln die Herbstkonferenz der Innenminister stattfinden. Unter anderem steht die Aufnahme, Verteilung, Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen auf der Tagesordnung. Erst vor kurzem hat der Bundesrat einem neuen Asylkompromiss zugestimmt, mit dem Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Somit können Asylanträge von Menschen aus diesen Staaten ohne weitere Bearbeitung abgelehnt werden.

Schon vor diesem Beschluss war es in Deutschland so gut wie unmöglich, Asyl zu bekommen – dank der Drittstaatenregelung. Nun trifft es vor allem Sinti und Roma, die keine Chance mehr haben, der systematischen Diskriminierung in ihren Herkunftsländern zu entkommen.

Systematische Abschottung

Winfried Kretschmann, seines Zeichens grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg, stimmte diesem Kompromiss entgegen der Meinung seiner Partei zu und musste sich dafür (völlig zu recht) viel Kritik anhören. Er rechtfertigte seine Entscheidung mit den Verbesserungen für Asylbewerber*innen, die im Gegenzug ebenfalls beschlossen wurden: So wird die Residenzpflicht gelockert und die Arbeitsaufnahme soll erleichtert werden.

Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Geflüchtete in Deutschland weiterhin unter unwürdigen Bedingungen leben müssen – und die BRD sich systematisch abschottet gegen Menschen, die hier auf ein besseres Leben hoffen.

Genau gegen diese Politik richtete sich die Demo in Köln. Sie kritisierte in ihrem Aufruf unter anderem den Aufbau einer "Festung Europa" als menschenverachtende Praxis, die rassistische Politik durch "Racial Profiling" und die tägliche Abschiebungspraxis. Die Demonstrant*innen forderten stattdessen eine menschenwürdige Versorgung von Geflüchteten. Gleichzeitig erklärten sie sich solidarisch mit linken türkischen und kurdischen Organisationen, die vom deutschen Staat verboten und verfolgt werden, obwohl sie (z.B. in Rojava) für ein solidarisches und basisdemokratisches Gesellschaftskonzept kämpfen.

Provokationen der Polizei

Unter den insgesamt rund 3000 Demonstrant*innen fanden sich unterschiedliche Gruppen zusammen: so gab es zum Beispiel einen antirassistischen Block, einen antinationalen und antiautoritären Block und auch Parteien beteiligten sich. Sie traten dementsprechend unterschiedlich auf, sorgten aber gemeinsam für einen kraftvollen und lauten Demozug, der knapp drei Stunden in der Innenstadt unterwegs war. Die Polizei war erwartungsgemäß sehr präsent und filmte die Demoteilnehmer*innen massenweise ab. Nach einer Soli-Aktion wurden ungefähr 30 Menschen von der Polizei festgehalten und offenbar mit Schlagstöcken verletzt.

Nichts desto trotz erreichte der Demozug den Ort der Abschlusskundgebung. Zwischenzeitlich hatte ich damit nicht mehr gerechnet. Als einige Polizisten ihre Helme aufsetzten und sich die Stimmung spürbar aufheizte, war ich fast sicher, dass sie uns aufhalten würden. Schließlich hätte es den Behörden gut in den Kram gepasst, wenn sich das angebliche "Gefahrenpotenzial" in "gewaltsamen Ausschreitungen" bestätigt hätte – und die Stimmen von Polizei und Einzelhandel Recht behalten hätten. Stattdessen ist von einer friedlichen Demonstration die Rede, das befürchtete Chaos sei ausgeblieben. Dass in der Berichterstattung über die äußeren Umstände, den Ablauf und die Sorgen der Geschäftsleute die inhaltlichen Aussagen der Demo untergehen, ist zwar nichts Neues. Aber die Welt ist eben noch keine andere – auch wenn Weihnachten vor der Tür steht.http://vg08.met.vgwort.de/na/713d5562d7c64dafa6544b9221f0c18a

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden