Hinein ins Feindgebiet

Antikapitalismus Den Gegner kennen, um ihn zu besiegen: Warum ich mir nun sogar an der Uni die Spielregeln unseres Wirtschaftssystems erklären lasse.

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Hätte mir vor ein, zwei Jahren jemand gesagt, dass ich mal mit über 300 Leuten in einem Hörsaal sitze und mir erklären lasse, wie unser Wirtschaftssystem funktioniert - ich hätte wohl kräftig mit dem Kopf geschüttelt. Inzwischen habe ich mich aber tatsächlich ins Feindgebiet begeben und mich für einen Studiengang der Wirtschaftswissenschaften eingeschrieben. Es gibt Dinge, die ändern sich.

Leider gibt es nämlich auch Dinge, die ändern sich nicht: die so genannte Erfolgsgeschichte des Kapitalismus zum Beispiel oder das Märchen von grenzenlosem Wachstum. Sie sind präsenter denn je, obwohl sich doch die Anzeichen häufen, dass mit diesen Konzepten irgendetwas nicht stimmen kann. Sei es die Angst vor Ressourcenmangel, die Folgen der Umweltzerstörung und des Klimawandels oder die berühmte Schere zwischen Arm und Reich, die sich immer weiter öffnet – es läuft nicht wirklich gut, oder? Und tatsächlich beginnen sich mehr Menschen zu fragen, ob unser Wirtschaftssystem seine Versprechen wirklich einlösen kann oder ob wir vielleicht doch einen anderen Weg einschlagen sollten.

Alternativen aufbauen

So schreibt Michael Jäger zum Beispiel in der aktuellen Ausgabe des Freitag (42/2014):

"Wenn es nur darum gehen sollte, die Reichtumsschere abzuschaffen, und nicht auch deren Ursache, den Wachstumszwang, wird sich die Ungerechtigkeit immer wieder neu reproduzieren. Man könnte die Geschichte der Bundesrepublik ja auch so erzählen: Zunächst ist das Kapital nur in dem Maße gewachsen, wie es die Umstände im Wirtschaftswunderland ermöglicht und erfordert haben. Das aber hatte ein Ende. Und da hätte man den Kapitalismus beenden sollen." (mit Bezug auf Thomas Piketty, dessen Buch Capital in the Twenty-First Century jetzt auch auf Deutsch erschienen ist)

Für mich steht außer Frage, dass wir wirtschaftliche Alternativen entwickeln und aufbauen müssen, wenn wir eine Welt anstreben, in der alle Menschen in Würde und Frieden gemeinsam leben können. Doch das ist leichter gesagt, als getan. An Ideen und Möglichkeiten mangelt es nicht (exemplarisch sei hier nur auf die Postwachstumsökonomie oder auf die Solidarökonomie verwiesen) und an vielen Orten werden diese Konzepte bereits in die Tat umgesetzt. Die Menschen stoßen dabei aber immer wieder und oft zu schnell an bestimmte Grenzen. Denn "der Gegner" – wenn wir ihn so nennen wollen – ist scheinbar allgegenwärtig.

Wer ist der Gegner?

Es ist schwierig, ihn konkret zu benennen. Es reicht nicht, mit dem Finger auf "die bösen Unternehmer" oder "die Kapitalisten" zu zeigen. Kritik auf persönlicher Ebene geht in die falsche Richtung. Denn – und das wurde auch häufig im Zuge der Finanzkrise von 2007 angemerkt – es liegt nicht nur am Fehlverhalten einzelner Menschen, dass der Kapitalismus nicht funktioniert.

Die Fehler liegen in ihm selbst begründet, in seinen Grundannahmen und an seiner Funktionsweise. Trotzdem ist er im Laufe des letzten Jahrhunderts zu einer unumstößlichen und scheinbar naturgegebenen Macht geworden, die ihre ganz eigene Dynamik entwickelt hat. Andere Ideen haben es schwer. Nicht nur weil sie von den Profiteur*innen bewusst unterdrückt werden, sondern auch weil sie Meinungen, Verhalten und Strukturen aufbrechen müssen, die über Generationen hinweg etabliert wurden. Bezeichnenderweise lese ich in der gleichen Freitag-Ausgabe denn auch diese Überschrift:

"Was nicht sein darf, gibt es nicht" (Michael Krätke über die kriselnde Welt-Konjunktur).

Wir sind die Experten

Und genau das möchte ich verstehen. Ich möchte herausfinden, wie dieses perfide Spiel funktioniert, welche Spielregeln es gibt und wer mitspielt. Interessiert habe ich mich dafür schon seit längerem, aber selbst bei regelmäßiger Lektüre von kapitalismuskritischen Artikeln und Büchern blieben immer noch Fragen offen. Warum also nicht gleich die selbst ernannten "Expert*innen" befragen? Glauben sie wirklich, was sie lehren? Und welche stichhaltigen Argumente können wir ins Feld führen, um ihnen den Wind aus Segeln zu nehmen?

Wirtschaft ist kein Teufelswerk. Sie ist seit jeher Teil unseres Lebens und gehört zu unseren sozialen Beziehungen. Wir selbst können und sollten bestimmen, wie wir wirtschaften und damit auch wie wir miteinander leben wollen. Dafür braucht es keine "Expert*innen" und keine "Wirtschaftsweisen". Wir sollten die Demut vor ihnen ablegen und uns wieder trauen, die richtigen Fragen zu stellen. Denn ich bin überzeugt, dass unser Bauchgefühl mitunter die besseren Entscheidungen trifft als unser Kopf, der jeden Tag mit Leitsätzen des Kapitalismus bombardiert wird: Immer mehr! Immer weiter! Immer besser!

Das stellte übrigens auch schon Margit Kennedy fest, eine Architektin und Ökologin, die es tatsächlich wagte, unser Geldsystem zu kritisieren.

Mein Bauchgefühl sagt mir schon seit langem: Wir müssen etwas ändern – und zwar so schnell wie möglich. Im Kleinen funktioniert das mitunter schon ganz gut, aber es braucht Ausdauer. Und vielleicht braucht es auch mehr Menschen, die sich der öffentlichen Debatte stellen und lautstark hinterfragen, was da tagtäglich proklamiert wird. Dann werden hoffentlich auch viele andere in ihrem unguten Gefühl bestärkt und merken, dass sie nicht alleine sind. Die Fragen, die sie sich seit langem stellen, bekommen plötzlich einen Sinn. Angst vor Arbeitslosigkeit, Leistungsdruck, Einsamkeit, Krankheit und soziale Probleme könnten aus einer anderen Perspektive als nur der persönlichen betrachtet werden.

Das System enttarnen

Ich möchte mir nicht länger sagen lassen, ich hätte keine Ahnung und solle deshalb den Mund halten. Ich möchte etwas in der Hinterhand haben, wenn ich diskutiere. Ich möchte vorbereitet sein, wenn ich die Chance habe, dem System seine Maske vom Gesicht zu reißen. Vielleicht bringt mich das Studium diesem Ziel ein wenig näher. Ich bin gespannt, was mich erwartet – und ob ich in ein, zwei Jahren vielleicht doch kräftig den Kopf schüttele.http://vg08.met.vgwort.de/na/a6526ae68afc4522a3bb123b44206900

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

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