Männliche* Dominanz: Was geht mich das an?

Sexismus Die meisten Linken verstehen sich als antisexistisch. Das heißt aber noch lange nicht, dass es in ihren politischen Projekten keine männlichen Dominanzstrukturen gibt

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Männliche* Dominanz: Was geht mich das an?

Foto: Majid Saeedi/Getty Images

Die Situation ereignete sich im letzten Semester. Ich saß in einem Tutorium, wartete auf den Beginn der Veranstaltung. Dann setzte sich ein Typ neben mich: groß, durchtrainiert. Viele würden ihn wohl als ziemlich attraktiv beschreiben – dem gängigen Schönheitsideal zufolge. Er sah mich nicht an und er sagte auch nichts. Und trotzdem war ich plötzlich eine andere. Ich fühlte mich klein, schwach, unterlegen. Normalerweise meldete ich mich in diesem Tutorium relativ häufig, dieses Mal gab ich keinen Ton von mir. Was war passiert?

Bis heute kann ich mir meine Gefühle und mein Verhalten nicht so richtig erklären. Und doch erntete ich kräftiges Kopfnicken, als ich vor kurzem bei einem Workshop von meinem Erlebnis berichtete. Es ging um männliche Dominanzverhältnisse, vor allem in linkspolitischen Projekten. Und es nickten nicht nur die Frau* in meiner Kleingruppe, auch die beiden Männer* konnten offenbar nachvollziehen, was sich in mir abgespielt hatte. Und das bestärkte ich mich in der Überzeugung, dass es nicht nur mein Problem ist, wenn so etwas passiert.

Es liegt nicht nur an mir und meinem Ego, wenn ich mich von der bloßen Anwesenheit eines Kerl einschüchtern lasse. Ich selbst würde mich nicht unbedingt als schüchtern oder zurückhaltend beschreiben, und solche Situationen erlebe ich nicht jeden Tag. Umso mehr hat mich diese Erfahrung im Nachhinein beschäftigt.

Die Machtstruktur Sexismus

Zu Beginn des Workshops fragten wir uns: Was sind eigentlich männliche Dominanzstrukturen? Wir bemerkten, dass sich der Ausdruck in drei Teile gliedern lässt:

  1. Es geht um männlich gelesene Personen, vorwiegend um Cis-Männer, deren biologisch und soziales Geschlecht übereinstimmen.
  2. Diese Menschen üben eine Dominanz aus, z.B. in Form eines bestimmten Diskussionsverhaltens, einer ihnen zugeschriebenen Kompetenz oder wiederkehrenden ähnlichen Aufgabenbereichen.
  3. Diese Dominanz beschränkt sich nicht auf eine individuelle Ebene, sondern wird von Strukturen aufrecht erhalten und verstärkt. Das können Gewohnheiten und Traditionen sein, Normen und Verhaltensregeln, aber auch institutionelle Strukturen wie Gesetze.

Diese seien untrennbar verbunden mit der Machtstruktur Sexismus, ergänzte die Referentin. Diese Machtstruktur unterteilte sie grob und vereinfacht in vier Prozesse: Die Unterteilung der Gesellschaft in Gruppen (hier entlang von Gender), die Zuschreibungen von bestimmten Eigenschaften und Rollen sowie eine Hierarchisierung dieser Zuschreibungen. Männliche und weibliche Rollen stehen demnach nie gleichwertig nebeneinander. Diese Hierarchie wird mit Macht durchgesetzt – und zwar auf allen Ebenen.

Handlungsspielräume schaffen und nutzen

https://dasmaedchenimpark.files.wordpress.com/2015/10/wo-sind-mc3a4nnliche-dominanzverhc3a4ltnisse.jpg?w=660So viel zur Theorie. Doch wie wird das nun in unserem (politischen) Alltag deutlich? Und was können wir dagegen tun? Mit diesen Fragen beschäftigten wir uns in Kleingruppen, nachdem wir gesammelt hatten, an welchen Orten uns männliche Dominanzstrukturen begegnen. Genannt wurden neben Arbeitsstelle, Uni und Schule auch die Familie, der Freundeskreis, Beziehungen sowie politische Gruppen, Plena und Hausprojekte – im Grunde also überall.

Meine Anekdote hatte nicht wirklich etwas mit politischen Zusammenhängen zu tun, trotzdem wollte ich sie loswerden. Denn hin und wieder kommt es vor, dass ich mich in Situationen unwohl fühle und nicht genau sagen kann, woran es liegt. Ich merke, dass es etwas mit den (männlichen) Personen zu tun hat, die mich umgeben. Aber ich kann nicht benennen, was das Problem ist. Fühle ich mich gedrängt zu einem bestimmten Verhalten? Halte ich meine Meinung zurück? Verstelle ich mich? Warum fühle ich mich unterlegen oder weniger wichtig?

Natürlich haben solche Fragen eine ganz individuelle Komponente. Jede*r erlebt Erlebnisse auf seine eigene Weise und jede*r geht anders mit ihnen um. Und dennoch interessiert mich die Frage: Welchen Einfluss hat der größere Zusammenhang auf mein eigenes Leben? Welche makrosozialen Strukturen bestimmen mein eigenes Verhalten? Und möchte ich daran etwas ändern?

Reflexion in linken Politgruppen

In unserer Kleingruppe beschäftigten wir uns mit der Frage, welche Möglichkeiten es gibt, in einer Politgruppen Raum für die Reflexion von (männlichen) Dominanzstrukturen zu schaffen. Insbesondere wenn die Gruppe sich selbst als antisexistisch versteht und der Überzeugung ist, dass diskriminierende Strukturen bei ihr von vorneherein keinen Platz haben. Awareness? Das haben wir doch gar nicht nötig!

https://dasmaedchenimpark.files.wordpress.com/2015/10/interventionen-plena.jpg?w=243&h=300Von wegen. Es zeigte sich, dass auch und gerade in linken Gruppen eine Reflexion wichtig und richtig ist, schließlich wollen die meisten ihren gesellschaftspolitischen Anspruch auch im eigenen Leben erfüllen. Wie können sie also zum Beispiel gegen Rassismus auf die Straße gehen und ignorieren, dass Sexismus in ihrer Gruppe regelmäßig stattfindet. Um diese Notwendigkeit deutlich zu machen, kamen wir auf ein rotierendes System von “Beauftragten”, die in den Plena der Gruppe auf sexistisches und dominierendes Verhalten achten. Im Idealfall übernehmen eine Frau* und ein Mann* gemeinsam diese Rollen und berichten im nächsten Plenum von ihren Beobachtungen. So kann ein Raum geschaffen werden, in dem Probleme angesprochen und diskutiert werden.

Nicht für andere sprechen

Wichtig wäre allerdings, dass die Beauftragten darauf achten, nur von sich und ihren Eindrücken zu sprechen. Es soll nicht darum gehen, für andere Personen das Wort zu ergreifen oder ihnen irgendwelche Gefühle zuzuschreiben, die sie vielleicht gar nicht haben. Sie sollen vielmehr in die Lage versetzt werden, sich selbst zu äußern, wenn sie das Bedürfnis haben. Die Rotation der Beauftragten würde dafür sorgen, dass jede*r einmal seine subjektive Sicht einbringt. Natürlich muss die Gruppe sich zuvor einig darüber sein, ein solches System einzurichten. Dafür braucht es einen Konsens, dass es sich lohnt, einen kritischen Blick auf die eigenen Strukturen zu werfen und sich mit den Ergebnissen auch zu beschäftigen.

Eine andere Möglichkeit, die die Referentin einbrachte, was die Etablierung von FLTI-Räumen (FrauenLesbenTransIntersex). Eine Gruppe in Berlin hat zum Beispiel ein eigenes Plenum für alle, die sich als Frau verstehen, das genauso entscheidungsbefugt ist wie das gesamte Plenum. Demgegenüber steht ein Männer*-Bru(n)ch, der von den übrigen Menschen initiiert wurde, um über die eigene Rolle zu reflektieren. Beide Gruppen machen ihre Ergebnisse jeweils transparent.

Gleichberechtigte Kultur bei Demonstrationen

Die anderen Kleingruppen beschäftigten sich unter anderem mit der Frage, wie eine Demokultur aussehen kann, in der alle Inhalte gleichberechtigt nebeneinander stehen, also z.B. antisexistische und antirassistische Themen. Die Teilnehmer*innen betonten aus eigener Erfahrung, wie wichtig die Kommunikation im Vorfeld einer Demo ist, die Transparenz über die Ziele und die Vorteile einer längerfristigen Bündnisarbeit.

https://dasmaedchenimpark.files.wordpress.com/2015/10/interventionen-demokultur.jpg?w=246&h=300Die Frage, die sich die Organisator*innen stellen sollten: Was können wir tun, damit sich alle Menschen auf der Demo mit ihren Anliegen wiederfinden? Hilfreich wäre eine heterogene Orga-Struktur und Awareness-Strukturen auch während der Veranstaltung. Ein weiterer Vorschlag war das Empowerment von bestimmten Menschen durch die Bildung eines eigenen Blocks, der die Demo auch anführen kann, zum Beispiel einen Frauen/Lesben/Trans-Block.

Was heißt schon “normal”?

Neben den konkreten Ideen, die ich aus dem Workshop mitnahm, fand ich es sehr bereichernd, mich mit den anderen Teilnehmer*innen auszutauschen – auch über ganz alltägliche Dinge. Ich merke, dass ich manche Dinge einfach als gegeben hin- oder erst gar nicht wahrnehme, einfach weil so normal erscheinen. Aber was heißt schon normal? In einer Vorlesung zum Thema Geschlechterverhältnisse fragte die Professorin vor kurzem: Wie natürlich ist es, die Menschen nach ihrem Geschlecht zu unterteilen? Warum nicht nach der Schuhgröße? Das ist schließlich auch ein biologisches Merkmal. Natürlich war die Frage zugespitzt und ironisch, aber sie hat nicht Unrecht.

Auf jeden Fall möchte ich mich weiter mit solchen Fragen beschäftigen und in meinem Alltag eine Sensibilität entwickeln für Situationen, in denen mich sexistische Machtstrukturen beeinflussen. Und selbst wenn ich nicht immer selbst betroffen bin, heißt das nicht, dass ich mich zurücklehnen kann. Diskriminierung, Machtverhältnisse und Privilegien gehen uns alle an und jede*r hat eine Verantwortung sie zu thematisieren. Unabhängig davon, wo, wann und mit wem.

Zum Weiterlesen:

Sexismus und “linke Szene” (Autonomes FrauenLesbenReferat der Uni Köln)

Antisexismus (Unabhängiges Redaxkollektiv Antisexismusbroschüre, Wien)

qrew Kassel (queere Polit-Gruppe)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

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