Mogelpackung "Fair Trade"

Ethischer Konsum Fairer Handel verbessert nicht die Welt - im Gegenteil. Er gaukelt dem Verbraucher eine Macht vor, die er nicht hat. Und spielt dem globalen Kapital damit in die Hände.

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Mogelpackung "Fair Trade"

Foto: Transfair e.V.

Es kann so einfach sein, ein guter Mensch zu sein – wenn man es sich leisten kann. Immer mehr Supermärkte bieten fair gehandelte Produkte an: Ob Kaffee, Schokoladen oder Blumen – meistens finden sich in der schier unendlichen Auswahl auch Waren mit dem entsprechenden Siegel. Sie kosten zwar ein paar Euro mehr. Aber hey, das ist es mir doch wert. Der Gedanke an Kinder auf Kakao-Plantagen in Westafrika macht mir ein schlechtes Gewissen, das ich mit dem Griff zur teureren Variante leicht besänftigen kann.

Die Qual der Wahl

Auch wenn ich mich immer noch schlecht fühle, überhaupt Geld in Supermärkten auszugeben und damit ein zerstörerisches System zu unterstützen, habe ich doch ein wenig Widerstand geleistet. Ich habe meine Macht als Konsument genutzt, um den fiesen multinationalen Konzernen mal zu zeigen, was ich von ihren Ausbeutungsstrategien halte. Ich habe die Wahl – und ich habe sie getroffen.

Zum Scheitern verurteilt

Schade nur, dass meine Entscheidung das globale Kapital nicht im Geringsten interessiert. Im Gegenteil. Es freut sich, weil ich davon überzeugt bin, die Welt zu verbessern, während im Grunde alles beim Alten bleibt. Mein Gerechtigkeitsempfinden hat seinen Ausdruck gefunden, ohne den globalen Konzernen in irgendeiner Weise gefährlich zu werden. So soll es sein.

Und genau hier liegt auch der Grund, warum die Ideen von "ethischem Konsum" oder "Fair Trade" zum Scheitern verurteilen sind. Auch wenn es schwer fällt, sich von dieser relativ bequemen Form des Protests zu verabschieden, ist die Wahrheit unausweichlich: Fairer Handel ist nicht die richtige Antwort auf den globalen Kapitalismus.

"Fair Trade" ist beliebt

Warum das so ist, wurde mir zuletzt bei einem Vortrag des "Gegenstandpunkt"-Verlages vor Augen geführt. In zwei Teilen behandelten die beiden Referenten zunächst die Strukturen der globalen Marktwirtschaft und die ihr zugrunde liegenden Machtstrukturen. Anschließend ging es um die Rolle des Konsumenten, der aufgefordert ist, durch sein Verhalten das Marktgeschehen und die Produktion zu beeinflussen.

Das Kulturcafé der Ruhr-Universität Bochum war gut besucht – die Plätze reichten für die rund 150 Zuhörer kaum aus. Kein Wunder, denn immer mehr Menschen beginnen, ihren Konsum zu hinterfragen und suchen nach Alternativen. Und wie ich oben bereits angedeutet habe: "Fair Trade" ist beliebt. Das zeigen auch die neusten Zahlen: Mehr als 500 Millionen Euro gaben die Deutschen für entsprechende Produkte aus, so viel wie nie zuvor.

Reines Wunschdenken

Dass die Veranstaltung demgegenüber aber eine so kritische Haltung einnahm, hatten viele wahrscheinlich nicht erwartet. Der ein oder andere fühlte sich im Anschluss wohl ziemlich desillusioniert. Doch trotzdem sollte uns die Wahrheit lieber sein als eine Wunschvorstellung, die uns zwar in Zufriedenheit wiegt, uns aber gleichzeitig davon abhält, wirklich etwas zu ändern.

Regelmäßige Skandale

Wie also sieht sie aus, die Wahrheit? Befürworter und Unterstützer eines ethischen Konsums ziehen die falschen Schlüsse aus den Bedingungen der globalen Marktwirtschaft und setzen deshalb an der falschen Stelle an, um sie zu verändern. Für sie ist der Ausgangspunkt die Empörung über die miesen Arbeitsbedingungen in der so genannten Dritten Welt. Der Brand in einer Textilfabrik in Bangladesch ist nur das jüngste Beispiel. In trauriger Regelmäßigkeit erfahren wir, die vermeintliche Wohlstandsgesellschaft des Westens, von solchen Skandalen – sei es in den Coltan-Minen in Afrika, in Apple-Fabriken in Asien oder in Schlachtbetrieben in Osteuropa.

Moralische Verwerfung

Verantwortlich gemacht wird dafür der ungerechte Unternehmer. Die Missstände werden dargestellt als eine (einmalige) moralische Verwerfung eines ansonsten gut funktionierenden Systems. So lautet denn auch die typische Frage: Warum zahlt ein Unternehmen keine gerechten Löhne, obwohl es doch Jahr für Jahr exorbitante Gewinne einstreicht? Warum behandelt es seine Mitarbeiter so schlecht, obwohl sie die Produktion garantieren?

Die Ausbeutung hat System

Hier wird ein kausaler Zusammenhang hergestellt, der in der Realität nicht existiert. Das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Lohnabhängigem ist kein gegenseitiges Geben und Nehmen. Im Arbeitsverhältnis ist keine Fürsorgepflicht seitens des Unternehmens für die Mitarbeiter enthalten. Das einzige Ziel lautet: Gewinn erwirtschaften. Und deshalb muss es richtig heißen: Das Unternehmen streicht Jahr für Jahr exorbitante Gewinne ein, gerade weil es keine gerechten Löhne zahlt und seine Mitarbeiter schlecht behandelt. Ausbeutung ist systemimmanent und keine moralische Verwerfung.

Falscher Adressat

Doch aufbauend auf diesem falschem Schluss richten sich "Fair Trade"- Kampagnen an Politik und Verbraucher. Während erstere aufgefordert ist, die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus durch Gesetze zu verhindern, wird letzterer bei seiner persönlichen Verantwortung gepackt. Sein Einkauf sei eine permanente Abstimmung, bei der er sich für den "besseren" und "gerechteren" Anbieter entscheiden kann.

Damit soll Druck auf die "schwarzen Schafe" ausgeübt werden – schließlich wollen sie ihre Produkte auch weiterhin gewinnbringend verkaufen. Gleichzeitig wird der Verbraucher zum neuen Schuldigen. Entscheidet er sich falsch und kauft das von Kinderhänden produzierte Billg-Shirt, ist er nichts anderes als ein Nutznießer, der von den Machenschaften der Konzerne profitiert.

Konsummacht ist Illusion

Diese Argumentation hat allerdings einen großen Haken: Der Konsument hat keine Macht. Zum einen hat der Verzicht natürliche Grenzen. Wir sind auf Konsum angewiesen, weil unsere Wirtschaft auf Fremdversorgung basiert. Zum anderen müssten die Unterschiede zwischen den einzelnen Unternehmen tatsächlich sichtbar sein. Und selbst wenn sie das sind und ich mich bewusst für ein bestimmtes Produkt entscheide, wandert der Gewinn lediglich zu einem anderen Unternehmen.

Gewinnstreben bleibt unangetastet

Die Gewinnorientierung wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt – genauso wie die Produktionsbedingungen im Kapitalismus. Der Gewinn soll nur auf etwas humanere Weise erwirtschaftet werden. Die Kaffeebauern erhalten möglicherweise einen höheren Lohn für ihre Arbeit, doch an der grundsätzlichen Ausbeutung ändert sich nichts. Die Forderungen werden dabei meist so weit heruntergeschraubt (z.B. auf ein existenzielles Minimum), dass sie mit dem Gewinnstreben weiterhin vereinbar sind.

Keine Entscheidungsfreiheit

Nur weil der Kaufakt des Konsumenten Gewinn erst möglich macht, heißt das nicht, dass er auch die Macht hat, Einfluss zu nehmen. Er entscheidet zum Beispiel nicht, welche Produkte überhaupt angeboten werden – das tun die Konzerne. So ist unsere "Auswahl" von vorneherein begrenzt. Gleichzeitig bestimmen die Arbeitgeber mit den gezahlten Löhnen auch die Kaufkraft der Konsumenten. Sinkt die Kaufkraft, setzen die Unternehmen auf Billigangebote, um auch die geringste Zahlungsfähigkeit auszunutzen. Zwei-Euro-Klamotten gibt es nicht, weil die Verbraucher sie sich gewünscht oder gar ein entsprechenden Bedürfnis hatten.

Lohnarbeit als Privileg

Wir müssen konsumieren. Um konsumieren zu können, brauchen wir Geld. Und um Geld zu haben, müssen wir einer Lohnarbeit nachgehen. Wir sind abhängig. Das gilt hier (Stichwort: wachsendes Prekariat) wie auch in den Entwicklungsländern. Einziger Unterschied: Die Menschen dort werden nicht nur ausgebeutet, sondern sind obendrein ausgeschlossen vom Konsum. Lohnarbeit ist dort oft ein seltenes Privileg, was unter anderem der Überbevölkerung geschuldet ist. Armut wird zur Geschäftsbedingung und existentielle Not zur Grundlage für Erpressung.

Zusammenhänge verschleiert

Mit der Forderung, verantwortungsbewusst und ethisch zu konsumieren, werden diese Zusammenhänge verschleiert. Die Schuld wird auf den Verbraucher abgeschoben, während die grundlegenden Strukturen des Systems zur Freude des Kapitals nicht angetastet werden. So wird die Macht der globalen Konzerne stabilisiert, anstatt sie zu brechen. Den Menschen wird vorgegaukelt, sie könnten etwas ändern, obwohl sie regelmäßig enttäuscht werden. Sie stecken mitunter viel Energie in ein ehrenwertes Ziel, doch dieses Potenzial läuft ins Leere. Was bleibt, sind häufig Schuldgefühle und Frustration.

Doch was ist die Alternative? Spontan fällt mir dazu ein Satz aus dem Aufruf des „Euromayday Ruhr“ ein.

"Um es kurz zu machen: Weil Kapitalismus immer noch scheiße ist."

Klingt banal, ist aber so. Und deshalb ist es nötig, seine Funktionsweise zu entlarven und deutlich zu machen, dass die Lohnabhängigen in Europa, Amerika, Asien, Lateinamerika und Afrika alle im gleichen Boot sitzen. Sie leiden unter denselben Strukturen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.

Anstatt dem hiesigen Verbraucher zu erzählen, er könne mit fair gehandelten Bananen die Welt retten, müssen Wege für ein neues Wirtschaftssystem gefunden werden. Vor allem lokal bieten sich dafür bereits Ansatzpunkte. Die Menschen müssen nicht in ihrer Rolle des Konsumenten, sondern des Lohnabhängigen aktiv werden. Das klingt leichter gesagt, als getan. Aber Einsicht ist der erste Weg zur Besserung…

P.S. Ja, ich gebe zu: Ich habe erst diese Woche fair gehandelten Kaffee gekauft. Ist das nun schlecht? Ich bin mir nicht sicher. Im Moment ist es wohl das kleinere Übel auf einem noch langen Weg… aber ich arbeite dran.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

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