Tag der Wahrheit

Fernsehkritik Ein Atomkraftwerk in Frankreich wird besetzt, um vertuschte Zwischenfälle an die Öffentlichkeit zu bringen. Das ist mehr als nur Fiktion und Unterhaltung

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Tag der Wahrheit

Foto: KENZO TRIBOUILLARD/AFP/Getty Images

Netter Fernsehabend gefällig? Sehr oft nehme ich dieses Angebot nicht wahr, vor allem wenn ich nicht genau weiß, was ich anschauen möchte. Zu groß ist die Gefahr, dass ich nur irgendeinen Blödsinn zu sehen bekomme, der mich mehr aufregt als entspannt. Beim letzten Mal stand aber ein recht vielversprechender Film auf dem Programm: ein Politthriller, der sich mit dem Thema Atomenergie beschäftigt. Kann mensch ja mal machen, oder?

Ironischerweise ließ ich für den Film "Tag der Wahrheit" meinen Laptop ruhen. Eigentlich wollte ich noch einen neuen Artikel für den Blog schreiben, aber mir fehlte die nötige Konzentration. Also kam mir die Aussicht auf die Couch in unserem Fernsehzimmer recht gelegen. Dass sich just durch diese Entscheidung ein neues Thema auftun würde, war ein unerhoffter und willkommener Nebeneffekt.

Wir befinden uns in Frankreich, genauer gesagt in einem französischen Atomkraftwerk nahe der deutschen Grenze. Ein Mann verschafft sich Zutritt und bringt den Reaktor unter seine Kontrolle. Er ist perfekt vorbereitet, er hat das Ganze seit geraumer Zeit geplant. Vor zwei Jahren starb seine Tochter an Leukämie, an der sie erkrankt war, nachdem sie eben dieses Kraftwerk mit einer Besuchergruppe betreten hatte. Ihr Vater, der damals selbst dort arbeitete, leidet nun auch an Krebs.

Vertuschte Zwischenfälle

Während des Besuchs gab es einen Zwischenfall, bei dem eine beträchtliche Menge an Radioaktivität ausgetrat – und die Besucher verstrahlte, ohne dass sie darüber informiert wurden. Und dieser Störfall war beileibe nicht der einzige: Es gibt eine ganze Liste von Zwischenfällen, die nicht ordnungsgemäß gemeldet und veröffentlicht wurden, damit das Kraftwerk weiterhin am Netz bleiben konnte. Die verantwortlichen Politiker und der Betreiber zogen an einem Strang, um die Vorkommnisse gemeinsam zu vertuschen.

Die Wahrheit ans Licht bringen

Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, den Mann, der diese Wahrheit ans Licht bringen möchte, als "Terroristen" zu bezeichnen. Die wahre Gefahr ist nicht er, sondern das Atomkraftwerk. Natürlich ist der Weg, den er wählt, nicht der richtige, weil er damit Millionen anderer Menschen gefährdet: Er droht, den Kühlkreislauf des Kraftwerks unwiderruflich außer Kraft zu setzen, wodurch eine Kernschmelze nicht mehr verhindert werden könnte.

Seine Forderung ist eine Pressekonferenz mit dem AKW-Betreiber, dem französischen Energieminister und dem Strahlenschutzbeauftragten. Dieser ist allerdings am Tag zuvor tot aufgefunden worden; er hat sich selbst erschossen. Allerdings nicht ohne zuvor ein ausführliches Geständnis aufzuzeichnen - nun der einzige Beweis für die verheimlichten Zwischenfälle.

Skandalöse Vorgeschichte

Ginge es nach den Verantwortlichen aus Politik und Atomlobby, sollen diese Geheimnisse auch weiterhin unter Verschluss bleiben. Sie wollen, dass der "Attentäter" überwältigt wird – und würden dafür auch gewaltige Kollateralschäden in Kauf nehmen. Besonders amüsant (wenn ich das bei diesem Thema überhaupt so nennen kann) ist der PR-Stratege, der dafür sorgt, dass der Energieminister und der AKW-Betreiber für alle möglichen Fälle die richtige Erklärung parat haben und sich im rechten Licht präsentieren können. Die Schuld trägt in jedem Fall der böse "Terrorist". Natürlich handelt dieser unverantwortlich – aber nichts desto trotz ist dies alles nur möglich aufgrund der skandalösen Vorgeschichte.

Überrascht mich das? Nein. Noch während des Films wird mir klar: Das Ganze ist nicht besonders unrealistisch. Ich kann mir gut vorstellen, dass es im wahren Leben genauso laufen würde bzw. schon genauso läuft. Daten werden gefälscht, Gefahren bewusst ignoriert und verharmlost, Profit ist wichtiger als Sicherheit. Solange die PR-Strategie und die Bezahlung stimmt, gibt es keine Probleme. Dass es sich bei der Atomenergie um eine kaum kontrollierbare Technologie handelt, die das Leben und das Wohlergehen von Milliarden Menschen gefährdet, steht im Grunde außer Frage. Doch diese Tatsache wird geschickt aus der Öffentlichkeit verdrängt, genauso wie die ungeklärte Frage nach der Entsorgung der vielen Tonnen radioaktiven Mülls.

Bevölkerung befürwortet Atomausstieg

Im Jahr 2009 sprachen sich laut einer Forsa-Umfrage zwei Drittel der deutschen Bevölkerung dafür aus, den beschlossenen Atomausstieg beizubehalten oder sogar noch zu beschleunigen. Seit dem Beschluss im Jahr 2000 waren zwei AKWs abgeschaltet worden. Doch schon im nächsten Jahr verabschiedete die Politik eine Laufzeitverlängerung – ganz im Sinne der Atomwirtschaft. So erhielten die sieben vor 1980 in Betrieb gegangenen Anlagen zusätzliche acht Betriebsjahre, die übrigen zehn Atomkraftwerke zusätzliche 14 Jahre.

Erst nach dem Unglück in Fukushima im März 2011 geriet die Politik unter Druck. Bis 2022 soll nun der stufenweise Ausstieg aus der Atomenergie abgeschlossen sein. Acht Kernreaktoren verloren noch im im Jahr 2011 ihre Betriebserlaubnis. 80 Prozent der Bevölkerung befürworteten den Ausstieg.

Klagen gegen die Bundesregierung

Die Energiekonzerne waren davon naturgemäß weniger begeistert – und verklagten die Bundesregierung kurzerhand. Vattenfall und Eon fordern vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) eine Entschädigung für die Kosten, die ihnen der Atomausstieg verursacht. Zusammen klagen sie auf über sechs Milliarden Euro. Und selbst wenn es dazu nicht kommt: Allein die Prozesse werden schätzungsweise rund neun Millionen Euro kosten.

All das ist mehr als zynisch – und trotzdem genauso geschehen. Dabei gibt es in Deutschland eine starke Anti-Atom-Bewegung. Doch die Meinung und das Wohlergehen der Menschen kommen nicht zum ersten Mal zu kurz, wenn ihnen Profitinteressen und Lobbyverbände entgegenstehen. Insofern überraschte mich das Verhalten der Verantwortlichen im Film nicht – und ich befürchte, dass es vielen Zuschauern so ging. So skandalös eine solche Geschichte ist, die meisten erwarten im Grunde nichts anderes mehr. Haben wir uns schon so daran gewöhnt, dass Geld und Macht alles möglich machen? Dass Entscheidungen über unseren Kopf hinweg getroffen werden, obwohl sie uns und unsere Umwelt unmittelbar betreffen?

Kein Happy End

Ein Gefühl von Machtlosigkeit macht sich breit. Ja kla, das ist alles Fiktion, aber sie ist nicht wirklich weit hergeholt – auch wenn ich nicht beurteilen kann, wie wahrscheinlich ein solcher Angriff auf ein AKW ist. Der Film bricht das Thema Atomenergie auf einen konkreten und persönlichen Fall herunter und deutet gleichzeitig die gesamtgesellschaftlichen Implikationen an. Obwohl die Wahrheit ans Licht kommt, gibt es kein Happy End. Gut so, denn das erinnert uns vielleicht daran, dass es auch im wahren Leben noch viel zu tun gibt. Ich möchte mich diesem Gefühl der Machtlosigkeit nicht kampflos ergeben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

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