Der große Eisenbankraub

Wahl 2017 Warum es keinen Wahlkampf gibt? Weil sich CDU/CSU und SPD unter anderem über den größten Raub in der Geschichte Deutschlands ausschweigen.

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Was für ein Riesending, 1963, der große Eisenbahnraub!

"Gentleman" Ronald Biggs erleichtert mit seinen Kumpanen einen britischen Postzug um 2 Millionen Pfund Sterling. Das wären heute 50 Millionen Euro.

"Ronnie" Biggs hat großen Wert darauf gelegt kein Verbrecher zu sein, sondern Ganove: Ein Verbrecher würde den Leuten das Gehirn wegpusten. Ein Ganove würde ihnen nur etwas Geld abnehmen.

Beim Stichwort Ganove muss ich an Josef "Joe" Ackermann denken. Wie er seit 2008 zusammen mit Jens "Dr. No" Nonnenmacher, Georg Funke & Co. die Deutschen mutmaßlich* ebenfalls um Millionen bringt, ja: bringt, denn die in die Bad Banks ausgelagerten Schulden hängen uns heute und morgen ebenso am Hals wie die Folgen der Niedrigzinspolitik.

Wie groß der Coup ist lässt sich nicht genau sagen. Die SZ sprach 2013 von 290 Milliarden Euro, hat aber gleich dazu gesagt:

Die Schlussrechnung werde der Steuerzahler wohl erst in ein paar Jahren erhalten.

Die genannten 290 Milliarden sind nur die Spitze des Eisbergs.

Dramatischer fällt die stille Enteignung der Sparer aus; sie ist direkte Folge der Niedrigzinsen, die als notwendig angesehen wurden, um die Banken retten zu können. Sie sollten damals und sollen heute durch Niedrigzinsen an frisches Geld kommen. Gleichzeitig bekamen und bekommen Sparer nichts mehr für ihre Spareinlagen. Die Niedrigzinsen wurden von Staats wegen nicht nur geduldet, sondern als unerlässlich angesehen.

In 2008 lag der durchschnittliche Guthabenzins für kurzfristige Spareinlagen bei ungefähr 4,5 Prozent. Bekanntlich sind die Zinsen danach Richtung Null gesunken. Welcher Zinsverlust ergibt sich dabei?

Das durchschnittliche Sparguthaben pro Bundesbürger zwischen 2012 und 2016 liegt bei ca. von ungefähr 45.000 Euro. Um die Zahlenspiele vorsichtig zu halten sagen wir: mehr als die Hälfte davon liegt unverzinslich unter der Matraze.

Die Differenz des Zinssatzes von 4,5% zu 1% macht bei 20.000 Euro und 80 Mio. Einwohnern einen

Verlust an Zinseinkommen 56 Milliarden Euro - pro Jahr !

Hinzu kommen die unnormalen Zinsbelastungen, die sich daraus ergeben, dass sich die Zinsen für Überziehungskredite im Gegensatz zu früher von den Guthabenzinsen abgekoppelt haben. Man bekommt nichts fürs Guthaben, muss aber enorm viel für einen kleinen Girokredit bezahlen. Hierzu habe ich keine Zahlen gefunden, aber gehen wir einfach von rund 1/3 des vorherigen Wertes aus: ~ 20 Mrd. pro Jahr.

Damit kommen wir in Summe zu Folgendem
die eingangs erwähnten "Direktkosten" : 290 Mrd.
fünf Jahre Zinsverluste: 5*(56+20) = 380 Mrd.

= 670 Milliarden Euro

Sie haben wahrscheinlich wie ich echte Probleme sich vorzustellen was diese Summen eigentlich besagen.

Zur Veranschaulichung: Angenommen der Verdienst einer Erzieherin, einer Krankenschwester oder Altenpflegerin liegt bei 2.800 Euro. Wie viele davon können ein Leben lang beschäftigt werden, stünde dieses Geld zur Verfügung :
670 Mrd. / (2800*12Monate*40Jahre) =~ 430 Tausend

Sie haben richtig gelesen: über vierhunderttausend Menschen könnten ein Leben lang beschäftigt werden - während gleichzeitig ein dringliches gesellschaftliches Problem wahrscheinlich beseitigt wäre: zu wenig Versorgung bei zu schlechter Bezahlung.

Bei all diesem enteigneten Geld handelt es sich im Übrigen nicht nur um Geld, das den Bürgern im Moment nicht mehr für Ausgaben zur Verfügung steht, sondern auch nicht mehr für die Alterssicherung oder als Unterstützung für die Kinder in Form von Startgeld für Ausbildung oder Studium.

Was als alternativlose Rettungsmaßnahme der gesamten deutschen Wirtschaft erklärt wurde, ist in Wahrheit nichts anderes als die Inschutznahme einer immer mächtigen und allzu oft gesetzlosen Branche.

Daher ist Enteignung ein zu harmloser Begriff. Treffender müsste es Diebstahl heissen. Oder Raub.

Wird uns Bundeskanzlerin Angela Merkel die Schlussrechnung präsentieren? Unsere Kanzlerin, die 2009 den Geburtstag von Joe Ackermann im Kanzleramt feierte?

Nein, denn aus Sicht von Frau Merkel ist alles in bester Ordnung:

Ich möchte gerne unterstreichen, dass wir [...] dafür Sorge tragen wollen, dass die Sparerinnen und Sparer in Deutschland nicht befürchten müssen, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren.

Sie hat Recht: Die Sparerinnen und Sparer in Deutschland haben nicht einen Euro verloren, sondern Milliarden.

Und muss nun außer uns, den lobbylosen Bürgern, tatsächlich jemand für die Betrügereien bezahlen? Immerhin hatte die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, die einen Eid auf den Rechtsstaat abgelegt hat, inmitten der Finanzkrise versichert:

Wir sagen außerdem, dass diejenigen, die unverantwortliche Geschäfte gemacht haben, zur Verantwortung gezogen werden. Dafür wird die Bundesregierung sorgen.

"Zur Verantwortung ziehen" kann so aussehen: Offiziell wird das Gehalt des HSH Nordbank Vorstands Dr. No Nonnenmacher auf magere 500.000 Euro / Jahr gedeckelt. Hintenherum willigt die CDU-Landesregierung in eine Abfindung von vier Millionen ein.

Was ist mit dem wortmächtigen, selbstbewußten Herausforderer?

Natürlich ist es Martin Schulz zu peinlich, sich und uns daran zu erinnern, wie die rot-grüne Bundesregierung unter "Brioni-Gerd" Schröder ein Gesetz zur Verschärfung der Managerhaftung zwar plante, sich aber nicht traute es durchzusetzen. Damit hätten sie ihre mächtigen Freunde verärgert. Man wollte ihnen im Betrugsfall tatsächlich mit bis zu vier Jahresgehältern Strafe drohen. Dass es so nicht geht machte SIEMENS-Vorstand Heinrich von Pierer klar:

Wir haben ein Manager-Bashing, das schon beachtlich ist. Nehmen Sie nur die völlig überzogenen Haftungsregeln, die jetzt geplant sind. Da wird doch unterstellt: Die Manager belügen die Öffentlichkeit. Das sind meines Erachtens großartige Ablenkungsmanöver von den wirklichen Problemen des Landes.

Kanzler Schröder, den sie für den laufenden Wahlkampf allen Ernstes an Bord geholt haben, ist damals natürlich sofort zurück gerudert. Natürlich will Herr Schulz weder dieses Thema, noch das zugehörige Thema Enteignung anfassen, denn seine Partei war an allem beteiligt.

Denn wie seine Vorgänger und unseligen Mitstreiter scheint er das Wichtigste vergessen zu haben. Er ist Parteivorsitzende der ältesten Partei Deutschlands, die Charakterköpfe wie August Bebel, Kurt Eisner, Carlo Schmid, Kurt Schumacher, Willy Brandt, Annemarie Renger und viele andere hervor gebracht hat; einer Partei, die über eine lange Zeit ihrer Geschichte einen hohen Preis bezahlt hat, um für ihre Werte einzustehen.

Dabei hat es für Martin Schulz nur diese eine Chance gegeben: Einen echten Politikwechsel fordern.

Der Mann, der schon so lange im SPD Präsidum sitzt, hat es nicht bemerkt: Er ist anfangs nur, und wirklich nur deswegen so überschwänglich begrüsst und mit 100% Zustimmung zum Parteivorsitzenden gewählt worden, weil man sich von ihm als vermeintlichen Außenseiter erhoffte, derjenige zu sein, der sich in der SPD nach jahrzehntelangen Irrungen und Wirrungen endlich wieder daran erinnert, was es heißt Sozialdemokrat zu sein.

Das war ein Irrtum. Dazu hätte es - um das Wort Vision zu vermeiden - einer gehörigen Portion Mut bedurft. Doch Mut bedeutet für Herrn Schulz: Entgegen den Ratschlägen seiner Berater auf der Bühne eben doch das Jacket auszuziehen, um allen zu zeigen wie er schwitzt, und das auch noch zu posaunen: Leute, guckt mal wie ich schwitze ! Anbiederung statt Haltung.

Trotz der Enttäuschung namens Schulz bleibt die Tatsache, dass die Bundeskanzlerin an erster Stelle verantwortlich ist für diese haarsträubende Komplizenschaft, die uns den Raub des Jahrhunderts beschert hat.

Wie ich eingangs auf den Eisenbahnraub kam? Weil man dieser Ganoventruppe ihren Coup nicht wirklich übel nahm (zumindest will es die Erzählung so). Sie waren so charmant, und so britisch.

Frau Merkel nimmt man ebensowenig übel. Wer so brav, so besonnen, bodenständig und angenehm bieder ist, verdient das Vertrauen der Deutschen. Ihr kann man alles anvertrauen. Sogar unser Geld.

Schon komisch: Am übernächsten Sonntag wird nicht nur der hier geschilderte rosa Elefant im Wahllokal stehen, sondern noch viele weitere daneben. Aber man wird sie nicht sehen.

Einen Trost bei der wahrscheinlich nächsten GroKo gibt es: Wir haben es nicht mit Verbrechern zu tun.

PS.: "Joe" Ackermann ist inzwischen Aufsichtsratsvorsitzender der - bitte nicht lachen - aufgrund der Bankenkrise teilverstaatlichten zypriotisch-griechischen "Bank of Cyprus". Ob er Geburtstagskarten von Angela Merkel erhält?

PS.2: Bitte zur Wahleinstimmung unbedingt nochmals ansehen: Georg Schramm als Gastredner bei der GLS Bank:

Eingebetteter Medieninhalt

* das "mutmaßlich" dient lediglich dem juristischen Schutz

Die Zahlenbeispiele sind alles andere als wissenschaftliche Darlegungen, sondern sollen nur ein Gefühl für die Größenordnungen geben. Natürlich spielen auch externe Faktoren mit hinein, die europäische Bankenkrise allen voran. Das ändert nichts daran, dass auf unsere Kosten alles für die Banken getan wurde, obwohl bei ihnen allzu häufig selbst verschuldetes bis kriminelles Gebahren zugrunde lag.

Was ist wählbar, für mich? Keinesfalls die Halb-Nazis, die die "Alternative" im Namen tragen. Die unverändert hochnäsige Besserverdiener-Partei, die es wahrscheinlich mehr ist denn je? Die Grünen wären unter normalen Umständen erste Wahl, aber sie ärgern mich in ihrer Anpassung an die Konturlosigkeit des Berliner Betriebs. Ich bin überrascht, diesmal die LINKE wählen zu wollen.

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

schlesinger

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